Georg Thieme Verlag KGGeorg Thieme Verlag KG
Georg Thieme Verlag KGGeorg Thieme Verlag KG

PflegekostenReha spart Millionen

Die geriatrische Rehabilitation erhöht spart Geld, und trotzdem tritt ihre Entwicklung auf der Stelle. Der Grund: Das ungleiche Kosten-Nutzen-Verhältnis der Kranken- und Pflegekassen.

Die Altersmedizin gilt - im Gegensatz zur Chirurgie oder Orthopädie - als glanzlose Disziplin. Dieter Lüttje, Chefarzt der geriatrischen Abteilung des Klinikums Osnabrück, weiß eine andere Geschichte zu erzählen, wie die einer 85-jährigen Patientin: Sie brauchte morgens Hilfe, um aus dem Bett zu kommen, ihr Mann war kognitiv beeinträchtigt. Mit einer Pneumonie kam sie auf die Geriatrie ins Klinikum Osnabrück und war, nachdem sie den Infekt durchgestanden hatte, bettlägerig. Lüttje stellte einen Reha-Antrag, den die Kasse mit der Begründung ablehnte, die Patientin habe eine Demenz und sei pflegebedürftig. "Doch wir hatten Glück: Der Kostenträger-Mitarbeiter, mit dem ich verhandeln musste, war ein alter Schulkamerad von mir. "Wir versuchen das", sagte er." Und tatsächlich: Die angebliche Demenz entpuppte sich als Depression, die sich während der Reha schnell besserte. Eine Medikamentenumstellung und die Aussicht, wieder nach Hause zu kommen und nicht mit ihrem Mann ins Pflegeheim ziehen zu müssen, wirkte Wunder.

"Diese Patientin hat nach 17 Tagen stationärer geriatrischer Rehabilitation ihre Mobilität wiedererlangt, konnte Pflegestufe 1 behalten und weiterhin zu Hause leben", erzählt Lüttje, der auch Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Geriatrie (BV Geriatrie) ist. Nach seiner Beobachtung erhalten viel zu wenige alte Menschen eine Reha-Behandlung, viel zu oft werden sie als "nicht rehafähig" eingestuft. "Wir leisten uns eine Doppelblindstudie: Den Reha-Antrag im Krankenhaus stellt meistens ein junger Stationsarzt ohne geriatrische Expertise, der die Reha-Potenziale eines alten Menschen nicht beurteilen kann. Er stellt einen wenig überzeugenden Reha-Antrag, der von einem MDK-Arzt beurteilt wird, der ebenfalls kaum geriatrische Erfahrung besitzt. Gutachten für Kinder dürfen beim MDK nur Pädiater schreiben, beim alten Menschen dagegen kann das auch ein Urologe erledigen."

Einsparungen von 407 Millionen

Die Folge: Viele Menschen werden pflegebedürftig, müssen gar ins Heim, weil sie keine geriatrische Rehabilitation erhalten. Das ist nicht nur traurig für die Betroffenen und ihre Familien - es schadet auch der Versichertengemeinschaft. Die geriatrische Rehabilitation spart nachweislich Pflegekosten. Der BV Geriatrie hat von der Gebera, der Gesellschaft für Betriebswirtschaftliche Beratung, die Einsparungen hochrechnen lassen: Sie würden sich auf 407 Millionen Euro in einem Jahr nach der Behandlung belaufen, wenn bei 25 Prozent aller Patienten nach einer geriatrischen Reha die Pflegebedürftigkeit verhindert oder vermindert wird. "Und das sind noch sehr moderate Berechnungen, die sich auch nur auf die aktuelle Situation beziehen und nicht auf die kommenden Jahre, in denen die Zahl der potenziell Pflegebedürftigen ja noch steigen wird", sagt BV Geriatrie-Geschäftsführer Dirk van den Heuvel. Ebenso wenig berücksichtigt ist der Nutzen, der sich aus geriatrischen Präventionsangeboten ergibt.

