
Herr Hachmöller, würden Sie sich von einem Roboter operieren lassen?
Auf jeden Fall. Allerdings gilt es, hier zunächst eine Begriffsklärung vorzunehmen. Was heute in Operationssälen steht, sind technisch gesehen eigentlich keine Roboter. Ein Roboter zeichnet sich dadurch aus, dass er einprogrammierte Bewegungen macht, die er autonom ausführt. Bei dem, was heute vor allem in der Weichteilchirurgie eingesetzt und mit dem Da-Vinci eng verbunden ist, wird keine Bewegung autonom ausgeführt – sondern die Bewegungen des Arztes, der dort an einem Eingabegerät sitzt, werden quasi von dem Roboter ausgelesen. Er übersetzt diese Handbewegungen in präzise Bewegungen der Instrumentenspitzen, die wiederum qua minimalinvasiven Eingriff im Patientenbauch stecken.
Einen Automatismus, wie etwa bei Robotern in der Autoindustrie der Fall, gibt es bei OP-Robotern nicht. Anders verhält es sich auch mit Robotern, die vielleicht in der Gestalt eines kleinen Hundes durch die Kinderzimmer fahren, Staub saugen oder Rasen mähen, Stationsflure putzen und Krankenschwestern bestimmte Aufgaben abnehmen. Diese fahren ein zuvor festgelegtes Programm ab und orientieren sich an Algorithmen. Den autonom operierenden Roboter gibt es noch nicht, weshalb man hier auch eher den Begriff der robotisch-assistierten Chirurgie verwendet. Das Wort „assistieren“ beschreibt den Kern der Sache – die Robotik unterstützt den Arzt bei seiner operativen Tätigkeit.
Wo steht man heute im OP in Sachen Robotik?
Geschätzt gibt es derzeit in Deutschland etwa 150 Installationen des Da-Vinci, und diese Anzahl nimmt weiter zu. Man kann also mittlerweile nicht mehr davon sprechen, dass er ein Schattendasein führt. Interessant wird es, wenn man dessen Einsatzschwerpunkte betrachtet: In Deutschland wird er vor allem für die Urologie eingesetzt. Über 70 Prozent aller Prostatektomien werden hier mittlerweile per Roboterunterstützung gemacht.
Der Grund dafür dürfte sein, dass mit ihnen Operationen minimalinvasiv durchgeführt werden können, die manuell-laparoskopisch nur von wenigen Chirurgen beherrscht werden. In den USA wird der Roboter übrigens hauptsächlich in der Gynäkologie eingesetzt. Im Gegensatz zu Deutschland, wo Gynäkologen seit langer Zeit schon manuell- laparaskopisch operieren, wurden Operationen in den USA hauptsächlich offen durchgeführt. Der Roboter veranlasste dort viele Chirurgen in der Gynäkologie, auf das minimalinvasive Verfahren umzusteigen.
Und in Japan, ist man dort weiter als in Deutschland, der EU oder den USA?
Zwar gelten die Japaner allgemein als sehr technikaffin und daher auch der Robotik gegenüber aufgeschlossener, aber was die Anwendung in Sachen Medizintechnik angeht, gibt es hier keine großen Unterschiede – zumal die gesamte Medizintechnikbranche wegen der komplexen Zulassungsverfahren als relativ konservativ gilt. Spielereien haben keinen Platz. Die große Frage ist natürlich, wie es mit der robotisch-assistierten Chirurgie weiter geht: Was ist relevant für die nächsten Jahre in der Robotik? Ist es tatsächlich noch die klassische Mechatronik, oder wird es andere Technologien geben, die hier relevanter werden – um etwa Bewegungen automatisch auszuführen? Wer hier die Nase vorn haben wird, ist noch nicht abzusehen.
Womit wir bei der Frage sind, wie denn hierzulande der Technologietransfer funktioniert, im Gegensatz zu anderen Ländern?
