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Interview mit Sascha Lobo„Die Radiologie muss sich als digitale Avantgarde begreifen“

Können und wollen wir Maschinen unsere Gesundheit anvertrauen? Der Autor und Blogger Sascha Lobo skizziert im Gespräch, warum der digitale Wandel alternativlos ist und weshalb er Radiologinnen und Radiologen in einer Avantgarde-Funktion innerhalb des Gesundheitssystems sieht.

Sascha Lobo
DRG / Thomas Rafalzyk
Sascha Lobo

Würden Sie Radiologinnen und Radio­logen empfehlen, sich als Treiber des digi­talen Wandels im Gesundheits­system zu positionieren?

Ja, auf jeden Fall und das aus einem einfachen Grund: Die Disruption des Gesundheitssystems kommt auf uns zu und Radiologinnen und Radiologen stehen an der Spitze derjenigen, die davon zuerst betroffen sein werden. Das gilt nicht nur für Deutschland und Europa, sondern weltweit. Die Radiologie muss sich als digitale Avantgarde begreifen. Das scheint mir alternativlos und ich mache mir auch nicht die geringsten Sorgen darüber, dass die Radiologie als medizinisches Fach irgendwann überflüssig sein könnte.

Das, was bei der Auswertung von Bilddaten stattfindet und das, was am Ende bei den Menschen in den Köpfen ankommt, ist auf absehbare Zeit fast zwingend mit menschlicher Kommunikation und Erklärung verbunden. Es gibt ein neues Fach, das in fantastischer Weise für die Radiologie geeignet ist: explainable AI, also erklärbare künstliche Intelligenz. Dadurch ändert sich die Rolle der Radiologinnen und Radiologen eindeutig. Sie werden zu denjenigen, die bestimmte Formen von Daten und Datenverknüpfungen erklären, vermitteln und dort, wo es nötig ist, ein Verständnis herstellen – beispielsweise gegenüber Patienten oder auch ganz allgemein gegenüber der Öffentlichkeit. Meiner Überzeugung nach wird sich hier auf absehbare Zeit ein wichtiges Tätigkeitfeld für Radiologen ergeben.

In der Radiologie werden bereits heute große Mengen von patientenbezogenen Bilddaten erzeugt. Wer sollte sich Ihrer Ansicht nach um die Sicherheit dieser Daten kümmern?

Dazu habe ich ein schönes Beispiel. Es gibt nämlich einen Berufsstand, der hat schon vor sehr langer Zeit – 1966, um präzise zu sein – erkannt, dass Daten seine Zukunft sein werden. Er hat daraufhin gesagt: Wir müssen hier in Deutschland dafür sorgen, dass die Hoheit über diese Daten nicht aus unseren Händen gerät, nämlich aus den Händen derjenigen, die zum einen wissen, wie wertvoll sie sind und die andererseits wesentlich dazu beitragen, diese Daten überhaupt erst zu erheben. Ich spreche hier über die Steuerberater, die schon 1966 die Datev gegründet haben, und zwar als Genossenschaft, sodass heute allen Steuerberaterinnen und Steuerberatern in Deutschland die zentrale digitale Verarbeitungslandschaft für Steuerdaten gehört.

Ein solches Modell kann ich mir im medizinischen Bereich auch sehr gut vorstellen, getragen von dem Wissen, dass Radiologen eine besondere Verantwortung haben, was die Daten von Patienten angeht, und zwar in alle Richtungen. Da geht es nicht nur um Datenschutz, sondern auch um Verfügbarmachung, damit die Daten auch in 20 Jahren noch gelesen werden können. Stellen Sie sich mal vor, das neue hippe Start-up geht pleite, hat aber zuvor ein eigenes Format entwickelt, das man auf einmal nicht mehr lesen kann. Solche Dinge sind zum Beispiel in der Zahnmedizin schon passiert. Mein Plädoyer wäre deshalb, dass man als radiologische Fachgesellschaft darauf hinwirkt, eine eigene digitale Infrastruktur aufzubauen, die übergeordnet gedacht wird, sodass es nicht zu einer Daten-Kleinstaaterei kommt.

Sie haben in einem anderen Interview gesagt, dass künstliche Intelligenz für ein Hochtechnologieland wie Deutschland alternativlos sei. Ist sie für die Medizin eher ein Versprechen oder eine Bedrohung?

