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PharmaindustrieMedizin und Dioxin - 125 Jahre Boehringer Ingelheim

Einer der weltgrößten Pharmakonzerne feiert in diesem Jahr sein 125-jähriges Bestehen: Boehringer Ingelheim.

Albert Boehringer verdankt seinen beruflichen Erfolg zu einem Gutteil seiner Mutter. Von ihr erhielt der Gründer des Pharmaunternehmens Boehringer Ingelheim in den harten Anfangsjahren mehr als nur gute Worte. "Wie er dankbar anerkannte, half ihm seine Mutter mehrmals aus finanziellen Engpässen", heißt es in einem Porträt des Historischen Vereins Ingelheim über Albert (1861-1939). Was sich auch lohnte: Boehringer Ingelheim ("Mucosolvan", "Silomat") ist heute der zweitgrößte deutsche Pharmakonzern und zählt zu den 15 größten der Welt. In diesem Jahr feiert das Familienunternehmen sein 125-jähriges Bestehen.

Die Geschichte des Unternehmens ist aber auch mit einem Umweltskandal verbunden, genauer gesagt: Mit der hochgiftigen Substanz Dioxin. Betroffen war das Werk in Hamburg-Moorfleet, das 1984 geschlossen wurde. Bei der Herstellung von Pflanzenschutzmitteln entstand nach Unternehmensangaben in den 1950er Jahren unbemerkt eine unbekannte Dioxinverbindung (2,3,7,8 Tetrachlordibenzodioxin) - die giftigste von allen. Das fiel erst auf, als Mitarbeiter an Chlorakne erkrankten. Die Produktion der Pflanzenschutzmittel (T-Säure) wurde 1954 gestoppt und 1957 mit einem neuen Verfahren wieder aufgenommen, das laut Boehringer sicherer war.

Das Unternehmen zahlte nach eigenen Angaben eine Entschädigung an die Betroffenen, versetzte sie an andere Arbeitsplätze, bezahlte Kuren und medizinische Hilfe. Langfristige Gesundheitsschäden seien damals nicht abzusehen gewesen. Doch die traten in den 1980er Jahren bei früheren Mitarbeitern auf, von denen einige auch an Krebs erkrankten.

Boehringer Ingelheim unterstützte den Angaben zufolge betroffene Mitarbeiter in den Verfahren mit der Berufsgenossenschaft und zahlte Menschen "mit anerkannten Folgeschäden" zusätzliche Zuwendungen. Mit einem dreistelligen Millionenbetrag seien die Umweltschäden auf dem Werksgelände beseitigt worden, erklärt das Unternehmen. "Aus heutiger Perspektive und mit breiterem Wissen um Umweltschutzbelange würden wir manches anders machen und hätten uns gewünscht, dass auch einige Prozesse und Entscheidungen beschleunigt worden wären."

Dass Boehringer Ingelheim etwas mit dem Einsatz des giftigen Entlaubungsmittels "Agent Orange" im Vietnamkrieg zu tun gehabt haben könnte, bestreitet das Unternehmen. Dies sei "nachweislich" nicht der Fall gewesen. Boehringer Ingelheim habe auch nie die amerikanische Armee mit T-Säure beliefert.

Begonnen hatte alles mit harmloser Weinsäure. Albert Boehringer kauft 1885 von einem Mainzer Fabrikanten eine Weinsteinfabrik in Nieder-Ingelheim, in der 28 Mitarbeiter die Salze der Weinsäure herstellen - ein Produkt, das unter anderem für Brauselimonade gebraucht wird. Acht Jahre später macht er eine Entdeckung: Bei Versuchen zur Herstellung von Zitronensäure entsteht mittels unerwünschter Gärung Milchsäure. Das Unternehmen wird führender Hersteller - und profitiert von der Nachfrage der Leder-, Textil- und Lebensmittelindustrie.

Heute zählt Boehringer weltweit 40.529 Mitarbeiter, davon 10.854 in Deutschland. Die Zahl der Medikamente stieg stetig, vom ersten Markenarzneimittel, dem Schmerzmittel Laudanon (1912), über das Schmerzmittel Thomapyrin (1946) bis zum Gerinnungshemmer Pradaxa (2008).

"Rückblickend ist dieses Unternehmen durch Forschung großgeworden - und dadurch, dass die Eigentürmerfamilie immer dahinterstand und sagte: Wir wollen Medikamente erforschen und entwickeln zum Nutzen der Menschen", sagt der Sprecher der Unternehmensleitung, Andreas Barner. Aber er sagt auch: "Ich halte es für eine absolute Notwendigkeit, dass man wirtschaftlich erfolgreich ist, um unabhängig zu sein."

Der Erfolg erhielt im Jubiläumsjahr einen Dämpfer. Weil Patente für Medikamente in den USA auslaufen, bricht Umsatz weg. Das Unternehmen, das zehn Jahre lang stärker als der Markt wuchs, rechnet 2010 mit Stagnation oder sinkenden Erlösen. Eine von Boehringer entwickelte Lustpille für Frauen, in der Branche als "Rosa Viagra" bekannt, war in den USA durchgefallen. Im ersten Halbjahr sanken die Erlöse um rund drei Prozent auf 6,2 Milliarden Euro. Doch die Firma will die 1.800 vom Patentverlust betroffenen Mitarbeiter nicht alleinlassen und auf Entlassungen verzichten. Und 2011 soll es wieder aufwärtsgehen.

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