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Gehälter in der PflegeDer Markt wird’s richten

Fachkräftemangel und Arbeitsbelastung – darüber sprechen Klinikmanager offen. Beim Thema Gehälter werden sie still. Doch Wegschauen nützt nichts: Das Gesetz von Angebot und Nachfrage wird Gehaltserhöhungen unausweichlich machen.

Auf die Frage, ob Pflegekräfte mehr verdienen müssten, antwortete Rudolf Henke kürzlich im Anschluss an eine Pressekonferenz: "Ja, müssten sie.” Die Aussage des 1. Vorsitzenden des Marburger Bunds ist wie ein Paukenschlag: Einer der obersten Ärztevertreter stellt sich mit einer glasklaren Stellungnahme auf die Seite der Pflegekräfte. Jedoch nicht ohne Eigenwerbung. Denn nach einer kurzen Pause fügte Henke mit einem Grinsen hinzu: "Aber sie werden schlecht vertreten.” Die Botschaft ist klar: Die Gewerkschaft der Krankenhausärzte hat mehr Biss als Verdi, die die Pflegekräfte vertritt. Henkes Vorgänger, Frank Ulrich Montgomery, überlegte einst, den Marburger Bund auch für Pflegekräfte zu öffnen. Henke möchte davon nichts wissen. Ein Glück für die Krankenhausträger.

Klinikbetreiber wissen von dem Verhandlungsgeschick des Marburger Bunds ein Lied zu singen: Sie können die enormen Tariferhöhungen seit 2006 kaum mehr finanzieren. Sobald ein Krankenhaus in die roten Zahlen gerät, werden die Gehaltserhöhungen der Ärzte als zentrale Gründe für die Misere genannt. Das Personalbudget ist ausgeschöpft, es bleibt nichts für die Pflegekräfte, so lautet die Standardantwort, wenn Krankenhausmanager auf die Gehälter der Pflegekräfte angesprochen werden. Dem reinen Fakt – das Budget ist ausgeschöpft – stimmt selbst Michael Isfort vom Deutschen Institut für angewandte Pflegeforschung (dip) zu. Allerdings mit einer Volte: "Es wurde in den Krankenhäusern noch nie so viel Geld für Personal im patientennahen Bereich aufgewendet wie heute – nur eben nicht für die Pflege. Wurde 2002 noch doppelt so viel Geld für Pflegekräfte ausgegeben wie für Ärzte, so geben Kliniken heute für beide Berufsgruppen gleich viel aus.”

Intensivkräfte rücken näher an die Medizin
Dies erklärt, weshalb die Gehälter in der Pflege seit 2002 kaum gestiegen sind. Trotzdem scheint die Stagnation nicht nachvollziehbar. Gerade in den letzten Jahren ist die Tätigkeit anspruchsvoller geworden: Pflegekräfte übernehmen heute viele Aufgaben von den Ärzten, in manchen Kliniken applizieren sie sogar Chemotherapeutika. Auch tragen sie immer mehr Verantwortung. Das macht das aktuelle Pflege-Thermometer, in dem das dip 535 Leitungskräfte in der Intensivpflege befragt hat, deutlich: Es zeigt, dass fast alle Intensivkräfte selbstständig etwa die Sedierung, kardiowirksame Medikamente, die Sauerstoffbeimischung bei Dauerbeatmung oder vor dem Absaugen regulieren. Ein weiteres Ergebnis: In mindestens 60 Prozent der Fälle entscheiden Ärzte und Pflegekräfte gemeinsam, ob etwa ein Patient extubiert oder die Sedierung oder Schmerzmittel-Gabe erhöht wird. Aber auch auf den peripheren Stationen wächst die Verantwortung: Kliniken setzen mehr Hilfskräfte ein, sodass die Examinierten mehr delegieren und kontrollieren müssen. Besonders die Stationsleitungen sind gefordert: Sie werden immer stärker in Entscheidungsprozesse eingebunden, verantworten das Belegungsmanagement und sind für immer größere Einheiten zuständig. Auch die Bereitschaft zur Spezialisierung steigt: Zu den Psychiatrie-, OP- und Intensivfachkräften sind diverse Experten hinzugekommen, etwa die Fachpflegekraft für Gerontopsychiatrie oder Nephrologie.

