Am Anfang des Jahres weiß Matthias Molchin (Name geändert) häufig noch nicht, in welche Notaufnahme es ihn dieses Mal verschlagen wird. Mal ist es eine Klinik im Südwesten Deutschlands, manchmal zieht es ihn in die Schweiz. "Das macht mir gar nichts aus, wenn nur die Arbeitsbedingunen und das Gehalt stimmen?, sagt der 55-Jährige. Beides stimmt meistens, denn der gebürtige Stuttgarter weiß um seine gute Verhandlungsposition. Er ist nicht nur ein examinierter Krankenpfleger und Rettungsassistent, sondern verfügt über zahlreiche Zusatzqualifikationen in der Intensivmedizin und eine lange Berufserfahrung. Weil solche Pflegefachkräfte händeringend in den Kliniken gesucht werden, wurde Molchin zum Leiharbeiter in der Pflege, zu einem Zeitreisenden in Sachen Gesundheit.
2.200 Euro Nettoverdienst plus Zulagen
Seit 2008 arbeitet er so, heuert für mehrere Monate bei einer Klinik an und zieht dann weiter. "Man lernt durch die vielen Stationen sehr viel, und es ist abwechslungsreich dazu?, sagt er. Während viele Leiharbeiter dieses Nomadenleben als unerträglich empfinden, nutzt Molchin es zum eigenen Vorteil. 2.200 Euro netto verdiene er, sagt er, dazu kämen Zulagen. Zudem habe der letzte Arbeitgeber die Miete übernommen. "Man kann viel herausholen, wenn man entsprechend qualifiziert ist?, sagt der Pfleger. Mit welchen harten Bandagen inzwischen in der Branche um hoch qualifiziertes Pflegepersonal gekämpft wird, zeigt sich auch an den ersten Fällen von Ablösezahlungen, um Personal abzuwerben.
Molchin gehört zu jener noch kleinen Gruppe von spezialisierten Pflegefachkräften, die sich zunehmend ihrer Marktmacht in einem leer gefegten Pflegemarkt bewusst werden. Sie sind weder repräsentativ für Leiharbeit im Gesundheitssektor noch ist ihre Anzahl derzeit sehr groß. Aber immer mehr von diesen spezialisierten Pflegekräften haben das Beispiel von Honorarärzten vor Augen, die für saftige Vergütungen zeitweise in Kliniken "einfliegen?.
Gleichwohl ist die Situation derzeit unübersichtlich. Leiharbeit ist bislang kein Massenphänomen in der Pflege. Außerdem richten die Krankenhäuser selbst immer häufiger Personalservicegesellschaften ein, die zum Ärger der Gewerkschaften ihre Mitarbeiter weitaus schlechter entlohnen als die Kollegen, die im Krankenhaus direkt angestellt sind und oft nach Tarif bezahlt werden. Beschäftigt sind in diesen Personalservicegesellschaften aus dem Pflegebereich vor allem Pflegehilfskräfte und Funktionsdienstmitarbeiter. Zumindest zeitweise arbeiten dort aber auch Pflegefachkräfte ? wie in der Personalservicegesellschaft von Ameos.
"Zeitarbeit ist für Pflegefachkräfte in der heutigen Mangelsituation nicht wirklich ein Thema?, meint dagegen Johanna Knüppel, Sprecherin des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK). Im vergangenen Winter habe der Verband dazu eigens eine Umfrage gestartet. "Nach ewiger Zeit meldeten sich gerade mal fünf Pfleger. Das war?s?, sagt Knüppel. Besonders die sehr stark nachgefragten Fachkräfte in den Bereichen OP, Intensivmedizin und Anästhesie wüssten, "dass sie viel zu wertvoll sind, um sich an Zeitarbeitsfirmen verkaufen zu müssen?, so die DBfK-Sprecherin.
Rückmeldungen aus der Branche würden zeigen, dass es sich bei examinierten Kräften in Zeitarbeitsfirmen oft um Beschäftigte handele, deren Qualifikation häufig nicht ausreichend sei oder die Kliniken nach der Ausbildung wegen ungenügender Leistungen nicht übernommen hätten, sagt Knüppel.
So gesehen hätte Jens Göricke wirklich ein gewaltiges Problem. Er ist Geschäftsführer der Berliner Dependance von "Home of Jobs?, einer auf die Gesundheitsbranche spezialisierten Zeitarbeitsfirma. Von seinen derzeit 41 Mitarbeitern "sind 80 Prozent qualifiziertes Personal?, sagt Göricke. Diese würden regelmäßig bei Vivantes oder in kleineren Berliner Kliniken eingesetzt, darunter als OP- und Anästhesiepfleger.
