
Aller Widerstand aus der Health-IT-Branche hat nichts genützt: Mit der Billigung des Gesundheits-Digitalagentur-Gesetzes(GDAG) am 17. Juli wird die bisherige Gematik zu einer Digitalagentur um- und ausgebaut, mit deutlich mehr Befugnissen und Eingriffsrechten. Obwohl die Industrie in den Entstehungsprozess des Gesetzentwurfes mit eingebunden war, ist von ihren Vorstellungen im GDAG nicht viel geblieben. Entsprechend düpiert fühlt sich die Branche.
Der Umbau zur Digitalagentur soll nach dem Willen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach deren „Handlungsfähigkeit angesichts der Herausforderungen der digitalen Transformationen im Gesundheitswesen und in der Pflege“ stärken, heißt es in einer Presseerklärung des Bundesgesundheitsministeriums (BMG). Ziel sei es, die Digitalisierung des Gesundheitswesens in der Zukunft effektiver zu steuern. Kurz: Die zentrale Verantwortlichkeit für die Digitalisierung des Gesundheitswesens soll künftig bei der Digitalagentur liegen.
Kontrolleur wird gleichzeitig Anbieter
Bislang war die Gematik vor allem dafür verantwortlich, Komponenten, Dienste und Spezifikationen rund um die Telematikinfrastruktur zu entwickeln, als Vorgabe für Industrie und Gesundheitsversorger. Mit den Ergebnissen ist das BMG offenbar aber alles andere als zufrieden. In der Vergangenheit habe sich gezeigt, „dass die bisherige Struktur im reinen Marktmodell (Zulassungsmodell) aufgrund einer Vielzahl an unterschiedlichen Komponenten, Diensten und Anwendungen ein hohes Maß an Komplexität erzeugt hat, was sich negativ auf die Betriebsstabilität sowie die Servicequalität auswirkt“, heißt es im Gesetzentwurf.
Deswegen steuert das BMG nun um. Künftig soll die neue Agentur sanktionieren dürfen, wenn vorgegebene Spezifikationen nicht eingehalten werden, sondern sie soll auch darüber entscheiden, wer bestimmte Komponenten und Dienste der Telematikinfrastruktur (TI) entwickeln und betreiben darf. Bei der Entwicklung und Bereitstellung von Komponenten und Diensten der TI solle künftig „ein differenziertes Marktmodell“ gelten, in dem die Digitalagentur unterschiedliche Rollen einnehmen soll, heißt es seitens des Ministeriums. „Anwendungen, die vielfach auf dem Markt angeboten werden, werden weiterhin von der Digitalagentur spezifiziert und in unterschiedlichen Abstufungen durch die Anbieter entwickelt. Wesentliche Komponenten und Dienste der TI sollen in Zukunft zentral per Vergabeverfahren beschafft und den Leistungserbringern von der Digitalagentur bereitgestellt werden können“, teilt das BMG mit.
Was wir aber nicht brauchen, ist eine Gematik, die selbst bestimmte Anwendungen entwickelt oder ausschreibt.
