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KommentarLeiharbeit, ja bitte – sonst ändert sich nichts!

Mit dem Vorstoß der DKG, die Leiharbeit zu verbieten oder zumindest stark einzuschränken, wurde eine neue Diskussion über die Arbeitsbedingungen von Gesundheitsberufen losgetreten. Im Grunde ist es ein Hilferuf nach mehr Regulierung, damit man sich nicht mehr Mühe geben muss. Ein Kommentar von Philipp Köbe.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) ist unzufrieden mit der Zusammenarbeit zwischen Kliniken und Leiharbeits- bzw. Personalleasingfirmen. Sie wirft der Branche das Abwerben von Fachkräften zu deutlich besseren Arbeitsbedingungen und horrende Preise für ihre Dienstleistungen vor. Beides ist inhaltlich richtig. Dazu gibt es zunächst zwei grundlegende Dinge anzumerken. In einem Arbeitsmarkt werden ständig Fachkräfte zwischen Unternehmen abgeworben. Diese Situation kann umso dramatischer sein, je gefragter eine Berufsgruppe ist. Wenn das Personal reihenweise das Unternehmen verlässt, sollte man zunächst das Arbeitsumfeld im eigenen Hause analysieren, bevor man die Schuld bei anderen sucht.

Zum Zweiten wird kein Gesundheitsbetrieb gezwungen bei Leiharbeits- oder Zeitarbeitsfirmen Personal einzukaufen. Wir haben Vertragsfreiheit. Es steht Klinikmanagern frei, bessere Konditionen zu verhandeln oder zu anderen Mitbewerbern zu gehen. Wenn ich am Abend anrufe, um für den kommenden Tag einen Dienst mit einer Fachkraft besetzen zu lassen, wird das teuer. Man kennt es übrigens von der Bahn, die sich Last-Minute Ticketbuchungen ebenfalls zum x-fachen des Regelpreises vergüten lässt.

Der Sinn und Zweck von Leiharbeit

Von 2008 bis 2010 habe ich bei einem mittelständischen Hamburger Personaldienstleister gearbeitet. Wir haben am Standort Köln vorwiegend Pflegehilfskräfte an unsere Kunden in der Altenpflege vermittelt. Damals diente das Instrument Zeitarbeit in erster Linie zur Abdeckung von Spitzen bzw. zur Kompensation unvorhergesehener Ausfälle. Viele unserer Mitarbeitenden wären damals nicht bei den Betrieben direkt eingestellt worden, aus verschiedenen Gründen. In der Zeitarbeit fanden Sie häufig einen Einstieg in eine spätere Festanstellung bei einem unserer Kunden oder konnten einen Nebenjob ausüben. Für die meisten war die Zeitarbeit nur eine Übergangslösung. Der Verdienst lag unter den Gehältern einer Festanstellung in Gesundheitseinrichtungen.

Inzwischen hat sich das Bild jedoch vollständig gewandelt. Statt in der Klinik oder im Pflegeheim erhalten Fachkräfte aus Gesundheitsberufen bei Zeitarbeitsfirmen die besseren Bedingungen. Feste Einsatzzeiten mit planbaren Wochenenden, ausreichend freie Tage zur Erholung sowie teilweise übertarifliche Bezahlung nebst üppiger Zusatzleistungen. Viele Auszubildende an Pflegeschulen erhalten nach dem Abschluss ihrer Ausbildung direkt Angebote in der Leiharbeit und steigen lieber dort ein. Schließlich konnten sie in ihren Betrieben drei Jahre lang genau beobachten, welche Bedingungen auf sie nach der Ausbildung zukommen. Da lehnen nicht wenige eine Übernahme dankend ab. Das führt zu einer Ausdünnung der Personaldecke bei den Einrichtungen, die nun immer mehr auf den Einsatz von Personalleasing angewiesen sind. Die DKG spricht von einer sich verstärkenden Spirale, die bereits in Gange ist. Und natürlich führt es zu schlechter Stimmung in den Betrieben, wenn stets die Leiharbeitskräfte die besseren Bedingungen vorfinden und die Stammbelegschaft das Nachsehen hat.

Todesspirale der Regulierung

Aus Sicht der DKG soll nun also der Gesetzgeber die ganze Branche für die Gesundheitsberufe regulieren. Preisobergrenzen, Verbot der Überlassung von ärztlichem und pflegerischem Personal, Begrenzung der Vermittlungsprovisionen und einiges mehr. Im Grunde sollen alle Markt- und Preismechanismen ausgehebelt werden. Was die Kliniken hier vergessen, ist die Tatsache, dass sie zwar selbst im streng regulierten Gesundheitswesen zurechtkommen müssen, nicht aber die Personaldienstleistungsbranche. Diese können ihre Geschäftsmodelle relativ schnell anpassen. Wenn sich die klassische Leiharbeit nicht mehr lohnt oder verboten wird, verschwindet das Angebot dieser Dienstleistung sofort vom deutschen Markt. Man kann diese gefragten Berufsgruppen auch in die Schweiz, nach Luxemburg oder Österreich vermitteln.

