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Aufschrei ist großSPD will Kassensystem auf den Kopf stellen

Mit einem Federstrich will die SPD die viel beklagte „Zwei-Klassen-Medizin” in Deutschland beenden. Künftig sollen Ärzte nicht mehr Privat-, sondern Kassenpatienten bevorzugen - der Aufschrei ist groß.

Die SPD will die Verhältnisse im deutschen System der Krankenkassen umkehren: Ärzte sollen künftig nicht mehr Privat-, sondern Kassenpatienten bevorzugt behandeln. Wenn sie gesetzlich Versicherte diskriminieren, sollen sie bis zu 25.000 Euro Geldbuße berappen und ihre Zulassung bis zu zwei Jahre lang verlieren. Die Ärzte warnen vor sozialistischen Verhältnissen.

Eine gehörige Portion Frechheit kann man dem SPD-Experten mit der Fliege, Karl Lauterbach, und seiner kampferprobten Fraktions-Vizechefin Elke Ferner nicht absprechen. In einem mit Begründung nur neunseitigen Gesetzentwurf nehmen sie fast alle aktuellen gesundheitspolitischen Debatten auf - und präsentieren im Wettlauf um möglichst große Geschenke an die 70 Millionen gesetzlich Versicherten überraschende Lösungen.

Schon Minister Philipp Rösler (FDP) will die Medizin-Versorgung 2011 per Gesetz verbessern, CDU-Experte Jens Spahn hat das Jahr gar zum Jahr der Patienten ausgerufen - und mit einem Vorstoß für Zweibettzimmer für gesetzlich Versicherte für Furore gesorgt. Ferner und Lauterbach nehmen die Vorstöße auf, ebenso wie die Forderung nach Veröffentlichung von Klinikinfektionen. Doch sie spitzen all die Verheißungen für die Patienten noch etwas zu - und übertrumpfen die Koalitionäre bei weitem.

Nur noch fünf Tage sollen die Kassenpatienten demnach noch auf einen Arzttermin warten - heute sind es bei Spezialisten wie Lungenärzten manchmal Monate. Ärzte sollen sogar verpflichtet werden, gesetzlich Versicherte eher dranzunehmen. Die Kassen sollen die Terminvergabe auch durch Testanrufe überprüfen. Ein einst von Lauterbach geleitetes Universitätsinstitut hatte so schon vor drei Jahren gezeigt: Kassenpatienten müssen oft dreimal länger auf einen Termin warten.

"Diese Regelungen müssen auch Sanktionen für Fälle bewusster Diskriminierung gesetzlich Versicherter durch ungerechtfertigte Abweisung der Behandlung oder unangemessener Wartezeiten enthalten", schreiben die SPD-Vorkämpfer fürs gemeine Volk im Gesundheitsbetrieb. SPD-Chef Sigmar Gabriel legte nach: Gesundheitspolitik müsse künftig stärker auch Verbraucherschutz sein.

Dass sie mit ihren Forderungen umgehend heftiges Kopfschütteln bei der Politkonkurrenz und der organisierten Ärzteschaft hervorriefen, dürften die roten Kritiker der weißen Halbgötter eingerechnet haben. Auch wenn Lauterbach in einem Interview unverfroren beteuert: "Ich gehe fest davon aus, dass die Union unsere Vorschläge unterstützt."

Spahn will von den Plänen aber natürlich nichts wissen. "Außerdem ist es zynisch, wenn die Partei, die fast neun Jahre die Gesundheitsministerin stellte, jetzt so einen plumpen Drei-Seiten-Gesetzentwurf auf den Tisch legt", sagt er mit Blick auf Rösler-Vorgängerin Ulla Schmidt. Spahns FDP-Kollegin Ulrike Flach zeigt sich "froh, dass die SPD endlich unmaskiert auftritt". Selbst Linke-Expertin Martina Bunge diagnostiziert "schlechtes Politiktheater".

Der oberste Kassenarzt Deutschlands, Andreas Köhler, meint, Lauterbach und Co. hätten generell etwas gegen Ärzte und wirft ihnen vor, populistisch für eine Einheitsversicherung Stimmung zu machen. "Die SPD plant offenbar ein sozialistisches Gesundheitssystem und die Enteignung der niedergelassenen Ärzte", schäumt der Vorsitzende des NAV-Virchow-Bundes, Dirk Heinrich.

Sein Kollege vom Hartmannbund, Kuno Winn, wirft Lauterbach gar Kontrollverlust vor. "Anders ist es für mich nicht zu erklären, dass Herr Lauterbach nun ganz offen für die gesetzliche Verankerung der von ihm bisher stets angeprangerten Zwei-Klassen-Medizin eintritt", so der Ärztefunktionär. Tatsächlich würden Privatpatienten mit der SPD wohl in die zweite Klasse absteigen, in der wegen der Besserstellung der Kassenpatienten dann auch reichlich Platz wäre.

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