Rein mechanisches Wirkprinzip
Das Wirkungsprinzip von Paexo Shoulder ist dabei rein mechanisch. Ausschlaggebend ist der Winkel zwischen Oberarm und Oberkörper. Die Schulter fungiert quasi wie ein Hebel: Wenn man die Arme anhebt, ist deren Hebelarm sehr lang. Daraus resultieren ein hohes Drehmoment und eine sehr hohe Belastung auf dem Schultergelenk, was sich dann einerseits im knöchernen Verschleiß äußert, andererseits aber auch durch Ermüdung der Muskulatur. Das Exoskelett entlastet beide, indem es das Gewicht von Händen und Armen quasi aufhebt – laut Ottobock wahlweise um bis zu 100 Prozent.
Kernstück des 1,9 Kilo leichten Systems, das sich wie ein Rucksack tragen lässt, ist ein mechanischer, passiver Energiespeicher. „Wenn die Arme gesenkt sind, wird dessen Federmechanik gespannt, und sobald man die Arme anhebt, übernehmen die Federn das Gewicht der Arme, oder auch nur einen Teil davon – das kommt auf die Einstellung der Unterstützung an, die man individuell variieren kann. Zusätzlich wird dieses Gewicht über jene mechanische Struktur in den Hüftgurt abgeleitet“, beschreibt Dr. Samuel Reimer, Verantwortlicher für das Business Development von Ottobock Industrials.
21 Prozent weniger Erschöpfung
Die positive Wirkung von Paexo Shoulder ist in zwei Studien belegt worden. Demnach wird die Muskelaktivierung des vorderen Deltamuskels um 55 Prozent, der Sauerstoffverbrauch um 33 Prozent und die Herzfrequenz um 19 Prozent bei Verwendung des Exoskelettes reduziert. Im Ergebnis haben die Studienteilnehmer eine um 21 Prozent reduzierte Arbeitsbelastung wahrgenommenen. „Wenn man sich vor Augen führt, dass die Anwender damit knapp ein Fünftel weniger erschöpft sind bei ihrer Arbeit, ist das schon ein großer Vorteil“, ergänzt Fabienne Röschel.
Dass auch Rohde vom Nutzen des Exoskeletts überzeugt ist, verdeutlicht die Tatsache, dass er es nach wie vor einsetzt: „Der Hauptvorteil ist die passive Unterstützung der Muskulatur oberhalb der Waagerechten, mit der Entlastung der Muskulatur über Stunden – und damit die Möglichkeit, präzise Arbeiten lange mit der gleichen Präzision durchführen zu können.“ Auch seine Kollegen und Kolleginnen hätten bereits Interesse daran gezeigt. „Gerade nach langen OPs bin ich erschöpft. Durch das Tragen des Exoskeletts bin ich das weniger“, so Rohde. Um diesen subjektiven Eindruck auch objektiv zu belegen, hat er zusammen mit Kollegen in Tübingen eine experimentelle Studie initiiert, die den konkreten Nutzen für die Chirurgie beziffern soll.
Nicht zuletzt durch die erfolgreichen Ersteinsätze in Tübingen und Göttingen stoße das Exoskelett laut Ottobock bei Neurochirurgen bereits auf größtes Interesse. Zudem werde es jetzt auch im Inselspital Bern und einer niederländischen Klinik eingesetzt – selbst einzelne Krankenkassen hätten bereits Interesse gezeigt. Trotzdem werde dessen Verbreitung derzeit noch sehr stark von den Nutzern getrieben. Das mag auch daran liegen, dass es abseits der Neurochirurgie und den dort erforderlichen OPs auf Augenhöge des Operateurs nicht geeignet ist. An Exoskeletten, die sich für den Einsatz anderer chirurgischer Disziplinen und sogar Kranken- und Altenpflegekräfte eignen, arbeite man aber bereits. „Das große Ziel ist, dass solche Exoskelette in Zukunft Teil der persönlichen Schutzausrüstung werden, wie es heute bereits Schutzhelme und Ähnliches sind“, verrät Samuel Reimer. Man darf also gespannt sein.





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