Viele Menschen greifen im Alltag zu Koffein, Nikotin und manche auch zu Ritalin, um Konzentration und geistige Leistungsfähigkeit zu steigern. Experten sprechen vom sogenannten Neuroenhancement. Eine ähnliche Wirkung hoffen klinische Neurophysiologen zukünftig zu erzielen, indem sie Hirnströme mit Strom verstärken. Forschern der Universität Göttingen gelang es erstmals, in einem Lernexperiment mit Testpersonen die Reaktionszeit in einem Merktest mittels transkranieller Wechselstromstimulation (tACS) deutlich zu verkürzen. Ziel dieser Experimente sei jedoch nicht, die Leistung gesunder Menschen im Alltag zu erhöhen, betont die Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und funktionelle Bildgebung (DGKN). Die Fachgesellschaft hält Einsatzgebiete in der Rehabilitation von Schlaganfall-Patienten, Alzheimer und weiteren Hirnerkrankungen für möglich.
Buchstabenblitze im Merktest
In einem Merktest testeten die Göttinger Hirnforscher zunächst das Kurzzeitgedächtnis und die Reaktionsgeschwindigkeit ohne den Einfluss jeglicher Neuroenhancer. Auf einem Bildschirm blitzten für jeweils 350 Millisekunden einzelne Buchstaben auf. Die Testpersonen entschieden anschließend per Mausklick, an welcher Position ein bestimmter Buchstabe erschienen war. Ein Elektroenzephalogramm (EEG) maß während des Tests Hirnströme über Elektroden, die an den jeweils aktiven Bereichen auf der Kopfhaut platziert wurden. Dabei entdeckte das Team typische Hirnströme: "Immer wenn die Probanden im Test gefordert waren, erschienen 200 bis 500 Millisekunden später sogenannte phasensynchrone Theta-Wellen im EEG", erläutert Walter Paulus, Leiter der Abteilung für Klinische Neurophysiologie an der Universitätsmedizin Göttingen.
Anwendung in der Reha
Wie die Wirkung zustande kommt, ist nicht geklärt. Experten gehen davon aus, dass der Strom die Bildung neuer Kontakte zwischen Nerven im Gehirn stimuliert oder ruhende Synapsen aktiviert. Der DGKN-Experte sieht die Anwendung beispielsweise in der Rehabilitation von Schlaganfall-Patienten: "Die Therapie könnte überlebende Hirnzellen trainieren, verloren gegangene Aufgaben zu übernehmen und dadurch etwa Lähmungen lindern", so Paulus. Eine ähnliche Technik, die transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS), werde derzeit bereits an Schlaganfall-Patienten erprobt. Auch bei Morbus Alzheimer, der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) oder Schizophrenie sei ein Einsatz vorstellbar. Eine Alltagsrelevanz sieht der DGKN-Experte derzeit jedoch nicht. "Ein Einsatz der tACS oder tDCS als Neuroenhancer vergleichbar zu Nikotin oder Koffein ist noch in weiter Ferne", sagt Paulus.


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