Der erste Schritt zu einer Innovation ist es, eine Technologie zu entwickeln und mit einem Geschäftsmodell zu verknüpfen. Hier haben die Unternehmen in den USA einen exzellenten Ruf – wenn man die vielen kleinen Hightech-Schmieden sieht, die im Umfeld der berühmten Universitäten entstanden und auch groß wurden. In der Medizintechnik muss im zweiten Schritt die Technologie, die man entwickelt hat und auf dem Labortisch funktioniert, zugelassen und in die klinische Routine gebracht werden. Und hier habe ich in den letzten Jahren den Eindruck gewonnen, dass das in Deutschland oder Europa einfacher war als in den USA.
Die amerikanische Zulassungsbehörde FDA galt als strenger, was die Zulassung von Medizintechnik angeht. Hier haben die amerikanischen Medizintechnikunternehmen also nicht unbedingt einen Vorsprung. Und der dritte Teil ist die Frage, wie eine neu zugelassene Medizintechnik sich denn in Kliniken verbreitet. Wenn ich die 150 Da-Vinci-Systeme in deutschen Kliniken mit den rund 3 000 Da-Vinci-Systemen in amerikanischen Kliniken vergleiche, dann kommt man hierzulande pro zwei Da-Vinci auf rund eine Millionen Einwohner, in den USA sind das dagegen neun pro eine Millionen Einwohner. Und das liegt vor allem an dem Thema des Reimbursements. In den USA werden die Zusatzaufwände, die durch den Roboter entstehen, zumindest im privaten Bereich von den Versicherungen gedeckt. Das ist bei uns eben nicht so.
Die Stoßrichtung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) ist hier, bei einem hohen Standard der Gesundheitsversorgung die Gesundheitskosten möglichst gering zu halten – daher werden hier neue Technologien hinsichtlich ihrer Wirksamkeit kritisch hinterfragt, vor allem ihre langfristigen Auswirkungen. Gerade im Bereich der Medizintechnik ist es aber sehr schwierig, hierzu jene repräsentativen prospektiv-randomisierten Studien abzugeben, wie sie etwa in der Pharmaindustrie üblich sind.
Aber die Robotik im OP liefert doch durchaus Vorteile für das Patientenwohl?
Es ist ziemlich offensichtlich, dass die robotergestützte Chirurgie ein sehr großes Potenzial hat. Man sieht, dass diese Technik viel präziser ist, der Chirurg sieht viel mehr – etwa 3D –, man ist viel gelenkiger, man kann kleinere Strukturen operieren, das Zittern der Hände wird nicht mehr übertragen und der Chirurg hat eine weniger ungesunde Körperhaltung. Die Frage ist nur, wie lange sich so ein Verfahren erst entwickeln muss, bis man aus dem Potenzial auch eine gewisse Performance ableiten kann. Ich nenne das die Lernkurve des Verfahrens. Wenn man wie hier noch relativ am Anfang mit einer neuen Technologie steht, ist es immer extrem schwer, sich mit dem konkurrierenden alten Verfahren zu messen, das sieht man aus der Geschichte der Innovationen.
Was müsste besser laufen, um diesen Transfer schneller leisten zu können?
In einem Punkt hat sich bereits etwas getan, und zwar in Form des Paragrafen 137h im SGB V. Er besagt, dass es für risikoreiche Medizinprodukte eine gewisse Zeit lang auch eine Kostenerstattung geben kann, wenn es die Aussicht auf langfristige Vorteile für den Patienten gibt. Man hat seitens des Gesetzgebers also erkannt, dass es eine Innovationsbremse ist, wenn der Weg zwischen Zulassung und Einführung in die klinische Routine zu lang ist. Unternehmen denken wirtschaftlich, und wenn sie keine Aussicht darauf haben, Geld mit dem Produkt zu verdienen, dann wird es auch nicht entwickelt.
Welche Neuerungen gibt es denn in Sachen Robotik im OP abseits des Da-Vinci?
Hier haben wir wieder das Thema, dass Robotik im Gesundheitsbereich nicht präzise gefasst ist. Siemens Healthineers haben beispielsweise gerade bekannt gegeben, den US-Robotikanbieter Corindus kaufen zu wollen, der mit seinen Produkten den Anwender in der interventionellen Kardiologie unterstützt. Mit Robotik werden bei den Healthineers aber auch Röntgen- und Angiografieanlagen in Verbindung gebracht, bei denen die Bewegungen durch einen Roboterarm ausgeführt werden. Auch in der Orthopädie werden Roboter heute genutzt – etwa in Form des Produktes Mako von Stryker –, die Knochen fräsen, um damit Prothesen besser einpassen zu können. In der Weichteilchirurgie stellen sich derzeit gerade mehrere Anbieter auf, die versuchen, das Monopol des Da-Vinci zu brechen und an dem Milliardenmarkt zu partizipieren. Hier gibt es Unternehmen, die applikativ einen sehr ähnlichen Ansatz fahren wie Intuitive Surgical.
