Die Diagnose Prostatakrebs verbinden viele Patienten mit der Angst, ihre Potenz zu verlieren oder inkontinent zu werden. Die Martini-Klinik am Universitäts-Klinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) hat sich darauf spezialisiert, bei der Entfernung der Prostata die Potenz sowie den Schließmuskel an der Harnröhre zu erhalten. Mit dem Operationssystem „Da Vinci” kann die Prostata zudem minimalinvasiv und hochpräzise entfernt werden. Über 2.500 Prostatakrebs-Operationen wurden seit der Einführung des Systems in der Martini-Klinik im Jahre 2007 vorgenommen. Mit 5.000 Patienten im Jahr gilt die Martini-Klinik als größtes Prostatakarzinom-Zentrum weltweit.
Anfänglich wurde das System von Patienten noch skeptisch beurteilt: Wir haben es mit einer der sensibelsten Körperregion des Mannes zu tun – und dann operierte hier ein Roboter, ferngesteuert? Kann das sein – und gut gehen? Mittlerweile kommen Patienten aus Deutschland, Europa und der ganzen Welt eigens nach Hamburg gereist, weil sie sich gezielt für die roboter-assistierte Entfernung der Prostata (Prostatektomie) als Wahlleistung entschieden haben. Sie vertrauen diesem System, weil die Ergebnisqualität genauso gut ist wie bei dem klassischen offenen Verfahren durch die Hände eines Operateurs. Und selbst wenn hier ein Roboter das Operationsverfahren durchführen mag: Oberhoheit und Kontrolle über das gesamte Verfahren liegen zu jeder Zeit beim Chirurgen.
Der Arzt am Joystick
Im Gegensatz zu anderen minimal-invasiven Methoden ermöglicht das Da-Vinci-OP-System dem Operateur hochpräzises Arbeiten. Über eine Steuerkonsole wird jede einzelne Handbewegung des Arztes verfeinert und vollständig ruhig ausgeführt. Darüber hinaus garantiert ein dreidimensionales Kamerasystem in voller HD-Auflösung den bestmöglichen Blick auf das Operationsgebiet, sodass auch sehr feine Strukturen sichtbar werden. In der Martini-Klinik haben wir eine langfristige Kontinenz in 91 bis 97 Prozent der Fälle erreicht. Mehr als 98 Prozent aller organbegrenzten Prostatakarzinome können nervenschonend operiert werden – Werte, die bislang kaum eine andere Klinik vorweisen kann. Die roboterassistierte Operationsmethode hinterlässt darüber hinaus weniger Narben und führt zu deutlich geringerem Blutverlust. Um eine Nervschonung zu garantieren, werden – je nach Tumor-Charakteristik – Schnellschnitte an den Stellen der Prostata durchgeführt, die den Nervensträngen unmittelbar anliegen („Neuro-Safe-Technik”). Diese Schnellschnitte werden noch während der Narkose vom Pathologen mikroskopisch untersucht, um sicherzustellen, dass die Nervschonung ohne Risiko für den Patienten umgesetzt werden kann. Die Spitzenwerte der Martini-Klinik bei Kontinenz und Potenz sind mit dieser modernen OP-Technik erst mit jahrelanger Expertise und Erfahrung des Operateurs zu erreichen. Ein Erfolg, der nur durch die Superspezialisierung der Klinik und die konsequente Qualitätssicherung möglich ist.
Training am OP-Simulator
Für ihre einzigartige Expertise auf dem Gebiet wurde die Martini-Klinik im vergangenen Jahr offiziell zum einzigen „Epicenter für roboterassistierte Prostatektomie” Europas ernannt. Unter meiner Leitung und der von Chefarzt Markus Graefen können Ärzte anderer Kliniken die Technik der roboterassistierten Prostatektomie erleben und an einem Operationssimulator trainieren. Dieses Referenzzentrum steht operativ tätigen Urologen aus Deutschland, Europa und Übersee zur Verfügung, um die roboterassistierte Operationstechnik in der Qualität der Martini-Klinik für den eigenen Einsatz nutzbar zu machen. Konkret können zukünftige und betreibende Operateure ihre operativen Fähigkeiten am aktuellsten „Da-Vinci-Skills-Simulator” in unterschiedlichen Schweregraden testen und ihre Fähigkeiten in einem standardisierten Programm evaluieren. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, die roboterassistierten Operationen an zwei Systemen/Konsolen der neuesten Generation live zu verfolgen. Durch den Betrieb der Systeme in speziellen Operationssälen, zertifiziertes OP-Pflegepersonal und Da-Vinci-geschulte Anästhesisten wird die Vermittlung der Grundlagen des roboterassistierten Operierens komplettiert.
40 neue OP-Roboter
Zukünftig sind noch mehr roboterassistierte Einsätze zu erwarten. In den USA werden schon jetzt 80 Prozent aller Prostatektomien durch dieses System vorgenommen. Die Zahl der in Europa eingesetzten Systeme steigt ebenfalls stetig an. Allein zwischen 2009 und 2012 wurden 40 Da-Vinci-Operationssysteme in den deutschen Kliniken aufgestellt. Das Netzwerk wächst weiter, mit aktuell sechs Europäischen Epicentern für Urologie in London (Guy’s Hospital); Stockholm (Karolinska), Bordeaux (Clinic St. Augustin); Aalst (OLV), Milano (San Raffaele) und Essen (Klinikum Essen-Mitte). In vielen Ballungsräumen ist die robotergestützte Operation fest in den Alltag der Krankenhäuser integriert und ersetzt zunehmend die klassischen offenen Verfahren. Dieser Entwicklung trägt auch die Martini-Klinik Rechnung: Seit vergangenem Jahr wurde das Team auf sechs Konsolenchirurgen aufgestockt – eine bisher in Europa unerreichte Zahl.
Die „Operation der kleinen Schnitte” verändert die Chirurgie nachhaltig. Bei Blasenkarzinom, Nierenkarzinom sowie bei der Vasovasostomie (Wiederherstellung der Zeugungsfähigkeit nach erfolgter Sterilisation) werden mit dem Da-Vinci-Operationssystem hervorragende Ergebnisse erzielt. Entscheidend für den Erfolg bleiben auch hier Erfahrung und Operationsgeschick des Spezialisten. Weniger postoperative Schmerzen und kleine Schnitte sind mit dem robotergestützten Verfahren darüber hinaus in der modernen Gynäkologie möglich – so bei der Entfernung von Zysten und gutartigen Tumoren des Eierstocks, bei der Gebärmutterentfernung bis zur Sanierung von Endometriose-Herden. Das endgültige Einsatzspektrum des Systems ist noch nicht abzusehen. Aber klar ist: Der Roboter im Operationsaal hat die chirurgische Technik revolutioniert. Schwerste Eingriffe können über kleinste Schnitte präzise und schonend vorgenommen werden. Es gibt beispiellose Vorteile für Patienten und auch den Arzt. Roboter sind unsere Helfer in der Gegenwart und werden es auch in der Zukunft sein.


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