
Das war knapp. Beim Pflegebudget haben die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und der GKV-Spitzenverband eine erneute Ersatzvornahme des Gesundheitsministers gerade noch einmal abgewendet. Der Fallpauschalenkatalog für 2020 wurde gewissermaßen in letzter Minute abgenickt. Die Dramatik ist der Dimension des Projekts angemessen. Es geht um 15 Milliarden Euro und einen „grundlegenden Umbau der Vergütung“, wie GKV-Spitzenverband-Vorstand Stefanie Stoff-Ahnis betont. Auch DKG-Hauptgeschäftsführer Georg Baum sieht einen „echten Systemwechsel“.
Vom kommenden Jahr an sind die Pflegekosten aus den Fallpauschalen (DRG) ausgegliedert, so bestimmt es das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz. Was die Krankenhäuser für Pflege in bettenführenden Abteilungen ausgeben, wird dann gesondert finanziert – orientiert an den tatsächlichen Ausgaben jeder Klinik und mit DRG-Bezug. Ein hoher Pflegeaufwand in einer Leistung wird höher vergütet.
Individuelles Budget für jedes Haus
Sein individuelles Pflegebudget verhandelt jedes Krankenhaus künftig direkt mit den Kostenträgern – im Rahmen der jährlichen Budgetverhandlungen, die in der Regel frühestens im Januar, zum Teil allerdings deutlich später starten. Der Beginn ist auch aufgrund landesbezogener Besonderheiten von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Nachdem die Regelungen zur Pflegeausgliederung auf Bundesebene für das Jahr 2020 vereinbart sind, werden nun genau diese Verhandlungen vorbereitet. Die Details regeln insbesondere die Vereinbarung zur Abgrenzung der Pflegepersonalkosten sowie die Pflegebudgetverhandlungsvereinbarung.
Für die Krankenhäuser geht es jetzt nicht nur darum, die technischen Anpassungen in ihrer Software vorzunehmen, sondern vor allem ihr Wissen auf den neuesten Stand zu bringen. Das brauche Zeit, sagt Dr. Roland Laufer, Geschäftsführer des DKG-Finanzierungsdezernats: „Die Häuser sollten sich gründlich mit der Materie befassen, alle Informationsquellen nutzen und intern möglichst schnell abgrenzen, was eigentlich zur Pflege auf bettenführenden Stationen gehört.“
Vor den folgenden Verhandlungen mit den Kassen graut es vielen. Zumindest bestehe aber kein Zwang, möglichst schnell zu verhandeln, betont Laufer: „Durch die Übergangsregelung sollte die Liquidität gesichert sein.“ Um die Lösung war heftig gestritten worden. Statt wie zunächst geplant einen festen Betrag in Höhe von 130 Euro zu veranschlagen, gilt jetzt ein Satz von 146,55 Euro, der über das jeweilige Relativgewicht des Pflegeerlöskatalogs gewichtet wird.
Schwierige Abgrenzung
„Das System ist für alle neu und eine gewisse Herausforderung“, sagt Uwe Klein-Hitpaß vom Referat Krankenhausvergütung beim GKV-Spitzenverband. Grundsätzlich sei der Rahmen für die Verhandlungen klar vorgegeben, „doch es gibt einzelne Aspekte, bei denen beobachtet werden muss, wie diese jetzt vor Ort vereinbart werden“, sagt Klein-Hitpaß: „Inwieweit sich die jährlich stattfindenden Verhandlungen verlängern, ist noch völlig offen.“
DKG-Mann Laufer erwartet durchaus „einen schwierigen Prozess“. Gerade bei der Abgrenzung der Pflege am Bett könne es „Grenzfragen“ geben, zum Beispiel mit Blick auf unterstützende Kräfte auf Station und einige Berufsgruppen. „Die individuelle Bewertung muss hier jetzt vor Ort erfolgen“, sagt Laufer, „wir haben gewusst, dass es ein lernendes System werden muss.“ Kritisch sieht er, dass insgesamt auf der Datengrundlage von vor zwei Jahren gearbeitet wird: „Das sorgt für eine Unschärfe, denn damals wurde die Pflege-Zuordnung in den Krankenhäusern durchaus unterschiedlich gehandhabt.“ Viele Klinikverantwortliche fragen sich jetzt, ob sie die tatsächlichen Kosten für 2020 wirklich zurückbekommen werden.
Leiharbeit sorgt für Unsicherheit
Für einen weiteren Unsicherheitsfaktor sorgt das Thema Leiharbeit, deren Kosten im Rahmen des Pflegebudgets nur bis zum Tariflohn vergütet werden sollen. Diese Regelung wurde über einen Änderungsantrag Teil des MDK-Reformgesetzes. „Das kam kurzfristig“, sagt Laufer: „Wir waren bislang davon ausgegangen, dass auch für diese Kosten die bisherige gesetzliche Regelung gilt, dass eine über dem Tarif liegende Vergütung sachlich begründet werden muss. Schon diese Regelung bedeutete eine Einschränkung gegenüber der dem Katalog zugrunde liegenden Kalkulation bzw. Ausgliederung. Nun konnten die Auswirkungen auf das System nicht mehr berücksichtigt werden.“ Diskussionen dürfte es auch darüber geben, wie sich pflegeentlastende Maßnahmen im neuen Budget wiederfinden. Beobachter erwarten, dass die Kassen gerade in diesem Bereich genauer hinschauen werden.
