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E-Health-Gesetz„Das Business mit den Schnittstellen blüht”

Hat der Gesetzgeber aus der Telematik-Odyssee der vergangenen Jahrzehnte dazugelernt? Bernd Behrend, IT-Chef der Alb Fils Kliniken in Göppingen und Vorstand des Verbands der Krankenhaus-IT-Leiter, meint: Nein! Das Gesetz zementiert die Sektoren und IT-Hersteller können ihre Schnittstellen weiter teuer versilbern.

Mit dem im Januar vorgelegten Referentenentwurf für das sogenannte E-Health-Gesetz fordert der Gesetzgeber endlich "offene und standardisierte Schnittstellen" zwischen IT-Systemen im Gesundheitswesen. Damit soll ein "uneingeschränkter Datenaustausch" zwischen den IT-Systemen der drei Sektoren (Kassenärzte, Kassenzahnärzte und Krankenhäusern) erreicht werden (gemäß Paragraf 291d). Doch anstatt einen gemeinsamen –international bewährten – Standard wie beispielsweise HL7 einzufordern, werden von den Vertretungen jedes der drei Sektoren eigene Festlegungen Ihrer Standards gefordert.

Eine derartige Situation, sei anhand einer Analogie deutlich gemacht: Was erleben Sie, wenn Sie Ihren Haartrockner mit auf die Reise nehmen? Überschreiten Sie die erstbeste Grenze kann es passieren, dass der deutsche Schuko-Stecker nicht mehr in die Steckdose passt. Bereits in Frankreich hindert Sie ein zusätzlicher Stift in der Steckdose. Auch in die drei eckigen Öffnungen von britischen Steckdosen passen Ihre zwei runden Stifte nicht. Ähnliche Inkompatibilitäten finden Sie in unseren Nachbarländern Dänemark, Schweiz und Italien.

Gematik wird es nicht schaffen
Warum unterbindet der Gesetzgeber nicht derartige sektorspezifische Inkompatibilitäten? Die vorgesehene Schlüsselrolle der Gematik wird kaum zu sektorunabhängigen Standards führen. Denn ohne eine klare gesetzliche Vorgabe sind tragfähige Schnittstellen-Standards schwer durchsetzbar. Auch wenn konkrete Anwendungen mit einem Telematikzuschlag gemäß Paragraf 291a gefördert werden sollen, bestehen Zweifel, ob die Gesetzesvorlage dazu geeignet ist, die hierfür erforderlichen sektorübergreifenden Kommunikations-Standards zu etablieren. Man kann gespannt sein, mit welchen Standards sich die geforderten Anwendungen wie die die tagesaktuelle elektronische Übermittlung des Entlassbriefes (Paragraf 291f) sowie die elektronische Übermittlung weiterer Briefe (Paragraf 291h) realisieren lassen.

Hersteller können sich auf drei Sektoren einstellen
Bereits seit Beginn dieses Jahrtausends verfolgen wir die Bemühungen um eine sichere Telematik-Infrastruktur (TI). Während die Gematik sich immer noch um die Prüfung der Versichertenstammdaten bemüht, werden zumindest im KV-Sektor Wege für die sichere elektronische Übermittlung elektronischer Briefe entwickelt. Ein erster Ansatz wurde mit dem "KV-Safenet" etabliert. Nach einer anfänglichen Gleichbehandlung der Sektoren, spricht der Gesetzgeber die Zertifizierungskompetenz für die elektronische Übermittlung von Arztbriefen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zu (Paragraf 291h). Software-Anbieter können sich damit auf individuelle Interoperabilitäts-Standards der drei deutschen Sektoren einstellen, anstatt den Mehrwert bereits etablierter internationaler Standards für die Patientenversorgung zu nutzen!

Das mit Paragraf 291e vorgesehene "Interoperabilitätsverzeichnis" sichert die gesetzliche Pflicht zu "offenen und standardisierten Schnittstellen" für alle patientenbezogenen IT-Systeme. Jeder IT-Leiter wird aufatmen, wenn die leidige "Diskussion über Schnittstellen" ein Ende hat. Leider bleibt anhand der Gesetzesvorlage die Frage offen, ob das Interoperabilitätsverzeichnis nur die im Gesetz erwähnten Anwendungen berücksichtigt. Ungeklärt bleibt, wie weit die vielfältigen Schnittstellen zwischen den vielen IT-Systemen in großen Gesundheitseinrichtungen betroffen sind.

Teure Schnittstellen sind Alltag
In der Praxis entsteht zudem oft der Eindruck, dass große Anbieter mit Ihrer Schnittstellenpolitik unnötige Hürden aufbauen. Welcher IT-Leiter hat es noch nicht erlebt, dass die Einführung guter Spezialanwendungen ("best of breed") an überteuerten Schnittstellenpreisen scheiterte – und dies vornehmlich auf Seite des führenden Informationssystems? Das Business mit den Schnittstellen blüht und das E-Health-Gesetz ändert daran nicht wirklich etwas.

Auch wenn einem großen Unternehmen das Interesse einer derartigen Marktbeherrschung nicht zu verdenken ist, ist dies kontraproduktiv für eine gute Patientenversorgung. Wird der Bedarf nach effizienten Schnittstellen im Sinne einer "Gelddruckmaschine" benutzt, sind die Grenzen einer "sozialen Marktwirtschaft" überschritten: Der Gesetzgeber ist gefordert, standardisierte Schnittstellen noch nachhaltiger und umfassender als gesetzliche Pflicht festzulegen! Neben dem vorrangigen Ziel, eine gute Patientenversorgung mit besseren IT-Lösungen zu unterstützen, bekommen damit auch kleine Anbieter bessere Chancen, innovative IT in die Workflows der Gesundheitsversorgung einzubinden. Außerdem kann damit auch ein kreativer Wettbewerb zwischen den IT-Anbieter angeregt werden:

Ablehnung sollte Ansporn für Gröhe sein
Unter diesen Aspekten ist es nicht verwunderlich, dass Lobbyisten großer Software-Anbieter sich dem im Paragraf 291e vorgesehenen Interoperabilitätsverzeichnis gegenüber ablehnend positionieren.
Dem Gesundheitsministerium um Hermann Gröhe sollte dies ein Ansporn sein, erfahrene Praktiker in die Gestaltung der Gesundheits-Telematik einzubinden. IT-Leiter, die praktische Erfahrungen in der Gestaltung einer guten Kooperation von IT-Systemen mitbringen, können dem Gesetzgeber wertvolle Partner bei der Gestaltung einer optimalen Patientenversorgung in Deutschlands Gesundheitseinrichtungen sein. Vielleicht gelingt es auf diesem Wege, die Telematik-Odyssee nachhaltig zu beenden und ein solides Fundament für gut befahrbare "digitale Brücken" zu schaffen.

Autor:
Bernd Behrend ist Leiter Medizintechnik und IT in den Alb Fils Kliniken Göppingen sowie stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbandes der Krankenhaus-IT-Leiterinnen/Leiter

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