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Willkürliche Zahlen?Ampelsystem soll Berlins Neuinfektionen bewerten

Angesichts der Lockerungen haben Bund und Länder eine Notbremse vereinbart. Berlin führt dabei ein eigenes Ampel-Warnsystem ein. Laut einem Berliner Amtsarzt seien die Zahlen aber willkürlich.

Ampel-Rotlicht
Foto: Pixabay
Symbolfoto

Berlin setzt abweichend von den Bund-Länder- Vereinbarungen in der Vorwoche auf ein eigenes Warnsystem in der Corona-Pandemie. Dabei sollen die Reproduktionsrate, die Zahl der Neuinfektionen und die Belegung der Intensivbetten mit Covid 19-Patienten eine Rolle spielen, teilten Regierungschef Michael Müller und Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (beide SPD) am Dienstag mit. Werden bei zwei der Indikatoren kritische Marken erreicht, wolle der Senat bestehende Lockerungen auf den Prüfstand stellen oder geplante weitere Lockerungen gegebenenfalls verschieben.

Berlin mit eigenem Warnsystem

Bund und Länder hatten sich in der Vorwoche auf eine Obergrenze bei den Infektionszahlen verständigt. Danach müssen Landkreise oder kreisfreien Städte ein konsequentes Beschränkungskonzept umsetzen, wenn mehr als 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen gezählt werden. Aus Sicht des Berliner Senats ist das in einer Großstadt keine praktikable Lösung, wie Müller deutlich machte. Berlin führt nun ein Ampelsystem ein, bei dem die Zahl der Neuinfektionen einer von drei Indikatoren ist. Wird die Marke von 20 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen erreicht, wird nach diesem System die Ampel von Grün auf Gelb gehen. Bei 30 Neuinfektionen leuchtet sie rot, wie Senatorin Kalayci erläuterte. Höhere Werte seien in der Metropole nicht zu verantworten. Kalayci versuchte, das anhand von Zahlen für ganz Berlin deutlich zu machen. Zuletzt habe die Zahl der Neuinfektionen in sieben Tagen bei 286 gelegen. Bei der Obergrenze von 30 je 100 000 Einwohner wären es über diesen Zeitraum stadtweit 1131.

Dasselbe System greift bei der sogenannten Reproduktionsrate: Liegt diese an mindestens drei Tagen hintereinander bei 1,1, steckt also ein Infizierter im Durchschnitt 1,1 andere Menschen mit dem Coronavirus an, leuchtet die Ampel gelb. Bei einer Rate von 1,3 leuchtet sie rot. „Wir haben zurzeit eine R-Zahl von 0,79 in Berlin und im Bund von 1,13“, sagte Kalayci. „Aber das kann sich mit den Lockerungen ändern. Das ist jetzt die spannende Frage.“

Bei den Intensivbetten kommt die Ampel ebenfalls zum Tragen. Sind 15 Prozent aller Intensivbetten mit Covid 19-Patienten belegt, springt sie von Grün auf Gelb, bei 25 Prozent auf Rot. Zum Vergleich: Zuletzt waren Kalayci zufolge über Wochen 11 oder 12 Prozent der Betten auf Berliner Intensivstationen mit Corona-Patienten belegt, aktuell seien es 9 Prozent. Sollte die Ampel bei zwei der drei Indikatoren auf gelb stehen, will der Senat die Problematik erörtern, sagte Müller. Bei zweimal rot bestehe dann dringender Handlungsbedarf. Dann sei zu beraten, ob Lockerungen zurückgenommen werden müssen oder geplante Lockerungen zeitlich gestreckt werden müssten. „Aber wir reagieren schon bei gelb“, fügte Müller hinzu.

Kritik: „Zahlenentwicklungen wichtiger als absolute Werte“ 

Kritik kommt von Seiten des Reinickendorfer Amtsarztes Patrick Larscheid Schwächen. Er kritisiert die Grenzwerte als willkürlich. „Die Zahl 20 und 30, für die gibt es überhaupt keine Grundlage, die ist völlig aus der Luft gegriffen“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. „Ich muss Zahlenentwicklungen im Blick haben, das ist viel wichtiger als absolute Werte. Insofern bin ich mit diesem System nicht so richtig glücklich.“ Für Larscheid gilt das allerdings auch für die in der vergangenen Woche zwischen Bund und Ländern getroffene Festlegung von 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner: „Die alte Regel hat genau dieselbe Schwäche, dass die bloße Zahl völlig willkürlich war.“

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