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MarienhausDie Unbesiegbaren

Seit Jahren kämpft das Marienhaus mit Hilfe eines Anwalts für die richtige Einstufung seiner Bewohner. Mit großem Erfolg: Das Heim kann sich eine ideale Personalquote leisten.

Die Dachorganisation der Medizinischen Dienste der Krankenkassen, der MDS, sitzt in Essen. So wie das Marienhaus. Vielleicht liegt es daran, dass MDS-Sprecherin Christiane Grote bei einem Pressetermin sofort wusste, um wen es sich handelte, als nebenbei der Name dieses Pflegeheimes fiel. Doch die örtliche Nähe scheint nicht der einzige Grund zu sein, denn Grote sagte auch: Das seien doch die, die immer klagen.

Ja, das sind sie. Hubertus Volmer und Georg Bonerz, die Geschäftsführer des unscheinbare Heims am Ende einer grauen Häuserzeile, sind dafür bekannt, dass sie nie ohne ihren Anwalt Frank Schleicher in die Pflegesatzverhandlungen gehen und bei jeder Einstufung, die ihnen zweifelhaft scheint, Widerspruch einlegen. Denn eines steht für den 60-jährigen Bonerz fest, der sich in diesen Tagen aus der Geschäftsführung zurückzieht und nunmehr in Altersteilzeit als "Unternehmenssprecher" fungiert: "Die Qualität und das wirtschaftliche Wohl einer Einrichtung stehen und fallen mit der Einstufung. Als die Pflegeversicherung eingeführt wurde, hatten in den Heimen rund 35 Prozent der Bewohner die Stufe 3, heute sind es in vielen Häusern unter 10 Prozent ? und das bei objektiv zunehmender Multimorbidität und häufigeren Demenzfällen." Wenn Skandale hochkochen, wie jetzt im Seniorenzentrum Bonifatius in Mülheim, wo eine Auszubildende vier Wochen für 14 Bewohner zuständig gewesen sein soll, dann habe dies sehr oft mit der falschen Einstufung der Bewohner zu tun, meint Bonerz. "Ich schätze, dass 70 Prozent der Heime aufgegeben haben und die Pflegestufen nehmen, wie sie kommen."

Für eine Höherstufung gab es am Ende 39.000 Euro
Das Marienhaus zählt nicht dazu: Zurzeit laufen knapp über 32 Verfahren. Das ist für die Einrichtung, deren Gesellschafter zu 98 Prozent die Pfarrei St. Gertrud ist und zu 2 Prozent das Bistum Essen, nicht besonders viel: Schon im ersten Jahr nach Einführung der Pflegeversicherung zählte das Heim 41 Verfahren. Bis heute hat das Marienhaus die meisten Fälle gewonnen. Einer ist Bonerz besonders in Erinnerung geblieben:"Es ging um die Höherstufung von der Pflegestufe 2 auf 3. Das Verfahren hat sich über genau sechs Jahre, vier Monate und zehn Tage hingezogen. Am Ende haben wir rückwirkend 39.000 Euro erhalten." Diese Zahlung hat wie die all der anderen gewonnenen Fälle vor allem dazu gedient, die Löcher im Heimhaushalt zu stopfen. Denn das Marienhaus kalkuliert seinen Personalschlüssel mit dem von ihm ermittelten realen Arbeitsaufwand für einen Bewohner und nicht mit dem, der sich aus der aktuellen Einstufung bei der Aufnahme ableitet. "Die Bewohner sind meistens ein bis zwei Stufen zu niedrig eingestuft, wenn sie von zu Hause ins Marienhaus kommen. Manche haben sogar gar keine Pflegestufe", erklärt Anwalt Frank Schleicher.

Schleichers Honorar ist offenbar gut angelegt. "Wegen der vielen Höherstufungen verfügen wir mit unseren 110 Plätzen über ein jährliches Budget von rund 5 Millionen Euro, andere Einrichtungen vergleichbarer Größe dagegen oft nur über 3 Millionen", sagt GeorBonerz. Davon profitieren Bewohner und Mitarbeiter, der Personalschlüssel im Marienhaus ist ungewöhnlich hoch: Auf eine Pflegekraft kommen 2 bis 2,2 Bewohner über drei Schichten, in anderen Heimen sind es meistens vier Bewohner. Hinzu kommen drei Sozialarbeiterinnen auf 2,5 Stellen, die sich um das Freizeitangebot für die Bewohner und die rund 45 ehrenamtlichen Mitarbeiter kümmern.

Gerontopsychiater hilft bei der Einstufung
Die Sozialarbeiterinnen sorgen mit den freiwilligen Helfern für täglich vier regelmäßige Freizeitangebote wie Gymnastik- und Backkurse oder eine Leserunde. Außerdem gibt es Ausflüge, Damenkränzchen, Männerstammtische, Dämmerschoppen mit dem Essener Hafenchor und tägliche Gottesdienste. Dies reichhaltige Programm unterhält und wirkt zugleich therapeutisch, meint Gerontopsychiater Helmuth Schaffert, der ? ein weiterer Luxus, den sich das Haus durch die erfolgreichen Höherstufungen leisten kann ? zwei Tage in der Woche im Marienhaus arbeitet. "Jeder dritte Heimbewohner ist von Depression betroffen, fünfzig Prozent sind seelisch krank. Neuroleptika helfen bei ihnen nicht, sie machen oft alles nur noch schlimmer. Wirklich sinnvoll sind stützende Gespräche, kognitive Reize, körperliche Herausforderungen und Beschäftigung."

Schaffert kümmert sich um Heimbewohner mit psychischen Problemen, redet mit ihren Angehörigen und diskutiert über die Fälle mit den Pflegekräften in der Supervision ? über den Bewohner, der "sich ubiquitär die Frauen greift", wie der Geronto­psychiater es ausdrückt, oder die alten Damen und Herren, die ohne Unterlass schreien oder die Klingel drücken. Schaffert und die Mitarbeiter gehen dem Verhalten auf den Grund und suchen nach Lösungen. Die Pflegekräfte sind vertraut mit der Gerontopsychiatrie, fast alle besuchen Schulungen, die Schaffert für sie und die Mitarbeiter zweier weiterer Einrichtungen in der Nähe abhält. "Mit ihrer Kenntnis können sie den Bewohnern ganz anders gegenübertreten und im Alltag therapeutisch wirken. So wissen sie zum Beispiel, wie sie Gespräche zwischen Bewohnern einleiten können, die stumm beieinander sitzen", sagt Schaffert. Nicht zuletzt sind sie auch Fachleute für die Begutachtung geworden. "Wir haben einen internen Begutachtungsbogen entwickelt, der den Hilfebedarf eines Bewohners vor der eigentlichen Begutachtung der Pflegekasse misst und eine angemessene Pflegestufe ermittelt", sagt Schaffert. Gut 90 Prozent der hausinternen Einstufungen würden akzeptiert. Die restlichen regelt Schleicher.

Dieser Artikel ist in der kma Pflege erschienen. Die nächste Ausgabe der kma Pflege erscheint am 1. März.

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