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PharmaKonzerne beißen sich an Indien die Zähne aus

Die internationalen Pharmakonzerne verlieren in Indien eine juristische Auseinandersetzung nach der anderen.

Roche und Pfizer mussten hinnehmen, dass Patente für Medikamente aberkannt oder gar nicht erst erteilt wurden, und Bayer hatte eine Zwangslizenz zu akzeptieren. Nun hat es Novartis getroffen: Der Schweizer Pharmariese erhält - das wurde am Montag höchstrichterlich entschieden - auf dem Subkontinent kein Schutzrecht für sein Krebsmittel Glivec. Es scheint, als habe Indien den Markenherstellern den Kampf angesagt.

Diese spielen in dem Land mit seinen mehr als 1,2 Milliarden Einwohnern bislang nur eine sehr untergeordnete Rolle. Rund 90 Prozent der in Indien verkauften Medikamente stammen von heimischen Herstellern, die sich auf das Kopieren bekannter Präparate spezialisiert haben. Diese Generika werden zu einem Bruchteil der Kosten der Originale verkauft, nicht nur im Land selbst, sondern auch weltweit - zum Unmut der Unternehmen, die oft mit hohem Kostenaufwand die Produkte erforscht haben.

Indien beim Medikamentenverkauf auf Platz drei
Nach Angaben des US-Branchenverbandes PhRMA dauert es in den USA im Durchschnitt 15 Jahre und kostet eine Milliarde US-Dollar, um ein neues Medikament auf den Markt zu bringen. Die jüngste Entscheidung in Indien sei "entmutigend" für künftige Innovationen, schreibt Novartis. Das sei schlussendlich auch ein Rückschlag für die Patienten in Indien, weil der medizinische Fortschritt behindert werde, meint Novartis' Indien-Vize Ranjit Shahani. Allein mengenmäßig liegt Indien beim Medikamentenverkauf weltweit an dritter Stelle - das sei auf das Jahrzehnte lang fehlende Patentrecht zurückzuführen, sagt Chinu Srinivasan. Er gründete die gemeinnützige indische Organisation Locost mit, die auch Medikamente produziert. "Die Pharmaindustrie ist von 1970 bis 2005 explodiert, weil es keine Patente auf Produkte, sondern nur auf Herstellungswege gab", erklärt er. Heute sei zum einen die Ausbildung der Inder gut und zum anderen seien die Kosten für Fertigungsstätten und Löhne sehr niedrig.

Abkommen mit außergewöhnlichem Passus
Mit dem Eintritt in die Welthandelsorganisation WTO wurde Indien allerdings gezwungen, ab dem Jahr 2005 Innovationen nach internationalen Standards zu schützen. Doch das TRIPS-Abkommen über Rechte am geistigen Eigentum lasse den Ländern Spielraum, heißt es in einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Den nutzte Indien für den außergewöhnlichen Passus 3d. Demnach werden bereits bekannte Substanzen nur dann erneut patentiert, wenn sie eine gesteigerte Wirksamkeit haben. "Die indische Gesetzgebung sollte ein Modell für alle Entwicklungsländer sein", meint Gajanan Wakankar, Experte für geistige Eigentumsrechte und Ex-Botschafter Indiens. In vielen entwickelten Ländern sei es leider möglich, den Patentschutz künstlich zu verlängern durch eine leicht veränderte Zusammensetzung des Wirkstoffs - das sogenannte "Evergreening". Es sei doch "wunderbar", dass der Preis für das Nachahmerprodukte oft mehr als 95 Prozent unter dem Originalpreis liege.

Aids-Behandlung hat sich drastisch verbilligt
Das sieht der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie in Deutschland anders. Ausländische Patente müssten anerkannt oder mit gleicher Laufzeit in Indien erteilt werden, erklärt ein Sprecher. "Wie in anderen Ländern auch ist eine zeitlich befristete Marktexklusivität notwendig, um Innovationen vermarkten zu können." Dabei benötigten die Unternehmen Rechtssicherheit. Für Hilfsorganisationen hingegen ist es vor allem wichtig, dass die Medikamente günstig sind. 80 Prozent der Präparate, mit denen sie AIDS-Patienten weltweit behandeln, hätten ihren Ursprung in Indien, erklärt die Organisation Ärzte ohne Grenzen. Indien sei die "Apotheke der Armen". Im Jahr 2000 hätten etwa die Kosten für eine HIV-Behandlung noch bei mehr als 10.000 US-Dollar pro Jahr gelegen, heute seien es 150 US-Dollar - und das sei nur durch den Wettbewerb möglich geworden, den Generikahersteller ausfechten.

Indien verkauft zunehmend auch nach Europa
Doch indische Unternehmen verkaufen nicht nur nach Afrika und Südamerika, sondern vermehrt auch in die entwickelte Welt. Dort könnten sie deutlich mehr Geld verdienen, heißt es in dem WHO-Bericht. In den vergangenen Jahren seien sie mit einigen Substanzen auf dem deutschen Markt eine "starke Konkurrenz" gewesen, meint der Bundesverband. Daneben gelang ein Wachstum durch die Übernahme ausländischer Generika-Firmen, so hat Dr. Reddy's 2006 etwa das deutsche Unternehmen Betapharm erworben. Die Analysten von Pricewaterhouse Coopers prognostizieren den indischen Produzenten eine rosige Zukunft. Der Arzneimittelsektor könne seinen Umsatz von derzeit 11 Milliarden US-Dollar auf 74 Milliarden im Jahr 2020 vervielfachen. Dabei könnte ihnen die Patentklippe zugute kommen: In den kommenden Jahren liefen viele gewinnbringende Blockbuster-Patente aus, die dann von den Generikaherstellern in Indien nachgebaut werden könnten.

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