Interview mit Andreas Westerfellhaus
Besteht bei Ihrem offenen Brief nicht leicht die Gefahr, dass sich die Bundeskanzlerin überfordert fühlt? Sie kritisieren den Vorschlag von Jens Spahn, 15.000 zusätzliche Stellen in der Krankenpflege durch einen der Verzicht der Ärzte auf Gehaltssteigerung zu schaffen; außerdem schlagen Sie ein recht diffus beschriebenes Pflegeversorgungsgesetz vor. Das ist ein ordentlicher Rund-um-Schlag …. die Folge vielleicht eines allzu intensiven Abstimmungsprozesses?
Nein, gar nicht. Es ist klar, dass ein offener Brief so formuliert sein muss, dass auch alle anderen, die diesen offenen Brief zu lesen bekommen – etwa über die Medien – eine ungefähre Vorstellung erhalten, wo wir die Probleme sehen, und welche Lösungen wir vorschlagen. Das Entscheidende aber ist, dass der Brief Impuls sein soll, denn wir wollen mit der Kanzlerin ins Gespräch kommen. Sie muss in diesem bedeutenden Wahljahr die Pflege zur Chefsache machen. Denn alle unsere Versuche, mit dem Bundesgesundheitsminister nachhaltige Konzepte zu erarbeiten, blieben erfolglos. Der Vorschlag von Jens Spahn für die Gegenfinanzierung von 15.000 Pflegestellen den Ärzten einen Verzicht auf Tariferhöhungen abzuhandeln ist für uns letztendlich nur Aufhänger gewesen.
Grundsätzlich müssten Sie sich aber doch über seinen Vorschlag freuen ...
Wir haben schon vor einiger Zeit darauf hingewiesen, dass eine Fortführung des Pflegestellen-Förderprogramms dringend notwendig ist, damit die eingestellten Pflegekräfte weiterfinanziert werden können. Es ist bedauerlich, dass Jens Spahn unsere Forderung jetzt mit so wenig Ernsthaftigkeit aufgreift und einfach sagt: ,Nun gut, dann müssen die Ärzte bei den Tarifverhandlungen zugunsten der Pflege auf ihre Forderung verzichten.'
Außerdem sind einige handwerkliche Verbesserungen nötig. Es müssen viele Detailfragen beantwortet werden, einfach pauschal die vorherige Ausgestaltung des Pflegestellenförderprogrammes abzukupfern ist keine Lösung. Es muss sichergestellt werden, dass eine zukünftige Finanzierung auf Verlässlichkeit und Nachhaltigkeit angelegt ist.
Mit dem Brief wollen Sie also erreichen, dass ernsthaft darüber nachgedacht wird, wie dauerhaft 15.000 zusätzliche Stellen geschaffen werden können?
Ja, genau – vor allem aber finanziert. Also die Zahl 15.000 hat jetzt Jens Spahn in die Diskussion gebracht. Wir gehen davon aus, dass über das Förderprogramm damals an die 10.000 zusätzliche Stellen geschaffen worden sind. Reiben wir uns nicht an den 15.000 Stellen. Schlimm ist, dass wegen einer unzureichenden Krankenhausfinanzierung weiterhin Pflegekräfte entlassen werden. Das ist paradox und gefährlich, es verschärft die unerträgliche Arbeitsbelastung der Pflegenden immens und gefährdet letztendlich damit zunehmend weiterhin eine qualifizierte Patientenversorgung.
Über einzelne Häuser – wie die Uniklinik Freiburg – habe ich so etwas gehört. Aber sehen Sie wirklich allgemeine Tendenzen?
Nicht nur Tendenzen. Ich erhalte Rückmeldungen, dass es in Krankenhäusern in ganz Deutschland passiert, ich sehe es in meinem ostwestfälischen Raum und entnehme es den Berichten einzelner Mitarbeiter, die mir auch als Krankenhaus-Geschäftsführer sagen: Also wir haben keine gesicherte Weiterfinanzierung, wir müssen die über das Pflegestellen-Förderprogramm eingestellten Mitarbeiter wieder entlassen.
Waren Sie in die Protestaktion der Deutschen Krankenhausgesellschaft involviert?
Nein, ich war, ehrlich gesagt, sehr überrascht von der Aktion: Wir hatten vorab keinerlei Informationen erhalten. Es hätte aus meiner Sicht der DKG gut angestanden, die betroffenen Berufsgruppen – ob Ärzte, ob Pflegekräfte – einzubeziehen. Die defizitäre Krankenhausfinanzierung betrifft doch nicht nur Träger und Geschäftsführungen. Defizite einer unzureichenden Finanzierung müssen vor allem die Berufsgruppen vor Ort ausbaden. Nun denn, ich wünsche der DKG, dass sie Gehör findet, vor allem im Sinne der Patienten und der Beschäftigten. Auf welche Weise auch immer, denn die DKG muss sich sicherlich auch fragen lassen, ob ihre Mitglieder alles Notwendige getan haben, um die Prozessstrukturen in den Kliniken so zu ändern, dass Leistungen auch entsprechend den sich ändernden Rahmenbedingungen erbracht werden können.
Wie viel Zeit geben Sie Frau Merkel? Und was machen Sie, wenn sie nicht reagiert?
Wir werden im Bundestagswahlkampf alle Abgeordneten mit Wahlprüfsteinen konfrontieren und parallel dazu die Öffentlichkeit informieren welche Leistungen Pflegende für die Gesellschaft erbringen und mit welchen Versorgungsdefiziten sie zu rechnen hat, wenn sich nichts ändert. Und im Übrigen, ich rechne fest damit, dass die Kanzlerin reagiert. Wir haben in unserem Brief eben nicht nur substanzlose und pauschale Kritik geäußert, sondern sind mit sehr konstruktiven Vorschlägen in Vorleistung getreten.
Für die Öffentlichkeitsarbeit brauchen Sie Geld. Sie sagten kürzlich, Sie hätten ein paar Sponsoren im Hintergrund ...
Klar, wir brauchen Verbände und Institutionen, die uns unterstützen – gerade, wenn Sie an eine strukturierte Kampagne zur Bundestagswahl denken.
Welche Art von Organisationen könnten das sein? Patientenorganisationen?
Jede Institution, jede Privatperson kann es sein, die sich in irgendeiner Form der Verantwortung und der brisanten Entwicklung bewusst ist. Ich habe Rückmeldungen auch aus Diskussionen mit der Industrie, die die brisante Entwicklung im Bereich der Pflege wahrnehmen und Informationen und Details zum Umgang mit diesen Herausforderungen von uns formuliert wissen wollen. Und weiterhin stimmt, dass gerade die Kostenträger als Leistungsfinanzierer Seite an Seite mit uns der Berufsgruppe der Pflegenden dafür eintreten müssten, dass die Bürger – ob gesetzlich oder privat versichert – die Sicherstellung einer qualifizierten Versorgung mit professionellen Pflegeleistungen erhalten. Denn das ist das, was die Bürger von Ihren Krankenversicherungen erwarten. Wer Einnahmen generiert, muss auch bei der Leistungserbringung zu seinem Vertrag stehen .Wenn diese Leistungen aus Personalmangel nur eingeschränkt oder gar nicht erbracht werden können, stehen auch die Kassen als Leistungsträger in der Verantwortung. Und Sie glauben es nicht: Die Sensibilität für diese Problematik wächst auch in der Wirtschaft, denn es geht um ihre Beschäftigten, es geht um ein gesamt gesellschaftliches Problem. Das wird zunehmend klarer…
Post vom DPR: Offener Brief an Angela Merkel


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