Der kommende Kongress der DGCH hat das Motto „Chirurgische Heilkunst im Wertewandel“. Was steckt dahinter?
Dahinter steckt der starke Gegensatz, in dem sich das klassische Chirurgieverständnis zu den derzeit herrschenden Rahmenbedingungen befindet. Auf der einen Seite haben wir eine Multioptionsgesellschaft, die das umfassend Machbare in allen Lebensbereichen einfordert. Auf der anderen Seite stehen massive äußere Regulative. Staatliche Gremien greifen zunehmend in die Behandlungsqualität ein. Wir haben heute eine Qualitätsinitiative, die für unsere Begriffe überhaupt keine ausdiskutierten und definierten Parameter enthält. Natürlich wird sich keiner gegen Qualität wehren, aber es werden zu große Erwartungen gehegt: Null-Risiko-Operationen, null Letalität, null Infektionen. Diese Regulative werden die Chirurgie entweder so umformen, dass sie zu einem 100-prozentigem Dienstleister wird. Oder wir sind eine Heilkunde, die eben das Heilen als Kernziel hat. Dazu bedarf es der Autonomie des Chirurgen.
Was könnten die Chirurgen denn tun, um dem entgegenzuwirken?
Es geht darum, den Kern unserer Heilkunde vor zu starken Interventionen zu schützen. Natürlich sind wir an der Qualitätssicherung interessiert, und selbstverständlich ist die Chirurgie ohne ausreichende Finanzierung nicht durchzuführen. Aber mittlerweile wird selbst die Indikationsstellung für einen chirurgischen Eingriff vom medizinischen Dienst der Krankenkassen angezweifelt und die Vergütung stationärer Leistungen verweigert. Hier müssen wir den Finger heben: Der Arzt muss über die Notwendigkeiten und Krankheitswerte entscheiden können, sonst ist es um unsere Profession schlecht bestellt.
Also müsste man auch dem existierenden DRG-System seine Grenzen aufzeigen?
Das DRG-System in Deutschland hat einen gewissen Charme. Aber dass sich am Durchschnittspreis die gesamte Qualität messen soll, ist ein Konstruktionsfehler. Sie können nicht High-End-Leistungen, die Universitätskliniken erbringen, mit dem Durchschnitt aller Leistungen der Bundesrepublik gleichsetzen. Es geht aber nicht allein um das Vergütungssystem, sondern letztlich um die Art, wie unsere Profession, die für Moral und Ethik ihrer Handlungen steht, infrage gestellt wird.
Werden denn ausreichend Forschungserkenntnisse und neue Techniken in den OP-Alltag übertragen?
Wenn wir das Sparen als Vision vor uns hertragen, ist damit eigentlich der Fortschritt schon beendet. Wir müssen das mit Augenmaß tun, um nicht zugunsten eines reinen Spardiktats den möglichen Fortschritt komplett auszuschalten. Es ist mittlerweile im Krankenhaus so, dass die Investitionen überhaupt nicht mehr getragen werden, weil das System nur reine Sach- und Personalkosten abdeckt. Neuentwicklungen können sich Kliniken nicht mehr leisten.
Welche OP-Technik macht denn im Moment die größten Entwicklungssprünge?
Ich denke dass wir im Bereich der minimalinvasiven Chirurgie und der Telemedizin deutlich entwicklungsfähig sind, das gilt auch für die Robotik. Auch die Hybrid OPs, wo die Diagnostik bereits implementiert ist. Dann haben wir die Gestensteuerung von Geräten, die sicherlich auch ein Thema für die Zukunft ist. Der Großteil dieser Technologie gibt es im Consumerbereich schon. Wir haben in der Medizin vergleichsweise wenig, was wir etwa für Operationssimulationen nutzen können. Eine meiner Mitarbeiterinnen nutzt für die Simulation von plastischen Eingriffen an der Brust die X-Box. Das zeigt, wie viel Potenzial hier drin steckt. Die deutsche Medizintechnik ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Allerdings erfolgt das Gros der Umsätze im Ausland, im Inland stagnieren sie. Es kann nicht sein, dass wir Innovationen hierzulande nicht finanziert bekommen.
Welche Highlights sollte man sich auf Ihrem Kongress nicht entgehen lassen?
Die Highlights sind sicherlich unsere Sondersitzungen. Eine gilt der Standortbestimmung, die ich für die chirurgische Wissenschaft machen möchte. Dann haben wir die Sitzung zur Entgrenzung der Chirurgie – sie dringt in immer mehr Bereiche ein, die praktisch nicht mehr dem klassischen Krankheitsbegriff entsprechen. Dann das Thema Patientensicherheit – hier fragen wir, was wir nach zehn Jahren erreicht haben. Außerdem wird es viele interdisziplinäre Sitzungen geben: etwa zum Berufsbild der Chirurginnen im 21. Jahrhundert. Ein weiteres Highlight ist auch das Thema Exoskelett, dazu werden wir einen Vortrag und eine Ausstellung anbieten.
Wie viele Teilnehmer erwarten Sie auf dem Kongress?
Wir erwarten rund 6.000 Teilnehmer. In diesem Jahr ist erstmals Frankreich Partnerland. Die haben sehr selbstbewusste Chirurgen, die sich als Gesprächspartner der Politik positioniert haben. Die medizinischen Fachgesellschaften in Deutschland sind für die Politik dagegen keine Gesprächspartner, das halte ich für ein großes Manko. Beispielsweise ist es für uns unverständlich, dass wir als Fachgesellschaft ein landesweites Studiennetzwerk gebildet haben mit verschiedenen Instituten, die erhebliche Beiträge für die Qualitätssicherung geleistet haben. Trotzdem findet dieses in dem neuen Institut für Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) des Gemeinsamen Bundesausschusses keine Berücksichtigung.


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