Georg Thieme Verlag KGGeorg Thieme Verlag KG
Georg Thieme Verlag KGGeorg Thieme Verlag KG

PharmabrancheWindeler: Frühe Nutzenbewertung ist Chance

Ab Januar 2011 sollen in Deutschland erstmals neue Medikamente einer frühen Nutzenbewertung unterzogen werden. Experte Jürgen Windeler bezeichnet die Entscheidung als überfällig.

Der Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (Iqwig) sieht gute Chancen für die Pharmaindustrie, mit dem in Deutschland festgestellten "Gütesiegel Zusatznutzen" bei Zulassungs- und Preisverhandlungen in anderen Ländern zu punkten.

dpa-AFX: Herr Windeler, Sie sind seit Anfang September Leiter des Iqwig und damit rund 100 Tage im Amt. In diese Zeit fiel das Mitte November verabschiedete Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG), mit dem die Bundesregierung mehrere Milliarden Euro bei den Arzneimittelkosten einsparen möchte. Das Gesetz soll verhindern, dass Pharmafirmen wie bisher oft neue Mittel zu hohen Preisen auf den Markt bringen, die keinen echten Zusatznutzen im Vergleich zu bisherigen Therapien bieten. Wie bewerten Sie das Gesetz und wie wird es die Pharmaindustrie verändern?

Windeler: Das AMNOG war überfällig und wird zum ersten Mal eine systematische Bewertung von neuen Arzneimitteln bringen. Die frühe Bewertung ist ein deutlicher Fortschritt und eine Ergänzung der jetzigen Nutzenbewertung, die das Iqwig bereits seit seiner Gründung im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) durchführt. Wie das Gesetz die Versorgung der Patienten und den Pharmamarkt verändern wird, müssen wir abwarten. Der Bericht des Iqwig wird nach den Bewertungen auf unserer Internet-Seite veröffentlicht und schafft so Transparenz für Patienten und Hersteller.

Das Iqwig hat nach Zulassung neuer Medikamente drei Monate für die frühe Nutzenbewertung Zeit. Ergibt die Prüfung keinen Zusatznutzen, darf das Medikament nicht teurer sein als andere Medikamente, also zum Beispiel als der von den Krankenkassen festgelegte Erstattungshöchstpreis für die Vergleichstherapien. Die Bewertung wird das Fundament für künftige Preisverhandlungen zwischen dem Hersteller und dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung bilden.

dpa-AFX: Warum hat es die Pharmabranche in den vergangenen Jahren versäumt, sich selbst verstärkt mit der Frage nach dem Zusatznutzen neuer Medikamente zu beschäftigen?

Windeler: Ich bin jetzt seit über 20 Jahren auch in der Bewertung von Arzneimitteln tätig. Ich habe aus der Pharmaindustrie oft gehört: Wir machen das, was gefordert wird, und mehr nicht. Aber wir müssen fein unterscheiden. Es gibt auch Firmen, die das durchaus gesehen haben. Ich habe mit Industrievertretern gesprochen, die sehr klar die Chance der frühen Nutzenbewertung erkennen. Auch zu einer Zeit, als die Branchenverbände noch dagegen gewettert haben. Die großen multinationalen Unternehmen sind in der Regel schneller bereit, sich auf neue politische Anforderungen einstellen. Das sind auch Unternehmen, die sehen, dass sie sich mit guten Produkten und einem Zusatznutzen von der Konkurrenz abheben können. Auch könnte das erfolgreiche Durchlaufen der Nutzenbewertung in Deutschland in Zukunft zum Schlüssel für einen schnellen Marktzugang in anderen Ländern werden.

dpa-AFX: Ist die Bewertung beispielsweise von Krebsmedikamenten, die schon mal 50.000 bis 60.000 Euro pro Jahr kosten können, nicht extrem schwierig?

Windeler: Es gibt Schwierigkeiten, die weniger in den einzelnen Medikamenten liegen, sondern eher darin, dass es eine hohe Sensibilität für die Erkrankung gibt, da Krebs emotional stark besetzt ist. Zudem wurde lange - auch in der Politik - die Haltung gepflegt, dass Tumorpatienten neue Medikamente sofort zur Verfügung zu stellen sind. Das macht die nüchterne Nutzenbewertung eher schwierig. In der Onkologie (Krebsforschung) haben wir derzeit eine große Therapievielfalt, so dass wir schon Schwierigkeiten haben festzustellen, was ein Standard ist oder was eine zweckmäßige Vergleichstherapie.

dpa-AFX: Das Iqwig hat derzeit rund 100 Mitarbeiter. Müssen Sie neue Leute einstellen, um die frühe Bewertung im vorgeschriebenen Zeitrahmen zu bewältigen?

Windeler: Wir gehen von 30 bis 50 Bewertungen aus, die das Iqwig 2011 übernehmen muss. Klar ist, dass wir mit der derzeitigen Besetzung diese erhebliche zusätzliche Aufgabe nicht stemmen können. Es werden zusätzliche Mitarbeiter eingestellt, und wir werden in die einzelnen Aufträge klinische Experten einbinden.

dpa-AFX: Sehen Sie noch einen Ergänzungsbedarf beim AMNOG?

Windeler: Ich bin mit der Regelung für seltene Erkrankungen, der sogenannten Orphan-Drug-Regelung, nicht glücklich. Bei einigen Krebsmedikamenten wurde oft nur der Nachweis geführt, dass der Tumor auf die Behandlung anspricht. Ein richtiger Zusatznutzen wäre aber erst gezeigt, wenn der Patient länger lebt, sich die Lebensqualität verbessert oder er die Medikamente besser verträgt. Zudem wünsche ich mir auch die Untersuchung eines Zusatznutzens für die Medizintechnik. Daher hoffe ich, dass dies auch kommen wird, und möchte die Hersteller von Medizintechnik-Produkten auch dahingehend beraten, dass sie sich mit diesem Thema beschäftigen.

dpa-AFX: Wie finanziert sich das Iqwig?

Windeler: Das Institut wird von einer Stiftung getragen und die Stiftung vom Gemeinsamen Bundesausschuss. Finanziert wird das Iqwig durch einen Aufschlag auf alle Gesundheitsleistungen. Das Institut ist von den Kassen, den Ärzten und der Politik unabhängig.

Sortierung
  • Derzeit sind noch keine Kommentare vorhanden. Schreiben Sie den ersten Kommentar!

    Jetzt einloggen