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Demenzrepublik DeutschlandRösler vor Riesenaufgabe

Mehr als jeder Dritte muss heute im Lauf seines Lebens statistisch gesehen mit einer Demenz rechnen.

Rolf-Ulrich Schlenker ist besorgt. "Kaum zu glauben", stöhnt der Vizechef des Kassengiganten Barmer GEK bei der Vorlage des Pflegereports 2010. Insgesamt werden sogar 58 Prozent der Männer und 76 Prozent der Frauen altersverwirrt oder pflegebedürftig. Und die Prognosen sind düster: Die Zahlen steigen langsam, aber kontinuierlich weiter.

Schlenker ist aber auch erleichtert. Längst ist der Streit um die Konsequenzen voll entbrannt. Der Kassenvize hält nichts vom Koalitionsplan, dass die Versicherten neben dem normalen Pflegebeitrag künftig auch privat für die Zukunft ansparen sollen. Da passt es ihm gut, dass Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) in seinem jüngsten Interview versprach: "Wir sprechen erst über die Menschen und dann über die Finanzierung." Eine Bestandsaufnahme ist aus Sicht von Kassen, Pflegebranche und Experten nötiger denn je.

Mit der wachsenden Zahl der Älteren steigt der Pflegebedarf: Der Anteil der Demenzkranken erhöht sich laut Report in den nächsten 50 Jahren von 1,5 auf 3,8 Prozent - auf 2,5 Millionen Menschen. "Das ist eine gewaltige Zahl", mahnt Schlenker. Mehr Heime seien nötig und mehr Pflegekräfte. Klar sei, "dass hier ein Kostenrisiko für die Pflegeversicherung besteht".

Pro Monat braucht ein Demenzkranker im Schnitt gut 500 Euro mehr von den Pflege- und 300 Euro mehr von den Krankenkassen als ein durchschnittlicher Versicherter, hat Studienautor Heinz Rothgang errechnet. Das sind rund 10 000 Euro im Jahr. "Wir reden auch über unser aller Zukunft hier", sagt der Bremer Gesundheitsökonom.

Wer soll das also bezahlen? Rechnet man die steigende Zahl der Dementen hoch, kommt man längerfristig auf einen zweistelligen Milliardenbetrag, der zusätzlich nötig sein könnte. Noch nicht einmal eingerechnet sind Mehrkosten für eine seit längerem geforderte bessere Betreuung für Altersverwirrte. Als ein hochkarätig besetzter Beirat Anfang 2009 seine Vorschläge im damals noch SPD-geführten Gesundheitsministerium vorlegte, ging er von bis zu vier Milliarden Euro zusätzlich für mehr Leistungen für die heutige Zahl der Dementen aus.

Auch an das Leistungs-Problem will Rösler fast zwei Jahre später ran: "Wir müssen den Begriff von Pflegebedürftigkeit also ändern und darauf abstellen, wie selbstständig jemand wirklich noch ist." Doch auch eine Kapitalbildung mit Extra-Beiträgen zulasten der Versicherten hält Schwarz-Gelb weiter für nötig - und hat bereits vor Beginn der fürs kommende Jahr geplanten Gesetzesarbeit einen Proteststurm von Opposition, Sozialverbänden und Gewerkschaften ausgelöst. Auch Schlenker warnt mit Blick auf die Finanzkrise: "Kapital kann sehr flüchtig sein."

Und schon unter heutigen Bedingungen herrschen laut Deutschem Berufsverband für Pflegeberufe "katastrophale Zustände in der Pflege". Angesichts immer größerer Lücken gibt es immer öfter Pflege nur auf dem Papier - die offiziell vorgeschriebenen Leistungen und Hilfen für Betroffene würden oft nur auf den Dokumentationsbögen abgehakt, ohne erbracht worden zu sein. Am Dienstag kommender Woche dürften Erfolge, Missstände und Reformpläne auf den Tisch kommen, wenn Rösler Fachleute und Branchenvertreter in seinem Ministerium empfängt.

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