Die Firma Avateramedical aus Jena etwa baut applikativ ein dem Da-Vinci sehr ähnliches System. In Korea gibt es den Hersteller Meere, der den gleichen Ansatz verfolgt, sein System namens Revo momentan allerdings nur in Korea vertreibt. Und dann gibt es Unternehmen wie Transenterix oder auch CMR Surgical, die ein etwas anderes Prinzip verfolgen. Die haben nicht, wie beim Da-Vinci, ein Robotergestell, an dem vier Arme hängen, sondern vier verschiedene Basen, an denen jeweils ein Arm montiert ist. Das soll applikativ Vorteile haben, weil das System damit flexibler positionierbar ist.
Werden in Zukunft Roboter, von KI unterstützt, eigenständig operieren?
Der Roboter wird den Arzt auch in Zukunft nicht ersetzen. Die Frage ist allerdings, was genau sich ändern wird. Hier lohnt der Vergleich mit der Luftfahrt: Früher war das Fliegen noch pure Handarbeit, es gab noch keinen Autopiloten. Heute dagegen sind Piloten eher die Manager eines sehr komplexen technischen Systems, die vor allem in problematischen Situationen selbst eingreifen. Ich erwarte die gleiche Entwicklung von der Rolle des Arztes im OP der Zukunft: Statt des talentierten Chirurgen, der sich von Erfahrung und Intuition leiten lässt, wird sich die Rolle ändern hin zu einem, der ein sehr komplexes System managt und hierzu Entscheidungen trifft. Er wird beispielsweise dem Roboter in Zukunft dabei zuschauen, wie er etwa eine Naht näht, aber er wird ihn stoppen, wenn das falsch läuft.
Welche Veränderungen kommen damit auf die Rolle des Personals im OP zu?
Es ist nichts Neues, dass wir einen Mangel an Ärzten und Pflegekräften haben. Von innovativen Chefärzten gibt es Ansätze, die Abläufe der Chirurgie so zu verändern, dass man den Beruf auch nur halbtags betreiben kann, die Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Das erfordert klare Schnittstellen, an denen das nächste OP-Team übernehmen kann – Experten sprechen von einer Modularisierung der Operationen. Und das geht gut einher mit der Robotik. Ähnlich der Luftfahrt, bedingen sich Automatisierung und Standardisierung auch im OP gegenseitig. Wenn sich die Unterstützung durch den intelligenten Roboter an klar definierten Phasen einer OP orientiert, dann kann sich auch das OP-Team daran orientieren und beispielsweise Schritt eins bis fünf machen, und das nächste Team die restlichen Schritte sechs bis zehn.
Wann glauben Sie, wird die Robotik im OP selbstverständlich sein?
Ich glaube, das wird noch eine ganze Weile dauern. Und das wird damit einhergehen, dass es nicht die Robotik sein wird, wie man sie heute kennt. Heute hat man ein großes Universalgerät, was viel Raum braucht und teuer ist – daher verbietet es sich, damit allein aus wirtschaftlichen Gründen etwa einfache OPs zu machen. Ich erwarte hier, dass es zukünftig spezialisierte Roboter geben wird, gerade auch für kleinere OPs. Gleichzeitig wird auch eine gewisse Zentrenbildung dazu beitragen, dass sich der Roboter stark verbreiten wird.
Zur Person
Prof. Dr. Christoph Hachmöller ist Ingenieur und Arzt und arbeitet als Professor für Marketing und Entrepreneurship in der Medizintechnik der Ostbayerischen Technischen Hochschule Amberg-Weiden. Zuvor war er unter anderem Marketingleiter bei der Robotikschmiede Avateramedical in Jena.





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