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DrägerAnästhesieplattform mit SDC-Standard auf dem Markt

Als erstes Medizintechnikunternehmen hat die Firma Dräger mit dem Clinical Assistance Package ein Update für ihre Anästhesiearbeitsplätze auf den Markt gebracht, das den neuen Interoperabilitätsstandard SDC unterstützt. Die Software birgt großes Potenzial – vorausgesetzt, andere Hersteller ziehen nach.

Perseus A500
Drägerwerk AG & Co. KGaA
Anästhesiearbeitsplatz Perseus A500 mit dem Clinical Assistance Package (CAP) von Dräger

„Plug and Play“ ist heute eine Selbstverständlichkeit. So ist es problemlos möglich, Geräte wie Smartphones, Tablets und PCs unterschiedlichster Hersteller miteinander zu verbinden. Auch lassen sich Daten per LAN oder WLAN bidirektional austauschen, ohne dass sich Nutzer mit der Frage auseinandersetzten müssen, ob ein Router eines bestimmten Anbieters diesen Austausch auch unterstützt. In der Medizintechnik ist das nicht so. Das liegt daran, dass die Schnittstellen jener Geräte, wenn überhaupt vorhanden, nicht offen, sondern proprietär sind – die Vernetzung bzw. der Datenaustausch ist meist nur zwischen Produkten weniger Hersteller möglich.

Das zeigt sich etwa im Operationssaal: Statt von einem System aus alle dort zu Diagnose oder Eingriff vorhandenen Einzelgeräte ansteuern, bedienen und deren Daten austauschen zu können, sind Kliniken in punkto Performance herstellergebunden, wenn sie die Arbeitsabläufe und Gerätebedienung durch OP-Plattformen verbessern wollen. Jene Geräte, die keine proprietäre Schnittstelle haben – und das ist die große Mehrheit – bleiben außen vor und bilden die Vielzahl an Insellösungen im OP.

Ein vom Bundesforschungsministerium geförderten Projekt OR.net und dem sich daraus gegründeten Verein OR.net e.V. entwickelte offene Standard tritt diesem Manko entgegen. Jener weltweit erste Interoperabilitätsstandard SDC (Service-Oriented Device Connectivity) definiert eine Schnittstelle, über die sich sämtliche Medizingeräte dynamisch vernetzen lassen – und zwar herstellerunabhängig. Bereits am 27. September 2018 ist er vom Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE) zugelassen worden – seit wenigen Wochen auch von der US-amerikanischen Zulassungsbehörde FDA. Damit kann er von allen Geräte- und Softwareanbietern implementiert werden.

Kampfansage an Insellösungen

Der Medizintechnikhersteller Dräger aus Lübeck bietet seit November für seine Anästhesiearbeitsplatz-Familien „Atlan“ und „Perseus A500“ mit dem Clinical Assistance Package (CAP) ein Softwareupdate an, das diesen SDC-Standard aktiv unterstützt. Damit geht der Anbieter einen ersten Schritt in jene herstellerunabhängige, interoperable Zukunft der bidirektionalen Kommunikation, die Insellösungen im Krankenhaus den Kampf ansagt.

Da die SDC-Schnittstelle zu dem vorhandenen KIS-Standard HL7 kompatibel ist, erhalten die Anästhesiearbeitsplätze im Operationssaal vernetzte Funktionalitäten. Beispielsweise lassen sich demographische Daten aus der Patientenakte direkt am Anästhesiearbeitsplatz abrufen. Patientenstammdaten und Aufenthaltsdaten können somit aus dem Krankenhausinformationssystem (KIS) übernommen werden, ohne sie händisch neu eingeben zu müssen. Wichtige Informationen für klinische Entscheidungen stehen dem Anästhesisten so direkt zur Verfügung. Mit Hilfe des CAP lassen sich Daten auch direkt in die elektronische Patientenakte exportieren und im KIS speichern.  