Die Alternativlosigkeit steht für mich außer Frage. Aber – und das ist eine Diskussion, die selten so deutlich geführt wird – durch die geringe digitale Entwicklungsgeschwindigkeit in der deutschen Medizin in den letzten Jahren gibt es einen gewissen Riss, der nicht nur, aber auch, mit dem Alter zu tun hat. Manche Fachärzte, auch Radiologen, denken: Also die zehn Jahre, die ich jetzt noch arbeite, komme ich auch so durch.

Andere wiederum sagen: Das ist die Zukunft, damit müssen wir uns jetzt intensiver beschäftigen. Dieser Riss, der – zum Beispiel mit Blick auf die Weiterbildung – zu konkreten Schwierigkeiten führt, ist einer, der überhaupt erst einmal diskutiert und vielleicht irgendwann sogar gekittet werden muss.

Es gibt bereits Apps, die auf das Erkennen genetischer Erkrankungen mittels Gesichtserkennung oder von Depressionen mittels Stimmanalyse abzielen. Was macht das mit uns und unserer Gesellschaft, wenn wir unsere Gesundheit zunehmend Maschinen anvertrauen?

Das ist eine sehr gute Frage, die man allerdings nur grundsätzlich beantworten kann. Wir vertrauen schon heute in fast uneingeschränktem Maße bestimmten Technologien. Die sind manchmal mit unsichtbaren digitalen Komponenten und manchmal ganz ohne sie aufgebaut. Es gibt ein Urvertrauen in bestimmte Maschinenprozesse, das selten hinterfragt wird. Nun wird aber durch die zunehmenden Möglichkeiten dieser Maschinen auch die Frage immer dringlicher, inwieweit wir ihnen eigentlich vertrauen können.

Voraussetzung dafür ist – und das ist dann wieder eine Chance für Radiologen – ein tiefes Verständnis dieser Maschinen. Erst auf dieser Grundlage können wir überhaupt bewerten, ob Vertrauen möglich ist oder nicht. Das heißt, eine Aufgabe der Radiologen wird in Zukunft darin bestehen, eine tiefe Kenntnis darüber zu entwickeln, wie Maschinen zu Aussagen, Bewertungen, Ergebnissen kommen. Das ist aus meiner Sicht die Basis dafür, dass wir Menschen den Maschinen auch in Zukunft vertrauen können.

Wie sieht aus Ihrer Sicht die Zukunft für die Radiologie aus?

Das ist eine sehr große Frage. Ich denke, wir werden eine Maschinenlandschaft haben, die so intelligent ist, dass Radiologen auch weiterhin die Aufgabe zukommt, zu erklären, zu interpretieren, einzuordnen und zwischen Maschinen und Menschen, die sich nicht im Detail auskennen, zu vermitteln. Wenn es ideal läuft, entwickelt sich das Berufsbild der Radiologen ziemlich intensiv weiter, mit Fokus auf einem tiefen Verständnis der Technologie selbst, und einer empathischen Erklärungsfähigkeit. Das ist keine steil geschossene Zukunftsvision, sondern das, was aus meiner Sicht am realistischsten ist. Wenn es nicht ideal läuft, dann befürchte ich, dass es schlimme Grabenkämpfe geben wird, weil natürlich ein Teil der radiologischen Tätigkeiten durch künstliche Intelligenz ersetzt werden kann. Diejenigen, die ihren beruflichen Schwerpunkt in genau diesem Bereich sehen und in keiner der vielen anderen Aufgaben, für die es ebenfalls Radiologen braucht, die werden sich in ihrem Arbeits- und Fähigkeitsspektrum massiv attackiert fühlen.

Und wie kann man sich dagegen wappnen, von künstlicher Intelligenz überrollt zu werden?

Man kann dem nur vorbeugen, indem man versucht, die Kompetenzen zu verstärken und auszubauen, die eine Maschine nicht ersetzen kann. Kompetenzen, die die Maschine wird substituieren können, sollten nicht in den Vordergrund gestellt werden. Das passiert zwar nicht von heute auf morgen. Aber es ist ziemlich klar, dass von den acht oder neun verschiedenen Aspekten einer Tätigkeit zwei oder drei besonders anfällig dafür sind, maschinell ersetzt zu werden. Wenn man nun genau auf diese seinen Fokus legt, dann glaube ich schon, dass man sehr viel leichter Schwierigkeiten bekommt.

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