
Als vor sechs Jahren die ersten Studenten an der privaten „Medizinischen Hochschule Brandenburg Theodor Fontane“ (MHB) mit dem Medizinstudium begannen, war das für Brandenburg ein Novum und ein absoluter Neuanfang. Bis dahin wollte Brandenburg keine eigene Universitätsmedizin aufbauen, schließlich liegt Berlin nur einen Katzensprung entfernt. „Nach dem Mauerfall gab es in Brandenburg keine Hochschulstruktur, so wie in Dresden, Halle, Leipzig oder Greifswald. Damals gab es die Empfehlung, keine Medizinische Hochschule aufzubauen, da es zu teuer war und der Bedarf als nicht notwendig angesehen wurde“, begründet Stephan Breiding, Sprecher des brandenburgischen Wissenschaftsministeriums, die märkische Enthaltsamkeit.
Wenn im Sommer 2021 jetzt die ersten 42 jungen Menschen als approbierte Ärztinnen und Ärzte die MHB verlassen, sind sie ungewollt zum Spiegelbild eines fundamentalen Sinneswandels in der Mark geworden. 2014 musste es erst eine private Initiative von engagierten Ärzten geben, die mittels eines Fördervereins die Gründung der privaten MHB erfolgreich umsetzte.
„Wir wollten dem Ärztemangel im Flächenland Brandenburg begegnen. Genau das war damals der Gründungsimpuls“, sagt Dr. Gerrit Fleige, Kanzler und Kaufmännischer Geschäftsführer der MHB. Mit viel Elan und ohne staatliche Hilfe gelang das Vorhaben. Nun, sechs Jahre später, erkannte das Land Ende 2020 die Trägerkliniken der privaten „Medizinischen Hochschule Brandenburg“ (MHB) als „Universitätsklinik-Verbund“ staatlich an – und entdeckt plötzlich den Reiz einer eigenen staatlichen Universitätsmedizin.
Modellregion Lausitz
Nach dem Willen der Brandenburger Landesregierung soll es zusätzlich bald eine an einem Standort konzentrierte staatliche Hochschulmedizin in Cottbus geben. „Es gibt jetzt einen deutlich höheren Bedarf an Ärzten – auch perspektivisch“, begründet Ministeriumssprecher Breiding das Vorhaben. Einer der wesentlichen Gründe dürfte ein unverhoffter Geldsegen sein. In die geplante Hochschulmedizin in der Lausitz werden große Summen aus dem Kohleausstiegsgesetz fließen, mit denen der Strukturwandel in der Braunkohleregion unterstützt werden soll. Das hilft dem Land, denn die Kosten sind immens und nicht so schnell wieder einzuspielen. Außerdem muss Brandenburg die Mediziner-Ausbildung später aus dem eigenen Haushalt bezahlen, was im Schnitt 200 000 Euro für einen Studienplatz der Medizin beträgt.
Es geht aber nicht nur um eine reine Ärzteausbildung, auch Pflege und Zukunftstechnologien sollen eine Rolle spielen. Wissenschaftsministerin Dr. Manja Schüle lässt sich beim Konzept für eine Universitätsmedizin von einer prominent besetzten Expertengruppe beraten - geleitet von Prof. Dr. Karl Max Einhäupl, ehemals Vorstandsvorsitzender der Charité Universitätsmedizin Berlin und früherer Vorsitzender des Wissenschaftsrats. Wie von Einhäupl gewohnt, gilt offenbar das Motto „Think big“. Etwas „Herausragendes und Besonderes“ solle es werden. Man wolle in der Lausitz Alleinstellungsmerkmale erzeugen, an der sich andere weltweit ein Vorbild nehmen könnten.
Die zukünftige sogenannte Modellregion Gesundheit Lausitz ist für Manja Schüle „das wohl wichtigste Strukturwandelprojekt für die Lausitz“. Es sei eines der anspruchsvollsten Projekte der gesamten brandenburgischen Landesregierung in dieser Legislaturperiode. „Unsere neue Uni-Medizin wird ein Labor für ganz Deutschland sein“, sagt die Ministerin.
Offenbar ist ihr durchaus bewusst, dass das Projekt ein wenig nach märkischem Größenwahn klingt, das schlimmstenfalls als Milliardengrab enden könnte wie der benachbarte Lausitzring. „Das ist kein Größenwahn, sondern Erfolgsbedingung für das Projekt. Denn wir brauchen für die Finanzierung durch den Bund die Zustimmung aller Landes- Wissenschaftsminister. Und die wird es nur geben, wenn alle von dem Konzept überzeugt sind und die plausible Hoffnung haben, in Cottbus etwas für die Uni-Kliniken in ihren eigenen Ländern zu lernen.“ Mit ersten Ergebnissen der Expertenkommission rechnet sie für den Sommer.
Wo die Medizinerausbildung stattfinden könnte, wie viele Studenten, Professuren es sein werden und wie die nötige Infrastruktur aussieht, steht dabei noch in den Sternen. Es könnte eine Anbindung an die Brandenburgische Technische Universität oder aber auch eine eigene medizinische Hochschule geben. Für die Praxis hat wohl das Karl-Thiem-Klinikum Cottbus die besten Karten, um dort angebunden zu werden. Das finale Konzept werde dem Wissenschaftsrat zur Begutachtung vorgelegt. Ein Jahr später könne dann eine Bund-Länder-Vereinbarung für die Finanzierung der neuen Fakultät entstehen.