Allerdings darf die neue Digitalagentur nun selbst auch „Komponenten und Dienste der TI, die zentral und nur einmalig vorhanden sind“, künftig selbst entwickeln und betreiben. Damit wird aus der hoheitlichen Behörde zugleich ein Konkurrent der Industrie. Melanie Wendling, Geschäftsführerin des Branchenverbandes bvitg, sieht in der Regelung eine klare „Wettbewerbsverzerrung“ und eine Behinderung „marktwirtschaftlicher Akteure“. Ins selbe Horn bläst Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder: „Angesichts zunehmender Komplexität im Gesundheitswesen brauchen wir eine moderne Digitalagentur für Gesundheit, die Standards festlegt und ihre Einhaltung überwacht. Was wir aber nicht brauchen, ist eine Gematik, die selbst bestimmte Anwendungen entwickelt oder ausschreibt.“
Agentur darf direkt eingreifen
Mit dem GDAG soll die Information und Verantwortlichkeit bei IT-Störungen klarer geregelt werden. Bislang ist es häufig so, dass nicht klar ist, wer denn jetzt verantwortlich für deren Behebung ist – oder eben nicht. Ein abschreckendes Beispiel dafür waren die Turbulenzen bei der Einführung des E-Rezeptes. „Um alle relevanten Informationen schnellstmöglich zusammenzutragen, erhält die Digitalagentur das Mandat, im Interesse der unverzüglichen Störungsbeseitigung Informationen von Herstellern und Anbietern anzufordern und, falls erforderlich, die Beteiligten zu verpflichten, konkrete Maßnahmen zu ergreifen“, sagt das BMG. Das bedeutet auch, dass die Digitalagentur selbst Fristen setzen kann, Bußgelder verteilen darf und sogar im Notfall bei Anbietern direkt eingreifen darf, um IT-Störungen zu beheben. Daraus entstehende Kosten darf die Agentur den Anbietern aufdrücken.
Die Digitalagentur erhält zudem weitere hoheitliche Aufgaben bei der Zulassung, beim Zertifizierungsverfahren sowie „die Erteilung von Anordnungen zur Gefahrenabwehr innerhalb der TI“. Auch hier werden die Bußgeldtatbestände erweitert, um „die Sicherheit der TI zu stärken“. Beim Gematik-Nachfolger wird zudem ein „Kompetenzzentrum für Interoperabilität im Gesundheitswesen (KIG)“ eingerichtet. Das KIG soll qualitative und quantitative Anforderungen an informationstechnische Systeme im Gesundheitswesen festlegen und zentral sicherstellen, dass Anwendungen auch wirklich interoperabel sind.
Scharfe Kritik von DKG und Industrie
Seit der Veröffentlichung des Referentenentwurfes im Mai waren die Reaktionen gemischt. Während Ärzteverbände und Kassen das GDAG überwiegend positiv bewerten, sind die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und die Health-IT-Industrie ernüchtert. So kritisiert die DKG die im Kabinettsentwurf des GDAG vorgesehene Zwei-Prozent-Sanktionsregelung gegen die Krankenhäuser. Nach Strafzahlungen zur Einführung der Telematikinfrastruktur und den Pönalen im Kontext des Krankenhauszukunftsgesetzes (KHZG) würden nun die Kliniken per Sanktion auch noch gezwungen werden, ihre vorhandenen IT-Systeme nachträglich einem Konformitätsbewertungsverfahren zu unterziehen oder diese gegen Systeme mit Konformitätsbestätigung der Gematik auszutauschen, kritisiert die DKG.
„Es überrascht uns nicht, dass die Politik ein weiteres Mal den Hebel der Sanktion bemüht, um ihre Vorstellungen von der Digitalisierung im Gesundheitswesen zu erzwingen. Die Eindimensionalität dieser Denkweise und das offenkundig fehlende Fachwissen über die im Einsatz befindlichen Systeme im Krankenhaus irritiert dann aber schon“, erklärte der DKG-Vorstandsvorsitzende Dr. Gerald Gaß.
Auch in der Industrie fällt die Kritik ungewohnt undiplomatisch aus. „Wir haben zunehmend das Gefühl, dass wir für die Politik als geeigneter Sündenbock für die eigenen massiven und jahrelangen Versäumnisse bei der Digitalisierung herhalten müssen“, erklärt ein hochrangiger Manager eines großen Health-IT-Konzerns gegenüber kma. Die beiden Branchenverbände Bitkom und bvitg befürchten nun, dass das Gesetz „in seiner aktuellen Ausgestaltung wirtschaftliche und technische gravierende Folgen für diejenigen Akteure des Gesundheitswesens hat, die mit ihren IT-Systemen einen wesentlichen Beitrag zum Erhalt und der Verbesserung der medizinischen Versorgung beitragen“.





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