Eine Maßnahme zur Sicherung künftiger Umsätze und Gewinne sieht die Branche in der so genannten personalisierten Medizin. Ihr Anteil am globalen Pharmamarkt ist noch recht klein und der große Durchbruch bisher ausgeblieben. Der gesamte Pharmasektor dürfte im diesem Jahr weltweit einen Umsatz von mehr als 700 Milliarden Dollar erwirtschaften.
"Die richtige Menge eines richtigen Medikaments an den richtigen Patienten bringen", umschreibt Pharmaexpertin Julia Schüler von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young das Ziel. Das Konzept klingt einfach: Vor der Verordnung wird ein Gen- oder ein anderer Test durchgeführt, um festzustellen, ob das Präparat für den Patienten geeignet ist. Das Ziel: Die personalisierte Medizin soll unnütze Behandlungen vermeiden, weniger Nebenwirkungen verursachen und den Krankenkassen Geld sparen. Möglich wurde diese Herangehensweise mit der Erforschung des menschlichen Genoms.
Mitgliedsunternehmen des Verbandes der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) prüfen bei 40 Prozent ihrer Forschungsprojekte, ob die Mittel personalisiert eingesetzt werden können. "Wie groß der Markt wird, hängt davon ab, für wie viele Medikamentenklassen ein geeigneter Vortest für die Therapieentscheidung gefunden wird", sagt vfa-Chefin Birgit Fischer. Bislang werden in Deutschland 20 Präparate im Sinne der personalisierten Medizin eingesetzt. "Für die Medizin bedeutet dies einen wesentlichen Fortschritt - beim Umsatz spielt sie jedoch noch keine große Rolle." Jahrelang war die Pharmabranche nicht an dem Thema interessiert, sondern hat darauf gesetzt, dass ein Medikament für alle Patienten passt. Neben den schärferen Zulassungsbedingungen haben auch die Diskussionen über Kosten und Nutzen von Arzneimitteln ein Umdenken gefordert.
Im vergangenen Jahr betrug der Umsatz mit diesen 20 Medikamenten in Deutschland 800 Millionen Euro - gerechnet zu Herstellerabgabepreisen. Zum Vergleich: Der Gesamterlös im Apothekenmarkt lag zu Herstellerabgabepreisen im gleichen Jahr bei 25,6 Milliarden Euro. Derzeit würde für drei neue personalisierte Krebsmedikamente die Zulassung beantragt. Darunter fielen der Wirkstoff Vemurafenib gegen Hautkrebs von Roche . Crizotinib gegen nicht-kleinzelligen Lungenkrebs und Bosutinib gegen eine Form des Blutkrebses - beide von Pfizer . Die personalisierte Medizin kommt heute vor allem bei Krebs, Alzheimer, Autoimmunkrankheiten oder auch Herz-Kreislauferkrankungen zur Anwendung.
Die bekannteste Erfolgsgeschichte ist die des Antikörpers Trastuzumab, den der Schweizer Pharma- und Diagnostikkonzern Roche unter dem Medikamentennamen Herceptin vertreibt. Allerdings wird hier nicht nach dem genetischen Fingerabdruck der Patientin unterschieden, sondern nach der Beschaffenheit des Tumors. Das Mittel gegen Brustkrebs wird zusammen mit einem Test angeboten, der ein bestimmtes Protein untersucht, das für das Tumorwachstum wichtig ist.
Bereits heute entwickelten große Pharmafirmen bis zu 40 Prozent der Produkte in zulassungsrelevanten Studien zusammen mit einem begleitenden Diagnostikum. "Eine Diagnostik-Abteilung im Konzern zu haben, ist sicher für manche Firmen ein Vorteil. Aber andere machen das durch Kooperationen mit Diagnostik-Spezialisten wett", erklärt vfa-Chefin Fischer. Ein Beispiel für dieses Vorgehen ist die Anfang der Woche bekannt gegebene Zusammenarbeit des größten deutschen Biotechunternehmens Qiagen mit dem US-Konzern Eli Lilly . Das TecDax-Schwergewicht wird für einen Wirkstoff von Lilly, der gegen Blutkrebs eingesetzt werden soll, einen therapiebegleitenden Test entwickeln. Insgesamt unterhalten die Hildener mehr als 15 Partnerschaften zur Entwicklung therapiebegleitender Tests.
Die derzeitigen zweistelligen Wachstumsraten der personalisierten Medizin in Europa sind laut Frost & Sullivan nur die Spitze des Eisbergs. Eine Schlüsselrolle für die weitere Entwicklung der personalisierten Medizin wird die Erstattungspolitik der Krankenkassen sein: "Solange die Frage nach der Erstattung nicht geklärt ist oder die Kosten dieser Diagnosetests nicht erschwinglich werden, bleiben begleitende Tests in einer Sackgasse", warnt Expertin Rasika Ramachandran von der Unternehmensberatung.


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