Zustimmung auch von der Gewerkschaft: "Wie bereits seit längerem auch von der Arbeitnehmerseite favorisiert, will das Unternehmen das Geschäft mit Atomkraftwerken endgültig aufgeben", lobte der Siemens-Gesamtbetriebsratsvorsitzende Lothar Adler am Montag. Viele Tränen dürften dem Engagement nicht hinterher geweint werden. Zuletzt kam es den Konzern nur noch teuer zu stehen und passte nicht zum Konzept für einen "grünen" Technologiekonzern.
Dass die Bundesregierung nach der Reaktorkatastrophe in Japan das Ende des Atomzeitalters einläutete, bot Siemens-Chef Peter Löscher nun willkommenen Anlass, auszusteigen. Er zog damit den Schlussstrich unter mehr als 50 Jahre Atomgeschichte des Konzerns. Sie hatte 1955 mit der Gründung der Arbeitsgemeinschaft "Atomenergie" zusammen mit anderen Unternehmen begonnen und war 1961 mit dem Bau des ersten deutschen Kernkraftwerks Kahl in die heiße Phase getreten.
In den Jahrzehnten danach boomte das Geschäft. Wo immer zwischen Kieler Förde und Zugspitze AKWs entstanden, steckte auch Siemens-Technologie drin. 1977 hatte der Konzern die Alleinherrschaft über die 1969 mit AEG gegründete Kraftwerk Union übernommen, in der das Atomgeschäft gebündelt war. Auch im Ausland war Siemens immer öfter mit von der Partie, unter anderem beim Bau des 1974 vom damaligen Schahs von Persien in Auftrag gegebenen iranischen Atomkraftwerks Buschehr. Von den Russen fertiggestellt, ging es vor wenigen Tagen nach Jahrzehnte langen Verzögerungen ans Netz.
Nach dem GAU in Tschernobyl 1985 gingen die Umsätze zurück. Dafür wuchs der Protest. Der damalige Siemens-Chef Heinrich von Pierer brachte das Geschäft mit der Kernkraft 2001 in ein Joint-Venture mit dem französischen Atomkonzern Areva ein. Gemeinsam entwickelt man den Europäischen Druckwasserreaktor (EPR). Doch in Finnland und an der französischen Atlantikküste, wo er derzeit im Bau ist, stocken die Arbeiten. Anderen Ländern ist er zu teuer. Als Juniorpartner mit 34 Prozent Anteil am Joint-Venture hatte Siemens zudem kaum Einfluss.
Im Januar 2009 provozierte Löscher den Bruch mit Areva und suchte stattdessen den Anschluss an den russischen Atomkonzern Rosatom. Gemeinsam wollte man Marktführer im weltweiten Atomenergiegeschäft werden. Die Zuversicht gründete Löscher auf den Kampf gegen den Klimawandel, zu dem er Hunderte Kernkraftwerke beisteuern wollte.
Doch spätestens das Jahrhundert-Erdbeben und der Tsunami in Japan machten die Atompläne zunichte. Schon zuvor war Löscher für die Strategie kritisiert worden, die nicht zum Image eines Konzerns auf dem Weg zum führenden Anbieter umweltfreundlicher Technologien passen wollte. Dass Siemens 682 Millionen Euro Strafe an Areva zahlen musste und bis 2013 den Franzosen keine Konkurrenz machen darf, kam noch hinzu.
Da Siemens in den vergangenen Jahren nicht im "heißen" Atomgeschäft tätig war, sind Mitarbeiter vom Ausstieg praktisch nicht betroffen. Den größten Schaden dürfte Rosatom beklagen. Den Russen steht kein Schadenersatz zu, da nur eine Absichtserklärung bestand. Siemens beeilte sich, eine Zusammenarbeit "auf anderen Feldern" anzubieten. In Betracht kommt die Lieferung von Dampfturbinen, wie sie auch konventionelle Kraftwerke verwenden. Ein Rosatom-Sprecher brachte ein Joint-Venture für Medizintechnik ins Spiel.
Der ehemalige Siemens-Partner Areva wollte sich zunächst nicht zum Rückzug äußern. Der Börsenwert des weltgrößten Nuklearkonzerns legte allerdings deutlich zu.


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