Offenbar scheint der Nutzen der geriatrischen Rehabilitation den meisten Akteuren im Gesundheitssystem auch einzuleuchten. Die Devise "Reha vor Pflege" ist sowohl im Sozialgesetzbuch (SGB) V als auch im SGB XI verankert. So sind im Pflegeweiterentwicklungsgesetz von 2008 die Pflegekassen im Paragraphen 31 verpflichtet worden, mit Einverständnis des Versicherten ein Verfahren zur Rehabilitation einzuleiten, sofern sie bei der Pflegestufen-Begutachtung ein Reha-Potenzial identifizieren. Sollten die Krankenkassen nicht rechtzeitig reagieren, müssen sie der Pflegekasse zum Ausgleich 3.072 Euro zahlen. Auch gibt es jetzt Bonuszahlungen in Höhe von 1.536 Euro, wenn es einem Pflegeheim durch aktivierende Pflege und Rehabilitation gelingt, dass ein Bewohner eine Pflegestufe niedriger eingestuft wird. Zudem besteht seit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz ein Anspruch auf ambulante Reha-Leistungen auch für Pflegeheimbewohner.

Kassen konterkarieren innovative Projekte

Auch die Krankenkassen setzen sich für das Prinzip Reha beziehungsweise Prävention vor Pflege ein. So hat der AOK-Bundesverband Programme wie "Sicher zu Hause" und "Aktiv bleiben im Pflegeheim" ins Leben gerufen; das Sturz-Prophylaxe-Projekt der AOK Bayern ist inzwischen deutschlandweit bekannt. Zurzeit untersucht der AOK-Bundesverband sogar, "inwieweit Veränderungen und insbesondere Verbesserungen in der Pflegeeinstufung mit vorangehenden Akutbehandlungen oder Rehabilitationsmaßnahmen in Verbindung stehen" - auf Basis empirischer Erhebungen. Ende dieses Jahres sollen erste Ergebnisse vorliegen.

Doch während die Krankenkassen auf Bundesebene vehement für das Prinzip "Reha vor Pflege" plädieren, haben Leistungsanbieter auf Landesebene größte Probleme, die Krankenkassen für die geriatrische Rehabilitation zu gewinnen. Dort verharrt manches innovative Projekt seit Jahren in den Startlöchern, weil es keine Versorgungsverträge mit den Kassen gibt. So hat etwa die Bremer Heimstiftung zusammen mit den Ärzten des kommunalen Klinikverbunds in Bremen, der Gesundheit Nord, eine Firma für die ambulante geriatrische Rehabilitation gegründet. "Doch seit einem Jahr versuchen wir vergeblich, Verträge mit den Kassen zu bekommen", sagt Alexander Künzel, Vorstandsvorsitzender der Bremer Heimstiftung. Ähnliches ist dem St. Franziskus Hospital in Münster passiert: "Wir haben 2008 zusammen mit dem Evangelischen Krankenhaus in Münster und der St. Vincenz-Gesellschaft in Ahlen eine Gesellschaft mit einem hervorragenden Reha-Konzept gegründet: die Mobile Rehabilitation Münsterland GmbH. Doch die Vergütungsverhandlungen mit den Krankenkassen waren bisher ergebnislos", berichtet Christoph Wolters, Leiter des Geschäftsbereichs Geriatrie und Rehabilitation des St. Franziskus Hospitals.

