Zum Start des Bundesfreiwilligendienstes (BFD) befürchten Wohlfahrtsverbände in Deutschland einen erheblichen Bewerbermangel. "Da wird sich in jedem Fall eine Lücke auftun", sagte der Hauptgeschäftsführer des paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, der Nachrichtenagentur dpa. Der 6- bis 24-monatige Dienst soll vom 1. Juli an den zuletzt noch sechsmonatigen Zivildienst zumindest teilweise ersetzen.
Laut einer dpa-Umfrage sieht es bei den anderen großen Verbänden - Caritas, Deutsches Rotes Kreuz (DRK), Diakonie und AWO - ähnlich aus. Bislang gibt es bei den fünf großen Verbänden nur etwas mehr als 1000 Zusagen.
Dennoch spricht das Bundesfamilienministerium von einem Erfolg: "Das Interesse am Bundesfreiwilligendienst ist schon jetzt enorm, obwohl der richtige Schub erfahrungsgemäß erst nach den Sommerferien kommt, wenn die Studienplätze vergeben wurden", sagte Staatssekretär Josef Hecken der "Passauer Neuen Presse" (Samstag). Im Schnitt meldeten sich 250 Bewerber pro Woche.
Das Ministerium rechnet bis 2012 mit rund 35.000 Freiwilligen, davon wollen künftig allein die Verbände fast 27.000 Stellen anbieten.
Die Zielmarke sei zumindest im ersten Jahr völlig unrealistisch, erklärte Rainer Hub vom Diakonie-Bundesverband. Bislang sind bei dem Hilfswerk nur rund 200 Verträge für die 3.000 in diesem Jahr geplanten Stellen abgeschlossen worden. Langfristig soll es einmal 7.500 Plätze geben. Ob die angepeilten BFD-Stellen in diesem Jahr noch besetzt werden, sei fraglich. Auch andere Wohlfahrtsverbände sind kritisch.
Die Leidtragenden des sich abzeichnende Freiwilligenmangel sind Senioren, Behinderte und Kinder. Zeitintensive "humanitäre Extras" wie Spaziergänge, Gespräche und Fahrdienste werden wegfallen, sagt DRK-Sprecherin Svenja Koch. AWO-Chef Wolfgang Stadler spricht von einem "Wegbrechen der Lebensqualität" vieler hilfsbedürftiger Menschen.
Schuld an dem sich abzeichnenden Freiwilligenmangel sei die übereilte Abschaffung des Wehrdienstes, kritisierte Schneider vom paritätischen Wohlfahrtsverband. "Das hat uns alle ziemlich überrascht." Bislang hätten sich 650 Interessenten für die bis zu 5000 BFD-Plätze gemeldet - bei zuletzt 10.000 Zivi-Stellen.
Ausfälle beim Pflege- und Betreuungspersonal soll es Verbänden und Ministerium zufolge nicht geben. Beim Roten Kreuz waren zum Schluss von einst 9000 Zivildienststellen nur noch 2000 übrig geblieben. "Wir mussten uns also schon auf diese Situation einstellen", sagte Koch.
Um den Übergang abzufedern, werden nach Ministeriumsangaben von den noch verbliebenen rund 19.000 Zivis mehr als 14.000 ihren Dienst freiwillig verlängern. Ausreichen wird das aber nicht, meinen die Verbände.
Dem Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFZA) zufolge waren 2010 noch rund 78.000 Zivis im Dienst. Davon stellten die fünf großen Wohlfahrtsverbände rund 57.000 Plätze, von denen zum Schluss nur ein Bruchteil besetzt war.
Die Verbände setzen nun auf junge Menschen, die nach der Schule ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) machen - das Familienministerium will mehr Stellen bewilligen. FSJ-Bewerber, die keinen Platz bekommen haben, könnten dann den Freiwilligendienst antreten, sagte Koch. Allein beim DRK gab es bei zuletzt 10.000 verfügbaren FSJ-Stellen einen Überschuss von 3.000 Bewerbungen.
Auch Diakonie-Präsident Johannes Stockmeier setzt auf das FSJ. Dennoch werde es bei Angeboten wie den Fahrdiensten größere Engpässe geben, "da ein reiner Fahrdienst dem Anspruch als Bildungs- und Orientierungsjahr nicht genügt".
"Uns wäre es lieber gewesen, wir hätten von Anfang an nur einen Freiwilligendienst gehabt", sagt AWO-Chef Stadler. "Nun müssen sich die Leute für einen Dienst entscheiden - und das verunsichert."
NRW-Sozialminister Guntram Schneider (SPD) fordert nach dem Wegfall des Zivildienstes ein soziales und ökologisches Pflichtjahr für alle Schulabgänger. "Ich sehe keine Alternative, wenn ich mir zum Beispiel die Entwicklung in der Pflege ansehe", sagte Schneider der "Westfälischen Rundschau" (Samstag).


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