Arbeitgeber wollen "absenken und spreizen”
Um es aber mit dem Geriater Ingo Füsgen von der Universität Witten/Herdecke auszudrücken: Die Krankenhäuser danken den Pflegekräften ihr Engagement nicht, sie bremsen die Motivation aus, sich weiterzubilden und Verantwortung zu übernehmen. Weiterbildungen erfahren meistens nur minimale finanzielle Anerkennung. "Pflegefachkräfte werden zwar höher eingruppiert, doch sie erhalten in ihrer Entgeltgruppe oftmals weniger Weihnachtsgeld. Außerdem werden sie in puncto Berufserfahrung zurückgestuft. Dies ist ein Tarifsystemfehler, aber die Arbeitgeber haben kein Interesse, ihn zu korrigieren”, sagt Gabriele Gröschl-Bahr, Bereichsleiterin Tarifpolitik bei Verdi. Hinzu kommt, dass sie die Eingruppierung der Pflegekräfte mit einer der inzwischen zahlreichen neuen Fachweiterbildungen verzögerten. Unterdessen planen die kommunalen Krankenhäuser offenbar eine niedrigere Entgeltgruppe für Neueinsteiger. "Sie nennen das ,Absenken und Spreizen‘. Das bedeutet, dass sie als normale Pflegekraft im TVöD weniger erhalten und nur einige von ihnen aufgrund ihrer Qualifikation eine Zulage. Diese scheinbar Privilegierten verdienen dann aber auch nur so viel wie vorher.” Durch diese Pläne könnten sich die aktuellen Tariferhöhungen für den öffentlichen Dienst von 6,3 Prozent bis Februar 2014 für die Pflegekräfte mehr oder weniger wieder aufheben. "Doch wir werden diese Verschlechterung nicht mitmachen”, sagt Gröschl-Bahr.

Krankenhausträger mögen dem entgegen halten, dass ein höheres Gehalt bei bestem Willen nicht zu finanzieren sei. Doch dieses Argument verliert an Schlagkraft. Sicherlich, das Personalbudget ist durch die vielen Tariferhöhungen für die Ärzte ausgeschöpft. Doch dies wird sich in den nächsten Jahren ändern, meint Boris Augurzky vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI). Schließlich sparen die Krankenhäuser durch die zunehmende Zahl von Assistenzkräften Kosten ein. "Sie sind fast um die Hälfte günstiger als examinierte Kräfte, sodass Geld für die Qualifizierten frei werden würde”, sagt der Krankenhausexperte. Hinzu kommt: Durch gut qualifizierte Pflegekräfte können auch teure Arztstellen eingespart werden.

Krankenhäuser beginnen, Pflegekräfte abzuwerben
Doch freiwillig werden die Träger einer Gehaltserhöhung nicht zustimmen. Und ob das Engagement von Verdi ausreicht, ist fraglich. Die Gewerkschaft bedient ein breites Spektrum von Berufsgruppen, und die Pflegekräfte sind nur in geringem Umfang vertreten: Nach Expertenschätzungen sollen weniger als zehn Prozent von ihnen bei Verdi organisiert sein. Augurzky prophezeit, dass der Markt die Gehälterfrage richten wird. "Bedingt durch den zunehmenden Fachkräftemangel werden einige Krankenhäuser anfangen, gut qualifizierte Pflegekräfte – etwa Intensiv- und OP-Fachkräfte – von anderen Häusern abzuwerben. Und dies wird, wie in anderen Branchen auch, unter anderem über das Gehalt laufen”, sagt der Autor des Krankenhaus Rating Reports 2012. Die anderen Kliniken müssten dann mit Gehaltserhöhungen reagieren, um ihre Pflegekräfte zu halten. Eine solche Entwicklung könne bereits einsetzen, wenn nur 10 bis 20 Prozent der Pflegekräfte zum Wechsel bereit seien und dem Angebot der Konkurrenzhäuser folgten. Ohne diese Dynamik wäre sicherlich auch Henke mit seinem Marburger Bund weniger erfolgreich.

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