Ein lang und viel diskutierter Punkt im Ringen um den DRG-Katalog für 2020 war zudem das Thema der Sachkostenabsenkung. Dadurch gingen den Krankenhäusern rund 200 Millionen Euro verloren, klagt die DKG, doch durchsetzen konnte sie sich nicht. Aus Sicht des GKV-Spitzenverbands sei das ohnehin „eine unberechtigte Diskussion“, sagt Klein-Hitpaß. Zum Umgang mit Sachkostenkorrekturen gebe es ein Konzept des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) und einen Beschluss der Bundesschiedsstelle. Auch das Bundesgesundheitsministerium habe sich eingeschaltet – „da sehen wir unsere klare Position bestätigt“.
Die DKG-Verantwortlichen dürften das Thema trotzdem am Köcheln halten, auch wenn sie auf einem anderen Feld Gehör fanden: Ein Jahr lang sollen die Kliniken ihre Forderungen für alle Behandlungen um 0,3 Prozent aufstocken dürfen – um über die Tarifrate nicht erfasste Lohnerhöhungen beim Pflegepersonal refinanzieren zu können, so die offizielle Begründung.
„Pflege muss eingebunden werden“
Auch Pflegeexperten blicken mit einiger Besorgnis auf das, was da kommen wird. „Die Ziele, die Pflege abzusichern, die Arbeitsbedingungen für die Pflegekräfte zu verbessern und die Versorgungsqualität für die Patienten zu garantieren, sind ehrenwert, aber niemand weiß, ob sie wirklich erreicht werden“, sagt die ehemalige Pflegedirektorin der Uniklinik Köln, Vera Lux: „Alle sind sehr unsicher.“ Weil das Personal künftig deutlich weniger hin und her geschoben werden könne, neue Pflegekräfte aber nicht verfügbar seien, befürchte sie unstrukturierte Kapazitätseinschränkungen, sagt Lux, die zurzeit als selbstständige Managementberaterin arbeitet. Für die Kliniken komme es jetzt darauf an, „genau zu wissen, wie sie in der Pflege aufgestellt sind, und vor allem müssen die Zuständigkeiten im Detail geklärt sein“.
In die kommenden Budgetverhandlungen sowie ins Controlling der Häuser müssten ihre Ex-Kollegen – anders als bislang vielfach üblich – „jetzt zwingend eingebunden werden“, fordert Lux: „Wer keine Infos bekommt, kann auch keine Verantwortung übernehmen und steuern.“ Zudem sei „maximale Unterstützung der IT und der Personalabteilung“ nötig, wenn es darum gehe, alle geforderten Daten bereitzustellen. Gleichzeitig sieht Lux allerdings auch die Pflegeverantwortlichen in der Pflicht, sich trotz der Belastung im Tagesgeschäft noch tiefer mit der Materie zu befassen: „Einige begreifen noch gar nicht, was da auf uns zukommt.“
Problemfall Servicekräfte
Diskussionen zwischen der Pflege und den Kaufleuten in den Kliniken erwartet Lux unter anderem in der Frage, wie Servicepersonal künftig eingesetzt und finanziert wird. Gerade Häuser, die zuletzt viele Aufgaben an Servicekräfte delegiert haben, müssten einige davon wohl wieder den Fachkräften übertragen. Dafür müssten diese möglicherweise übernommene ärztliche Tätigkeiten abgeben. Unterm Strich bleibe deshalb die Sorge, dass sich die Personalsituation sogar verschlechtere – auch zulasten der Versorgungssicherheit, fürchtet Lux, die auch stellvertretende Vorsitzende der Gesellschaft für Qualitätsmanagement in der Gesundheitsversorgung (GQGM) ist. „An den Regeln, mit denen der heutige Personalbedarf ermittelt wird, doktern wir jetzt auf Basis des alten Systems herum – das darf nicht der Status für die Zukunft bleiben. Doch bis endlich ein evidenzbasiertes Pflegepersonalbemessungssystem entwickelt und einsatzbereit ist, werden noch einige Jahre vergehen“, ist Lux überzeugt.
„In der Vergangenheit hat der Gesetzgeber der Selbstverwaltung mehr Zeit eingeräumt, ein neues System einzuführen“, fasst Klein-Hitpaß zusammen. Diesmal habe alles sehr schnell gehen müssen, „und es gibt auch keine budgetneutrale Phase der Umstellung“. Auch deshalb spricht der GKV-Mann wie Roland Laufer von der DKG von „einem lernenden System“: „Wir müssen jetzt schauen, wo es Schwierigkeiten gibt und wir eventuell nachbessern müssen.“





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