Daniel Stanley hat seine Schwester sterben sehen. Im Alter von nur 28 Jahren. Die junge Frau hatte Brustkrebs. "Es ist hart, das mit anzusehen", sagt Stanley der BBC. Fast noch schlimmer für den Mann aus dem Nordosten Englands: Er selbst trägt denselben Gendefekt, der seiner Schwester den Krebs brachte und das Leben kostete. Auch er würde ihn weitervererben, sollten er und seine Frau Danielle Töchter bekommen.
Einen Ausweg sehen Daniel und Danielle in der Präimplantationsdiagnostik (PID), über deren gesetzliche Grundlage in Deutschland am Donnerstag im Bundestag hart gerungen werden soll. In der Bundesrepublik gibt es noch keine verbindliche gesetzliche Regelung, nachdem das Bundesverfassungsgericht im vergangenen Jahr ein Verbot für nicht rechtens ansah.
In Großbritannien, wo Nobelpreisträger Professor Robert Edwards auch das erste Retortenbaby schuf, ist PID bereits seit zehn Jahren möglich. 2009 wurde das erste Kind geboren, dessen Erbgut von Ärzten und Biologen des Londoner University College Hospital bewusst von Brustkrebs befreit wurde. "Ich dachte mir, ich muss es probieren", sagte die Mutter, die anonym bleiben will. "Wenn wir eine Tochter mit diesem Gen hätten und sie würde krank werden - ich könnte ihr nicht in die Augen sehen und ihr sagen, ich hab's nicht versucht."
Das Verfahren setzt eine künstliche Befruchtung voraus. Im Reagenzglas wird je eine männliche Samenzelle mit je einer weiblichen Eizelle zusammengebracht. Nach der Befruchtung wachsen die verschmolzenen Zellen durch Zellteilung heran. Ohne Präimplantationsdiagnostik werden zwei mehr oder weniger willkürlich ausgewählte Embryos - noch immer kleiner als vom menschlichen Auge erkennbar - nach wenigen Tagen in die Gebärmutter eingebracht. Ob sie überlebensfähig sind oder eine Erbkrankheit tragen, weiß man zu diesem Zeitpunkt nicht.
Bei er PID werden die Embryos vorsichtig unter dem Mikroskop punktiert - in einem Stadium, in dem sie aus nicht mehr als acht Zellen bestehen. Das entnommene Zellmaterial kann dann untersucht werden, etwa auf Erbkrankheiten. In Deutschland dürfen auf Grundlage des Embryonenschutzgesetzes offiziell bisher nur die wohl weniger aussagekräftigen Polkörperchen vor Abschluss des Befruchtungsprozesses untersucht werden.
In Großbritannien erlaubt die von der Regierung eingesetzte Regulierungsbehörde HFEA (Human Fertilisation Embryology Authority) die Absuche nach bestimmten Krankheitsgenen. Verboten ist dagegen auch auf der Insel die Auswahl eines bestimmten Geschlechts oder die Untersuchung des gesamten Genoms. So soll ausgeschlossen werden, dass übermotivierte Eltern "Designerbabies" entstehen lassen.
Inzwischen gehen die Briten noch einen Schritt weiter: Es dürfen unter bestimmten Bedingungen sogar "rettende Geschwister" ("saviour siblings") erzeugt werden. Sinnvoll ist die Methode laut HFEA dann, wenn etwa ein Einzelkind eine lebensbedrohliche Erberkrankung hat. Dann können die Eltern per künstlicher Befruchtung ein zweites Kind zeugen - per PID wird sichergestellt, dass der Embryo die Erbkrankheit nicht hat und nach der Geburt für seinen kranken Bruder oder seine kranke Schwester zum lebensrettenden Knochenmarkspender werden kann - Kritiker auch in Großbritannien nennen das "menschliches Ersatzteillager".
Theoretisch wäre es möglich, Geschlecht und Größe des Kindes zu beeinflussen, sogar bestimmte Begabungen könnten herausgefiltert werden. Dies ist aber nicht Sinn und Zweck der PID. Allerdings räumen auch die britischen Gen-Doktoren ein, dass die Grenzen sich in den zehn Jahren der Anwendung bereits verschoben haben. So war anfangs die Suche nach Erbkrankheiten, die erst im Erwachsenenalter ausbrechen können - wie etwa Brustkrebs - nicht erlaubt. Danielle Stanley hat damit überhaupt kein Problem: "Wir verändern keine Gene - alles was wir tun ist, die Embryonen ohne Gendefekt herauszusuchen."


Derzeit sind noch keine Kommentare vorhanden. Schreiben Sie den ersten Kommentar!
Jetzt einloggen