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FußballweltmeisterschaftRasende Medizin

Für Fans ist Fußball die schönste Nebensache der Welt – für die Profis ein beinhartes Geschäft. Wie werden die Kicker medizinisch versorgt?

Ein Foul, ein Aufschrei, ein Sturz – und der Arzt am Spielfeldrand sprintet los. Als hätte er magische Kräfte, hilft er dem Spieler innerhalb weniger Minuten wieder auf die Beine. Gelingt ihm das nicht, bleibt nur, den Verletzten vom Rasen zu transportieren. Meist ist er dann innerhalb kürzester Zeit wieder fit.

Als Kevin-Prince Boateng zwischen die Beine von Michael Ballack grätschte, verpasste er dem deutschen Mannschaftskapitän eine der häufigsten Fußballerverletzungen überhaupt: einen Bänderriss am oberen Sprunggelenk. Ein Foul mit weitreichenden Folgen: Ballack muss nicht nur mehrere Wochen eine Schiene tragen; er kann sein Training auch erst wieder aufnehmen, wenn die Weltmeisterschaft in Südafrika vorbei ist.
Die Top 10 der Fussballer-Verletzungen

Visite auf dem Rasen

Ballack hat gute Chancen, dass sein Sprunggelenk bald wieder genauso gut funktioniert wie vor dem Bänderriss. Wenn nämlich eines tipptopp ist, dann ist es die medizinische Rundumversorgung der Nationalelf. Drei Ärzte, vier Physiotherapeuten, ein Psychologe und zwei Fitnesstrainer sorgen für die körperliche und geistige Gesundheit der Mannschaft. Einer von ihnen ist der Münchner Orthopäde Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, bekannt für seine schnellen Sprints über das Spielfeld. In seinen Taschen immer dabei: Eisspray, Desinfektionsmittel, Pflaster und Riechstäbchen, mit Ammoniak getränkt – damit kann er benommene Spieler wieder aufwecken.Sein Arztkoffer, den ihm der Masseur hinterherträgt, enthält Tamponaden und blutstillende Pflaster, Druckverbände und Tacker. Blutende Wunden klammert er manchmal einfach wieder zu. Unvergessen ist noch immer, wie er im DFB-Pokalfinale 1982 dem Bayern-Mittelstürmer Dieter Hoeneß, der nach einem Zusammenstoß mit einem anderen Spieler heftig an der Stirn blutete, einen Kopfverband anlegte. Hoeneß spielte weiter und köpfte mit seinem Turban den 4:2-Siegtreffer ins Tor.

Nur vom Feinsten

Was Müller-Wohlfahrt auf dem Platz nicht richten kann, versorgt er in seiner Praxis. Vor zwei Jahren hat er in der Münchner Innenstadt ein Zentrum für Orthopädie und Sportmedizin eröffnet, einen hochmodernen Medizintechnologiepark auf 1.600 Quadratmetern, mit einer Siemens-Komplettlösung aus bildgebenden Systemen und Informationstechnologien ausgestattet. Dort kann er per Telemedizin Ärzte aus der ganzen Welt zuschalten. "Mein Traum war es, gemeinsam mit Kollegen, auch aus anderen Disziplinen, unter einem Dach zu arbeiten, gemeinsam Diagnosen zu erstellen, Therapiepläne zu entwickeln und dann unverzüglich mit der Behandlung zu beginnen", sagt der Arzt, dem Deutschlands Sportlerelite vertraut.

Magische Hände

Trotz aller Technik: "Das Untersuchungsinstrument Nummer eins ist und bleibt die Hand", erklärt Müller-Wohlfahrts Kollege Peter Ueblacker. "Keine Bildgebung der Welt kann darstellen, ob ein Muskel fest oder locker ist. Das verrät nur die Palpation, also das Ertasten mit der Hand." Auch Holger Fischer legt vor allem Hand an. Schon so manchen verletzten Profi, Patrick Owomoyela beispielsweise, hat es zu ihm getrieben. Sein Geheimnis kann Fischer, der sich schlicht "Coach" nennt, selbst nicht genau umschreiben: "Schmerzen sind eine Anhäufung von Energie. Dort greife ich regulierend ein." Dazu nutzt er neben seinen Händen ausführliche Gespräche. Thorsten Rarreck, ehemaliger Mannschaftsarzt von Schalke 04, sagt darüber: "Im Rahmen meiner Zusammenarbeit mit Holger Fischer konnte ich oftmals beobachten, dass Sportler, bei denen schon alles gemacht wurde, trotzdem ihre Leistung steigern und ihre Verletzung meistens sogar wesentlich schneller als ursprünglich prognostiziert überwinden konnten." Wie auch immer es Fischer gelingt: Offensichtlich schafft er es, dass einige Menschen einen Hebel im Kopf umlegen und ihre Heilung beschleunigen.

Rehabilitation für Profis

Glaubt man einer schwedischen Studie, ist die Gefahr für einen verletzen Spieler, sich in der Folgesaison erneut zu verletzen, dreimal so hoch wie vorher. Eine kontrollierte Reha, heißt es darin, kann dieses Risiko jedoch erheblich senken. Für Profifußballer gibt es seit Mitte der 80er Jahre ein spezielles Rehaprogramm, für das die Berufsgenossenschaft einen Tagessatz von 120 Euro zahlt. Die Spieler der Nationalmannschaft werden ebenso wie die des deutschen Davis-Cup-Teams und zahlreiche Olympiateilnehmer in der Eden-Rehabilitationsklinik in Donaustauf wieder fit gemacht. Das Profiprogramm ist nicht nur besonders intensiv, sondern berücksichtigt auch, dass sich das Skelett eines Fußballers an seine Sportart angepasst hat. Weil beispielsweise ein Bein das Stand- und das andere das Schussbein ist, kommt es zu unterschiedlichen Ausprägungen von Bewegungsmustern, Muskeln und Bändern und dadurch im Hüftbereich zu einer Dysbalance. Diese fällt unter normalen Umständen nicht ins Gewicht. "Bei einem Profifußballer, dessen Körper auf dem Spielfeld reibungslos funktionieren muss, ist die Stabilität des Rumpfes jedoch der Schlüssel zu seiner Leistungsfähigkeit”, erläutert Helmut Hoffmann, Sportlehrer und -therapeut in der Eden-Klinik. Zur Reha gehören deshalb zahlreiche Balance-Übungen. So muss der Spieler beispielsweise auf einem Seil balancieren und einen Ball, den ihm der Therapeut zuwirft, wegkicken können. Darüber hinaus gibt es Geräte, sogenannte isokinetische Test- und Trainingssysteme, die versuchen, den Spieler in unerwarteter Richtung und Intensität aus einer stabilen Gelenkposition heraus in eine instabile Position zu bewegen. So kann er seinen Bewegungsapparat darauf trainieren, bei Stößen und Erschütterungen eine gesicherte Gelenkposition beizubehalten. Damit ihn so schnell nichts aus der Bahn werfen kann.

Dieser Artikel ist Teil des WM-Spezials in der Juli-Ausgabe der kma. Außerdem finden Sie in diesem Heft einen Artikel darüber, wie Versicherungen das Berufsrisiko Sportverletzung bei Ballack & Co. kalkulieren und im Interview spricht der Psychiater Georg Schürgers über Motivation und Teamgeist – weil nur gewinnen kann, wer an seinen Erfolg glaubt.

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