Zeitsynchrone Laufzeiten

Das Softwaretool hilft zudem dabei, Abläufe zu vereinfachen. So kann ein Alarm von jedem der verbundenen Geräte aus überprüft und für mehrere Geräte kollektiv stumm geschaltet werden. Was derzeit nur zwischen Patientenmonitoring und dem Anästhesiearbeitsplatz im OP möglich ist, könnte zukünftig aber auch in Intensivstationen zur Anwendung kommen. „Wenn sie das übertragen in das Umfeld der Intensivstation, befinden sich etwa Beatmungsgerät und Patientenmonitoring oft an verschiedenen Stellen. Die Möglichkeit, alle Alarme sämtlicher Geräte um den Patienten herum von einem beliebigen Gerät aus still zu schalten, grenzt die Hektik und den Lärmpegel ein. Das ist nicht nur in punkto Healing Environment für den Patienten von Vorteil, sondern auch für Ärzte und Pflegekräfte“, erläutert Jens Altmann, Leiter des Segment- und Produktmanagements Hospital bei Dräger.

Nicht zuletzt bietet das Softwaretool in Sachen zeitsynchrone Laufzeit unterschiedlicher Medizingeräte Abhilfe. „Obwohl es etwa beim Thema Herzkreislauf auf Millisekunden ankommt, um zu verstehen, wie sich bestimmte Parameter zueinander entwickeln, war es bisher nicht möglich, jene Uhrzeiten von Geräten mit dem Zeitserver der Klinik exakt zu synchronisieren. Wenn diese nicht hinreichend genau einschätzbar sind, kann das zu falschen Ableitungen führen – dann therapiert man eventuell falsch, mit fatalen Folgen für den Patienten“, führt Jens Altmann aus.

Die exakten Zeitstempel spielen auch für juristische Fragen eine nicht zu unterschätzende Rolle – denn wenn nicht genau ermittelt werden kann, was bei einem Eingriff zu welchem Zeitpunkt gemacht wurde, lässt sich schwer belegen, inwiefern der Klinik ein Behandlungsfehler nachzuweisen ist oder nicht. „Durch die Fähigkeit zur bidirektionalen Kommunikation gemäß der Logik des SDC-Standards stimmen die auf den Patientenmonitoren und dem Anästhesiegerät angezeigte Uhrzeit mit dem Zeitsignal, das vom zentralen NTP (Network Time Protocol)-Server gesendet wird, erstmals exakt überein“, so der Produktmanagementleiter.  

Einzelfunktionen sämtlicher Geräte zentral steuerbar

Dass das CAP-Softwareupdate für die Dräger-Anästhesiearbeitsplätze bereits in Kliniken sechs europäischer Länder im Einsatz ist, belegt, wie rege die Nachfrage ist. Laut Dräger interessieren sich mittlerweile nicht nur Marktbegleiter und Konkurrenz dafür, wie sich der SDC-Standard implementieren lässt. Auch für Kliniken sei die Frage, ob ein Medizingerät den neuen IEEE-Standard unterstützt, ein Auswahlkriterium für zukünftige Ausschreibungen. Welches Potenzial die herstellerunabhängige Vernetzung mit SDC birgt, zeigt sich am Helmholtz-Institut für Biomedizinische Technik der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen.

Dort existiert bereits eine zentrale chirurgische Arbeitsstation namens X-Workstation, mit der sich die Möglichkeiten des SDC-Standards ausloten lassen. „Die X-Workstation führt Operateure nicht nur durch die einzelnen Prozessschritte einer Operation, sie bietet ihm auch alle Einzelfunktionen sämtlicher Geräte, die er dafür am besten hält, inklusive deren Steuerung, in einem einzelnen System“, erläutert Armin Janß, Leiter Integration, Risikomanagement & Usability Engineering des Helmholtz-Instituts.

Dementsprechend groß sind die Erwartungen, die in den Standard gesetzt werden. „Wir sind gerade dabei, eine komplett neue Ära aufzustoßen. Ich hatte vor ein paar Monaten Gespräche bezüglich einer zukünftigen Neubaumaßnahme mit einer Uniklinik. Deren Grundannahme ist, dass ihr gesamtes Geräteportfolio dann selbstverständlich SDC-fähig sein wird. In Zukunft könnte der Interoperabilitätsstandard das neue, Normal‘ im Medizintechnikumfeld sein“, prognostiziert Jens Altmann. Der Zeitpunkt hängt allerdings davon ab, wann auch andere Hersteller den Standard in ihre Medizingeräte integrieren.

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