Schaut die Altenpflegerin die Bewohnerin an, wenn sie mit ihr spricht? Geht sie auf ihre Gewohnheiten und Wünsche ein? Passt sie sich ihrem Tempo an, wenn sie ihr beim Ankleiden hilft? Es sind die Feinheiten im Umgang, die die Qualität eines Pflegeheims ausmachen. Sicherlich, auch die korrekte Sturz- und Dekubitusprophylaxe sind wichtig, aber sie allein reichen nicht, damit der Bewohner sich wohlfühlt. Doch wie können Prüfer diese Feinheiten des Umgangs prüfen und wie bewerten? In Bayern hat das Sozialministerium eine Antwort auf diese Frage gefunden: Es fordert in seinem überarbeiteten Prüfleitfaden seit 2009 seine Mitarbeiter auf, den Heimbetrieb zu beobachten: sich mit in den Speisesaal zu setzen und die Atmosphäre auf sich wirken zu lassen, die Bewohner in den Gemeinschaftsräumen und in ihrem Zimmer zu besuchen, die Mitarbeiter bei der Grund- und Behandlungspflege zu begleiten. 50 Prozent der Zeit vor Ort sollten sie mit den Bewohnern in Schlüsselsituationen verbringen, 30 Prozent im Gespräch mit Mitarbeitern und nur 20 Prozent mit der Prüfung der Dokumente und der Strukturqualität.
Keine Chance für Strategiker
"Das ist ein einzigartiges Vorgehen in Europa", sagt Stefan Ackermann, der mit seiner Gesellschaft für Ausbildungsforschung und Berufsentwicklung (GAB) den Prüfleitfaden konzipiert hat für das Ministerium beziehungsweise für die Heimaufsichten, die seit dem neuen Pflege- und Wohnqualitätsgesetz von 2009 den sperrigen Namen "Fachstellen für Pflege- und Behinderteneinrichtungen ? Qualitätsentwicklung und Aufsicht" (FQA) tragen. Ungewöhnlich ist nicht nur, dass der Leitfaden das Beobachten so stark betont. Es überrascht ebenfalls, dass die Prüfer in ihrem Bericht ihre Beobachtungen beschreiben sollen. Häkchen setzen, Ja- und Nein-Antworten ? alles dies ist in Bayern nicht möglich, weil der Leitfaden nur offene Fragen enthält. "Das Ministerium hat sich ausdrücklich gegen einen Anforderungskatalog mit geschlossenen Fragen entschieden. Denn auf diesen könnte sich jede Einrichtung strategisch vorbereiten ? gerade das aber sollte verhindert werden. Denn wir wollen ja nicht prüfen, wie gut es einer Einrichtung gelingt, sich an einen Prüfkatalog anzupassen", sagt Ackermann, der inzwischen 450 Gutachter im Umgang mit den neuen Prüfleitlinien ausgebildet hat. Das beste Beispiel für diesen Anpassungsprozess liefere der MDK-Transparentbericht, den jetzt fast alle Einrichtungen mit Bravour bestünden,?? eben, weil sie gelernt hätten, sich auf die konkret formulierten Anforderungen einzustellen.
Auch für die Einrichtungen hat diese qualitative Beurteilung, bei der keine Noten vergeben werden, große Vorteile. So beginnt jeder Abschnitt im Prüfleitfaden mit der Frage nach Stärken und Best-Practice-Beispielen. Fast noch wichtiger aber ist, dass die Einrichtungen sich erklären können: So dürfen etwa auch Hilfskräfte Medikamente stellen und austeilen ? allerdings muss die Einrichtung nachweisen können, dass diese dazu auch geeignet sind. Auch ist die Prüfung, längst nicht mehr so fixiert auf die Dokumentation. Der Leiter des Seniorenzentrums St. Klara in Wertingen, Robert Frank, nennt ein Beispiel: "Wir können jetzt von der Grund- bis zur Behandlungspflege von der Schichtleitung alles pauschal abzeichnen lassen. Auch dokumentieren wir unsere Pflegeplanung jetzt analog zu unserer individuellen Tagesstruktur, wir müssen sie nicht mehr standardisiert, orientiert an den ADL (Aktivitäten des täglichen Lebens, Anm. d. Red.) niederschreiben."
Der MDK akzeptiert die individuelle Dokumentation
Das große Glück für das Seniorenzentrum St. Klara: Auch der MDK akzeptiert seine Dokumentation. "Ohnehin läuft mit dem MDK jetzt alles runder", berichtet Frank. "Das mag daran liegen, dass die Prüfer jetzt alle aus der Pflege kommen, zuvor hatten wir als Gutachter einen pensionierten Arzt, der von uns teilweise sehr schematisches Handeln verlangte." So sollten sie eine Bewohnerin, die es kategorisch ablehnte, an Gruppenangeboten teilzunehmen, bei jedem Betreten ihres Zimmers fragen, ob sie nicht doch an dieser oder jeder Aktivität teilnehmen wolle. "Dadurch hätten wir ihr eindeutig vermittelt, dass wir ihre Entscheidung nicht ernst nehmen."
Es scheint, als würde der offene, verstehende Ansatz der FAQ ein wenig auf den MDK abfärben. Zumindest gibt es ein Zusammenspiel zwischen den beiden Stellen: "Die Prüfberichte werden gegenseitig ausgetauscht. Bei qualitativ divergierenden Prüfergebnissen erfolgt in der Regel auch ein Austausch des Prüfteams untereinander", heißt es beim bayerischen Sozialministerium. Außerdem überprüfen MDK und FAQ ein Heim in Einzelfällen ? etwa bei Beschwerden ? auch gemeinsam. Auf die übrigen Bundesländer hat der innovative bayerische Prüfansatz bisher noch keinen Einfluss gehabt. Das Ministerium beantwortet die Frage nach dem Interesse außerhalb Bayerns lakonisch mit dem Hinweis: Auf die aktuelle Version des Prüfleitfadens hätten die anderen Länder im Internet jederzeit Zugriff.
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