Die Personaldienstleister könnten auch nur noch als Plattformanbieter die Vermittlung von freiberuflich tätigen Ärzten auf Honorarbasis vornehmen, wie es zum Teil ja schon passiert. Das ließe sich auch auf Pflegeberufe übertragen. In den allermeisten Fällen führt mehr Regulierung nicht zu einem besseren Geschäftsumfeld, sondern es wird deutlich verschlechtert. Die DKG erwartet mit diesem Vorstoß eine Entspannung auf dem Arbeitsmarkt knapper Berufsgruppen in Krankenhäusern. Das Gegenteil wird der Fall sein. Und dann ist auch noch die Leiharbeit weg.

Befasst euch mit der Unternehmenskultur

Keine einzige Fachkraft wird an einen Arbeitsplatz zurückkehren, der sie an die physische und psychische Belastungsgrenze bringt. Pflegekräfte arbeiten teilweise 20 Tage und mehr ohne einen Tag frei, dazu noch in wechselnden Schichten. Was an arbeitsrechtliche Grenzen stößt, sollte zum Wohle der Patientenversorgung ohnehin besser überwacht werden. Zunehmende Überlastungsanzeigen hätten beim Klinikmanagement ein Frühwarnindikator sein können, den sie offenbar ignoriert haben. Zudem haben viele Betriebe keine frühzeitig verfügbare Dienstplanung. Von den Mitarbeitenden wird maximale Flexibilität abverlangt. Für Freunde, Familie und Freizeitaktivitäten bleibt in so einem Arbeitsumfeld kein Raum.

Im ärztlichen Bereich sieht es wenig besser aus. Assistenzpersonal wird zwischen Doppel- und Bereitschaftsdiensten zermürbt. Häufig dazu noch in einem autoritär geführten Arbeitsklima. Es ist am Ende eine Frage der Unternehmenskultur, wie man mit seinen Mitarbeitenden umgeht und welche Arbeitsbedingungen man ihnen anbietet. Die guten alten Zeiten des Arbeitgebermarktes sind vorbei und werden so nicht zurückkommen. Die nachwachsende Arbeitnehmerschaft sucht nach Work-Life-Balance und Wertschätzung. Die Hans-Böckler-Stiftung hatte in einer Befragung herausgefunden, dass mehrere Hunderttausend ausgestiegene Pflegekräfte in den Beruf zurückkehren würden, wenn die Bedingungen besser wären. Soviel zur Leiharbeits-Verbotshypothese der DKG. Die Leute werden nicht von der Leiharbeit in die Kliniken zurückkehren, sondern ihren Beruf an den Nagel hängen.

Verfügbare Instrumente besser einsetzen

Seit einigen Jahren haben die Kliniken nun die Pflegepersonalbudgets und müssen den Pflegedienst nicht mehr aus den DRGs finanzieren. Das DRG-System hatte Anreize zur Prozessoptimierung und Personalreduzierung gesetzt, die häufig zulasten der Pflege gegangen ist. Einige Kritik ist hier in jedem Fall angebracht. Ob die Auslagerung der Pflegepersonalkosten das geeignetste Instrument ist, sei dahingestellt, jetzt ist es da. Aber auch hier setzt die Kritik der DKG an. Denn damit können die Kosten für Leiharbeit nicht refinanziert werden. Dabei hatte man jetzt einige Jahre Zeit gehabt, deutlich mehr Pflegepersonal kostenneutral einzustellen oder die Gehälter der Belegschaft zu erhöhen. Warum haben die Klinikmanager keine besseren Pflegebudgets ausgehandelt? Und warum wurden die steigenden Leiharbeitsausgaben in der Budgetplanung nicht antizipiert? Diese Trends sind seit Jahren erkennbar. Es klingt nach einer Ausrede für Missmanagement und mangelnde Planungs- oder Verhandlungskompetenz.

Das Dilemma lässt sich auch sehr gut in der Anwerbung von ausländischen Pflegekräften erkennen. Verkürzt gesagt wird davon ausgegangen, dass diese Menschen zu den vorherrschenden schlechten Bedingungen arbeiten, weil sie ja in ihren Herkunftsländern einen geringeren Lebensstandard haben und es hierzulande so tolle Zukunftsperspektiven gibt. Deutschland ein Schlaraffenland für Pflegefachpersonen. Wie falsch kann ein Selbstbild sein? Die fehlenden Pflegekräfte dauerhaft durch Auslandsanwerbung ins Land zu holen ist eine Illusion. Dafür sind die Voraussetzungen in Bezug auf Sprachkenntnisse, bürokratischen Hürden und die Steuern und Abgaben im internationalen Wettbewerb viel zu hoch sowie die Bedingungen in den Betrieben auch auf kultureller Ebene zu schlecht. Dazu könnte die DKG doch mal ein Positionspapier schreiben.

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