Tagespauschalen sollen sinken

Zurzeit liegen nicht nur innovative Projekte auf Eis. Auch altbewährte Reha-Einrichtungen werden von den Kassen infrage gestellt. Kürzlich haben die Krankenkassen für drei geriatrische Kliniken in Westfalen-Lippe, die vor 15 Jahren als Modelleinrichtungen gegründet und von Bund und Land gefördert wurden, die Vergütungsverträge gekündigt. Die Kliniken in Telgte, Mettingen und Wattenscheid erhalten seit Mitte der 90er Jahre eine Tagespauschale von circa 185 Euro pro Patient. Jetzt wollen die Kassen circa 160 Euro zahlen. Für Patienten, die bereits eine geriatrische Frühreha durchlaufen haben, gar nur 125 Euro. "Das ist desaströs. Denn diese Patienten sind besonders schwer betroffen. Eine Absenkung der Vergütungssätze auf 125 Euro würde bedeuten, dass sie künftig nicht mehr versorgt werden könnten", sagt Wolters, der auch Vorsitzender des Landesverbandes Geriatrie in Nordrhein-Westfalen ist. Hoffnung setzt Wolters in die Schiedsstellen, die der Entwurf des Hygienegesetzes vorsieht. "Dann müssten die Kassen erklären, wie sie zu ihrem Preisangebot kommen."

Woran liegt es, dass die Landesverbände der Kassen zukunftsträchtige Projekte der geriatrischen Rehabilitation ins Stottern geraten lassen, obgleich ihre Bundesorganisationen die Parole "Reha vor Pflege" ausgeben? "Die Kassen vor Ort fürchten einen Dammbruch und haben Angst, Zusatzbeiträge erheben zu müssen", meint der Chef der Bremer Heimstiftung Künzel. Wolters vermutet Ähnliches: "Die schlechte Situation vieler Kassen erzeugt Druck auch auf die anderen: Sie können sich nicht für Dinge einsetzen, von denen sie wissen, dass die anderen sie nicht mittragen können." Doch die Zurückhaltung der Kassen hat nicht nur mit ihrer aktuellen Situation zu tun: Viel entscheidender ist - da sind sich Künzel und Wolters mit allen Geriatrie-Experten einig - dass die Krankenkasse die Rehabilitation zahlen muss, die Pflegeversicherung aber von den Leistungen profitiert. Künzel: "Solange sich dies nicht ändert, wird es keinen Durchbruch der geriatrischen Rehabilitation geben."

CDU: Pflegeversicherung soll Kosten tragen

Zwei Möglichkeiten stehen zur Debatte, dieses Dilemma zu lösen, meint BV Geriatrie-Geschäftsführer Dirk van den Heuvel. "Entweder die Krankenversicherung stellt der Pflegekasse die Leistung im Sinne einer Kostenerstattung in Rechnung, oder die Pflegeversicherer veranlassen sinnvollerweise die Reha-Leistung selbst und zahlen auch für sie. Das heißt, sie wird ein eigener Reha-Träger." Der Geschäftsführer vom Arbeitgeberverband Pflege, Helmut Braun, sieht allerdings ein Problem darin, den ohnehin klammen Pflegekassen noch mehr Kosten aufzubürden. "Schon damals bei der Einführung der Pflegeversicherung haben wir gesagt: Lasst das Geld in einer Hand. Und ich bleibe dabei: Solange Kranken- und Pflegeversicherung getrennte Kassen haben, steht es schlecht um die geriatrische Reha."

Ob eine der drei Möglichkeiten Aussicht auf Umsetzung hat, wird sich spätestens im Sommer zeigen, wenn das Bundesgesundheitsministerium (BMG) seine Eckpunkte für die Reform der Pflegeversicherung vorstellt. Immerhin: Die CDU/CSU-Fraktion hat schon klare Vorstellungen formuliert. In ihrem kürzlich veröffentlichten Eckpunkte-Papier plädiert sie dafür, bei der geriatrischen Rehabilitation die Trennung zwischen dem Kostenträger GKV und dem Nutznießer Soziale Pflegeversicherung zu beseitigen. "Die Pflegekasse könnte künftig beispielsweise die Rehabilitationskosten übernehmen", heißt es in dem Papier. "Die entstehenden Mehrausgaben in der Pflegeversicherung würden dann durch die Übernahme der medizinischen Behandlungspflege durch die Krankenkassen - gegebenenfalls in Form von Pauschalen - kompensiert."

Sortierung
  • Derzeit sind noch keine Kommentare vorhanden. Schreiben Sie den ersten Kommentar!

    Jetzt einloggen