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Deutschland hinkt hinterherWenig Hilfe für Sterbenskranke

Wenn es um Hilfs- und Pflegeangebote für Sterbende geht, kommt Deutschland in einer internationalen Studie nur auf den achten Platz.

Am besten schneidet Großbritannien ab, auch Belgien, die Niederlande und Österreich liegen vorn. Woran liegt das? Birgit Weihrauch, Vorsitzende des Deutschen Hospiz- und Palliativverbandes, schildert im Interview ihre Erfahrungen aus der Praxis:

Die meisten Menschen in Deutschland möchten in Ruhe zu Hause sterben. Warum geht dieser Wunsch oft nicht in Erfüllung?

Weihrauch: Die Versorgung sterbender Menschen ist in der Vergangenheit zum großen Teil auf Krankenhäuser verlagert worden. Vielfach gilt noch das Grundverständnis, dass Medizin heilen muss. Bei Ärzten und auch in der Gesellschaft ist es ein Prozess, sich einzugestehen, dass man Schwerstkranke auch mit moderner Medizin nicht mehr heilen kann. Für einen Krebskranken im Endstadium ist zum Beispiel eine Chemotherapie nicht mehr sinnvoll, sie belastet ihn oft eher. Wir brauchen da einen Bewusstseinswandel in der Medizin und in der Bevölkerung. Das neue Verständnis und eine andere Kultur im Umgang mit Sterbenden sind noch längst nicht ausreichend verankert. Hospizbewegung und Palliativmedizin haben schon sehr viel erreicht. Diese Veränderung in den Köpfen muss aber weitergehen.

Was ist für Menschen in der letzten Lebensphase am besten?

Weihrauch: Entscheidend ist, die Wünsche der Patienten zu kennen und sie in den Mittelpunkt zu stellen. Wir müssen auch die Angehörigen miteinbeziehen und sie begleiten. Viele Sterbende benötigen einen umfassenden Ansatz, bei dem im besten Fall Ärzte, Pflegedienste, Psychologen, Sozialarbeiter, Seelsorger und Apotheker koordiniert zusammenarbeiten. Das kann ambulant zu Hause oder auch stationär in Hospizen und Palliativstationen geschehen. Eine wichtige Rolle spielen dabei auch die ehrenamtlichen Mitarbeiter der ambulanten Hospizdienste. Denn ganz wichtig ist der Faktor Zeit. Auch ein Arzt braucht bei einem Hausbesuch bei einem Sterbenden viel mehr Zeit als zum Beispiel bei einem Patienten mit einer Angina. Er muss für diesen Einsatz besser bezahlt werden. Das wird er aber oft nicht.

Gibt es zu viele Lücken in den Gesetzen, die eine gute Versorgung in den letzten Tagen erschweren?

Weihrauch: In Deutschland hat der Gesetzgeber in den vergangenen Jahren unglaublich viel Positives in Bewegung gesetzt. Seit 2007 gibt es einen Rechtsanspruch auf die sogenannte spezialisierte ambulante Palliativversorgung. Sie ermöglicht das Sterben zu Hause. Seit 2009 wird Hospizarbeit, ambulant wie stationär, viel besser finanziert. Früher mussten Patienten im stationären Hospiz im Monat bis zu 1.500 Euro im Monat selbst bezahlen, diese Eigenbeteiligung fällt jetzt weg. Im Studium ist Palliativmedizin heute Lehr- und Prüfungsfach. 2009 wurde auch das Gesetz über Patientenverfügungen verabschiedet. Zum Teil beginnen die Gesetze aber jetzt erst zu greifen

Warum dauert es so lange?

Weihrauch: Es ist äußerst mühsam, die entsprechenden Verträge für eine bessere Versorgung der Betroffenen zu Hause auszuhandeln. In der Realität steht erst weniger als ein Drittel der Vereinbarungen zwischen Krankenkassen und den neuen Palliativteams. Wir haben also noch lange keine flächendeckende Versorgung. In dünn besiedelten Regionen liegt dabei die größte Aufgabe vor uns. Wenn sich schon kein Landarzt findet, ist zu befürchten, dass es mit der Palliativversorgung noch schwieriger wird.

Sind Pflegeeinrichtungen wie Altenheime, in denen auch viele Menschen sterben, auf die neuen Ansätze eingestellt?

Weihrauch: Leider oft noch nicht. Es gibt noch sehr viel zu tun, um Palliativkompetenz und Hospizkultur dort zu integrieren. Das fängt zum Beispiel damit an, Senioren bei der Aufnahme nach ihren Wünschen oder nach einer Patientenverfügung zu fragen. Wollen sie zum Beispiel künstliche Ernährung oder nicht? Die Einrichtungen sollten sich auch stärker vernetzen und etwa mit einem ambulanten Hospizdienst zusammenarbeiten. Doch dafür müssten sie sich öffnen.

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