"Es ist zwar sehr schwierig, gutes Personal zu bekommen. Aber es ist möglich, wenn man den Mitarbeitern ein gutes Arbeitsumfeld bietet ? und natürlich die Entlohnung stimmt.? Er zahlt bis zu 17 Euro Stundenlohn für examinierte Fachkräfte, "gutes Verhandlungsgeschick? vorausgesetzt. Göricke hofft mittelfristig den Kliniken sogar komplette OP-Teams anbieten zu können.
Die vier Leiharbeiter-Typen
Im Fachforum www.Krankenschwester.de im Internet lassen sich in der Debatte um Leiharbeitskräfte in der Pflege gut jene vier Hauptgruppen von Pflegepersonal identifizieren, die es zu den Zeitarbeitsfirmen zieht. Zum einen sind es qualifizierte Pflegekräfte, die die Zeitarbeit als Übergangsphase in die Selbstständigkeit ansehen. Oder Schwestern und Pfleger, die die inzwischen extreme Arbeitsbelastung beim Pflegepersonal in den Kliniken nicht mehr mitmachen wollen, so wie die Userin "Trinella?. "Ich habe heute ein kleines Stundenkontingent bei einer Zeitarbeitsfirma, bin auch freiberuflich unterwegs und damit sehr viel zufriedener?, schreibt die Krankenschwester. Dazu kommen junge Pflegekräfte, die sich nach ihrer Ausbildung "einen Überblick über die Branche verschaffen wollen?, wie es Jens Göricke ausdrückt. Aber eben auch Personal, das tatsächlich anderswo nicht untergekommen ist.
Wie weit verbreitet der Einsatz von examinierten Leihpflegekräften in den Kliniken derzeit tatsächlich ist, ist mangels belastbarer Zahlen schwer abzuschätzen. Weil Zeitarbeit zudem in der öffentlichen Wahrnehmung gern mit Lohndumping und schlechten Arbeitsbedingungen gleichgesetzt wird, schweigen viele Klinikbetreiber lieber zu dem Thema. Unternehmen wie Ameos oder das Uniklinikum Essen stehen seit Monaten unter heftiger Kritik der Gewerkschaften. Asklepios bekam von Verdi sogar das wenig schmeichelhafte Etikett "Schlecker der Gesundheitsbranche? verpasst. Weder Asklepios noch Vivantes als größter kommunaler Klinikkonzern wollten sich auf Anfrage zum Thema Zeitarbeit in ihren Unternehmen äußern.
Leiharbeiter halten den OP-Betrieb aufrecht
Sicher scheint aber, dass qualifizierte Leihpflegekräfte in den Kliniken längst nicht mehr nur eingesetzt werden, um kurzfristige Arbeitsspitzen oder Krankheitsausfälle zu überbrücken. Zeitarbeiter werden inzwischen auch dazu eingesetzt, den wachsenden Überstundenberg der Stammbelegschaften abzubauen oder in einigen Fällen den Betrieb überhaupt noch aufrechterhalten zu können, urteilt Michael Isfort, stellvertretender Geschäftsführer des Deutschen Institutes für Pflegeforschung (Dip). "Ein Beispiel ist die Intensivmedizin, sie das Nadelöhr der Kliniken. Weil es hier an ausgebildeten Pflegepersonal fehlt, mussten Kliniken schon Operationen absagen.?
Für Isfort ist das Problem hausgemacht. Seit Jahren fahren die Kliniken einen drastischen Sparkurs beim Personal. "In den vergangenen acht Jahren sind rund 50.000 Vollzeitpflegestellen in den Krankenhäusern entfallen, teilweise sind 15 Prozent der Stellen unbesetzt.? Nun zu glauben, man könne dauerhaft mit Zeitarbeit die entstandenen Personalmangel in den Kliniken in den Griff kriegen, sei eine "Überschätzung der Zeitarbeit.? Viel wichtiger sei es, so Isfort, grundsätzliche Kurskorrekturen vorzunehmen, denn häufig genug plagt die Personaldienstleister das gleiche Problem wie die Klinikbetreiber: Sie finden kein qualifiziertes Pflegepersonal, um ihre offenen Stellen zu besetzen.
Der Sana-Konzern hat inzwischen auf dieses Notlage reagiert. Während das Unternehmen im Pflegehilfsdienst 145 Leiharbeiter aus der eigenen Personal Service GmbH einsetzt, setzt Sana bei den examinierten Kräften längst wieder auf die Ausbildung des eigenen Nachwuchses. "Wir bieten jedem Auszubildenden mit guten Noten eine Übernahmegarantie?, so Unternehmenssprecherin Susanne Heintzmann.
Dieser Artikel ist in der kma-Ausgabe September erschienen.


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