Diplomatische Reaktion
Auf die Cottbuser Pläne der Landesregierung angesprochen, gibt man sich bei der privaten „Konkurrenz“ diplomatisch und lobt das Vorhaben als „überraschend aber positiv. Wir freuen uns auf eine künftige Zusammenarbeit mit einer Uniklinik Cottbus“, sagt Kanzler Fleige, fügt aber mahnend hinzu, dass „aber eine stetige Unterstützung des Landes für uns auch weiterhin wichtig ist.“ Seit 2020 gibt es für die MHB erstmals einen Zuschuss vom Land - für die Forschung, fünf Millionen Euro pro Jahr, vorerst bis 2024.
Dass es den Status als Uniklinik für die MHB erst im Dezember 2020 gab, lag daran, dass dies erst Anfang 2020 beantragt und evaluiert werden konnte. Denn für die Evaluierung musste das Land Brandenburg überhaupt erst einen Kriterien- Katalog erstellen und eine Verordnung erlassen. Dazu gab es seit 2015 einen langen Vorlauf, denn bis 2015 wollte man in Brandenburg keine Medizinerausbildung. „Wir haben ja privat die Medizin-Ausbildung auf den Weg gebracht, weil es dem Land lange zu teuer war. Das hat viel Überzeugungsarbeit gebraucht“, erinnert sich Gerrit Fleige.
Bereits von Anfang an hat die MHB den Status einer Universität. Nach dem Vorbild der Medizinischen Hochschule Hannover beließ man es bei dem Namen Medizinische Hochschule Brandenburg. Neben der Medizin wird auch die Psychologie bis zum Bachelor- und Master-Abschluss angeboten. Der Klinik-Verbund, der die Universitätsklinik nun bildet, ist einmalig und resultiert daraus, dass es drei Trägerkliniken gibt: die Ruppiner Kliniken im Norden, das städtische Krankenhaus Brandenburg im Westen und die Immanuel Kliniken mit dem Herzzentrum in Bernau (Norden) und dem Krankenhaus Rüdersdorf im Südosten. Seit dem Start der MHB findet hier eine umfassende Medizinerausbildung statt.
Eigene Hochschulambulanzen
So gibt es in Brandenburg nun drei Campi und mit der Anerkennung als offizieller Uniklinik-Verbund darf die MHB jetzt zusätzlich Hochschulambulanzen betreiben. „Das ist nicht nur für die Patienten ein Vorteil, sondern auch besonders wichtigfür die Lehre, weil wir eine bestimmte Klientel nur noch ambulant sehen“, erklärt Fleige. Die Studierenden finden hier alles, was eine universitäre Ausbildung ausmacht. Die Patienten wiederum hochkarätige Anlaufstellen. Fleige: „Derzeit sind wir in den Vergütungsverhandlungen mit den Krankenkassen dafür.“
Die Ambulanzen auf dem Gelände der jeweiligen Kliniken sind räumlich getrennt von jeglichen MVZ und anderen ambulanten Strukturen. Der Geschäftsführer betont: „Wir wollen keinen Wettbewerb zu den niedergelassenen Strukturen. Wir wollen auch keine zusätzlichen Erlöse erzielen. Hier geht es tatsächlich um eine Verbesserung der Versorgung und unserer Mediziner-Ausbildung.“ Zusätzlich gibt es noch ein großes Netz an Lehr- und Forschungspraxen und Kooperationen mit vielen kleineren Kliniken im Land. Fleige: „Damit ist eine dezentrale Ausbildung gewährleistet, die wir sehr begrüßen.“
Drei Trägerkliniken
Die Organisationsstruktur hat aus Sicht Fleiges noch weitere Vorteile. „Erstens haben wir drei Trägerkliniken, die den Standard der Medizinerausbildung gewährleisten können. Die bessere Möglichkeit, Chefärzte zu rekrutieren, hängt am Status Universitätsklinikum zu sein. Der Verbund der drei Kliniken hilft dagegen bei einer komplementären Schwerpunktsetzung und flächigen Förderung der Gesundheitsversorgung, die sich damit entscheidend verbessern wird“, so der MHB-Kanzler. Manchmal sei es eine Herausforderung, dass die Medizin so flächig aufgestellt ist. „Aber um die Grundidee weiterzuentwickeln, nehmen wir das gern in Kauf.“ Nur gibt es durchaus Schattenseiten der Konstruktion. So sind die Träger-Kliniken in unterschiedlicher Hand: eines gehört der Stadt, eines dem Landkreis und eines der Kirche, da fällt eine gemeinsame Steuerung nicht immer leicht.
Es bleibt abzuwarten, ob es zwischen beiden Projekten in Zukunft nicht irgendwann zur ungesunden Konkurrenz kommt, mit Folgen für die Medizinerausbildung in Brandenburg. Friedliche Koexistenz ist durchaus möglich - wenn die rot-schwarzgrüne Landesregierung das will.
Erschienen in kma 4/21 Jetzt kaufen!





Derzeit sind noch keine Kommentare vorhanden. Schreiben Sie den ersten Kommentar!
Jetzt einloggen