Gertrude Knein ist 97, dement und kämpft mit jedem Bissen. Mit drei ebenfalls hochbetagten und verwirrten Damen sitzt die schwer kranke Heimbewohnerin beim Frühstück, plaudert vor sich hin und versucht dabei, sich ums Essen zu drücken. "Unser großes Augenmerk ist, sie zum Essen zu bewegen, was nicht einfach ist, aber gelingt", sagt Pfleger Thomas Wilmer vom Kölner Caritas-Altenzentrum St.Josef-Elisabeth, in dem 110 Pflegebedürftige leben. Im Morgendienst ab 6.30 Uhr ist dort jede Kraft für zehn Bewohner zuständig - wecken, waschen, auf die Toilette helfen, beim Essen und bei der Pilleneinnahme unterstützen, reden und zuhören.
Viele Pfleger gehen auf dem Zahnfleisch. Personal fehlt überall, aktuell 50 000 Kräfte. In 15 Jahren werden es einer Prognose des statistischen Bundesamts zufolge bundesweit 152.000 Alten- und Krankenpfleger zu wenig sein. Derzeit sind 2,4 Millionen Menschen in Deutschland pflegebedürftig, Tendenz stark steigend. Zuhause werden 1,5 Millionen Menschen versorgt, meist von weiblichen Angehörigen, teils mit Unterstützung ambulanter Dienste.
Dem Pflegenotstand entgegenzusteuern gehört zu den größten Zukunftsaufgaben der Politik. Bei der am Donnerstag gestarteten Länderkonferenz der Gleichstellungs- und Frauenminister in Plön (Schleswig-Holstein) geht es auch darum, Pflegende zu entlasten und ehrenamtliche und professionelle Pflege besser zu verzahnen.
Altenpflegerin Sandra Matewa hat die halbseitig gelähmte Adelheid Röder gewaschen, angezogen, reicht ihr Schnabeltasse und Brotstückchen an. "Sie hatte mehrere Schlaganfälle hintereinander und konnte erst gar nicht schlucken", sagt Matewa. Eigentlich müsste sie längst zur nächsten Bewohnerin hasten, aber die 79-Jährige fordert Geduld. "Es ist zwar sehr stressig und du weißt nie, was wieder alles dazwischen kommt. Aber die Arbeit macht mir Freude", erzählt Matewa. Was sie ärgert: "Viele reden negativ und fragen mich: "Wie kannst du so einen schrecklichen Job machen, mit all den alten Leuten"."
Ihre Kölner Kollegin Christine Steinhäuser würde sich gern zweiteilen. Eine 83-jährige Heimbewohnerin schreit bei jedem Löffel Milchreis, den sie ihr zuführt. "Normalerweise müsste ich jetzt hier abbrechen, ich muss weiter." Denn die Rufe einer Seniorin hallen über den Flur. "Da möchte jemand aus dem Bett. Es kommt immer alles gleichzeitig. Es belastet mich schon, dass ich zu wenig Zeit habe für die Bewohner, dass ich so unter Druck bin", sagt sie. Und: "Es ist hart, wie abfällig über unseren Beruf geredet wird. Viele glauben, dass wir nur Betten abziehen und Pampers wechseln."
Die Seniorin Gertrud Birkenheier schildert: "Ich wollte früher nie ins Heim. Man hört ja schlimme Sachen." Aber sie sei gut versorgt und habe ein inniges Verhältnis zu den Pflegekräften. Nicht alle im Altenzentrum sind so dankbar wie die 75-Jährige. Einige Alte sind desorientiert, wehren sich vehement und mit aller Kraft gegen jede Annäherung. "Wenn man diesen Beruf ohne Herzblut und ein bisschen Idealismus macht, dann hält man nicht lange durch", sagt Thomas Wilmer. "Personal zu bekommen gestaltet sich durchgängig schwierig."
Die Gründe: "Wenn man die Bezahlung mit der freien Wirtschaft vergleicht, ist sie in der Pflegebranche viel zu niedrig." Die Arbeit sei körperlich anstrengend, der Umgang mit Leid und Tod gehe nahe. "Und reißerische Berichte machen unsere positive Arbeit zunichte", meint Wohnbereichsleiter Wilmer. Die Pflegebranche gehöre zu den am besten kontrollierten überhaupt. Mehrere Träger wollen das Berufsimage mit einer Kampagne verbessern.
Es reiche nicht, nur auf das vom Gesundheitsministerium ausgerufene "Pflegejahr 2011" und eine Reform zu warten, heißt es in der Branche. Arbeitgeber, Wohlfahrtsverbände und Pflegerat verlangen mehr Finanzmittel. Wilmer: "Die zentrale Frage ist doch: Was ist eine Gesellschaft bereit, für die Pflege ihrer alten, kranken Menschen auszugeben?"


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