Im Clara Zetkin Haus in Halle herrscht Trubel. In dem Seniorenzentrum der Arbeiterwohlfahrt (AWO) steht Kay Herrmann auf der Leiter und hängt Girlanden auf für das Fest am Nachmittag. Der 21-Jährige hat den weißen Kittel mit dem Blaumann getauscht, denn der Physiklaborant leistet seit dem 1. Juli Zivildienst in dem Heim. Hier leben rund 80 Menschen, im Durchschnitt sind sie 80 Jahre alt. Der junge Mann ist einer von knapp 50.000 Zivis in Deutschland. "Eine Waffe in die Hand zu nehmen, das ist für mich absolut tabu", beschreibt er seine Beweggründe für den Dienst außerhalb der Kaserne.
Doch die Pläne des Bundes zur Reform der Bundeswehr sorgen für große Verunsicherung: Bei Betreibern von Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern ebenso wie bei Bewerbern für den Zivildienst. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) will die Wehrpflicht aussetzen, das hätte auch Folgen für den Zivildienst, befürchten Wohlfahrtsverbände. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) schlägt statt der Pflicht einen freiwilligen Zivildienst vor und will dafür rund 35 000 Frauen und Männer in Deutschland gewinnen. Doch wo sollen sie herkommen?
"Wir haben es hier mit Menschen zu tun, das ist nicht wie am Fließband. Es wäre für uns richtig schlimm, wenn es die Zivis nicht mehr gibt", sagt die Pflegedienstleiterin des Seniorenheimes, Kerstin Häcker. Das Korsett in dem Drei-Schicht-Betrieb sei wie überall in der Pflege in Deutschland schon eng. Die Zeit, jemandem einfach mal zuzuhören, sei knapp, da helfe jede zusätzliche Kraft.
"Der überwiegende Teil der Zivis macht die Arbeit mit sehr viel Herzblut und Engagement, da ginge uns eine Menge verloren", beschreibt der Geschäftsführer im Martha-Maria Krankenhaus in Halle- Dölau, Walther Seiler, die Erfahrungen im Alltag. Der weitläufige Komplex gehört zum Diakoniewerk mit Sitz in Nürnberg, das bundesweit Krankenhäuser, Seniorenzentren und andere soziale Einrichtungen mit rund 3400 Mitarbeitern hat.
Der Theologe Seiler fordert klare Worte von der Politik, denn die Zahl der Bewerber für den Zivildienst sei zurückgegangen. "Wir haben derzeit 19 Ziviplätze in unserem Krankenhaus in Halle, aber nur 7 sind besetzt." Nach Ansicht von Wohlfahrtsverbänden sind junge Leute, die ein freiwilliges soziales Jahr etwa vor dem Studium leisten, eine eher planbare Größe geworden als Zivis.
Die Verunsicherung bei den Bewerbern für den Zivildienst sei größer geworden seit dessen Verkürzung von neun auf sechs Monate im Juli, sagt Seiler. "Hinzu kommt ja auch, man braucht erstmal einige Zeit, um jemanden einzuarbeiten, der nicht aus der Pflege kommt." Außerdem sei es für alte und pflegebedürftige Menschen nicht schön, wenn ständig jemand Neues auftaucht.
"Der Umgang mit älteren Leuten ist eine Erfahrung wert", meint ein 20-jähriger Zivi, der in dem Altenheim der AWO seit neun Monaten das Essen ausgibt. "Man lernt hier viel, auch für sich selbst", sagt sein Mitstreiter Herrmann, der sich mit dem Werkzeugkasten in der Hand auch außerhalb von Festen um die Sorgen der Heimbewohner kümmert, ob nun die Tür quietscht, die Gardinen gewaschen werden müssen oder der Rollstuhl geputzt werden muss. Einen Beruf in der professionellen Pflege, wozu das "den alten Leuten den Hintern abwischen" gehört, können sich beide dennoch eher nicht vorstellen.


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