Die Ruhe nach dem Sturm: Der Verlust der einst kommunalen Regio-Kliniken von rund zehn Millionen Euro (2009) ist gesunken, für 2012 plant Otto Melchert, Chef der norddeutschen Sana-Kliniken, eine schwarze Null. Das klingt zunächst nach einer normalen Geschichte à la "Privater Träger bringt marodes kommunales Krankenhaus wieder auf Kurs". Doch sie scheint auf die Regio-Kliniken in der Nähe von Hamburg nicht zu passen. Der Fall ist komplizierter. Der Absturz kam plötzlich, bis 2007 hatte der Verbund noch ein positives Betriebsergebnis.
Eine Rückblende: Der Ex-Geschäftsführer der Regio-Kliniken, Alexander Schlick, erwirbt in kurzer Zeit Pflegeheime, Altenzentren, ein Hospiz, Sanitätshäuser, Fitnessstudios, ambulante Pflegedienste und zahlreiche Medizinische Versorgungszentren (MVZs), sprich eine integrierte Versorgungskette. "Das war politisch über alle Parteigrenzen gewollt", sagt der Ex-Landrat und ehemalige Aufsichtsratschef Wolfgang Grimme. Ein Beispiel: Der Aufsichtsrat beschließt im Mai 2006 ein MVZ in der Hamburger City, gibt 1,8 Millionen als Investitionsmittel frei. Im Protokoll heißt es: "Ein Medizinisches Versorgungszentrum stellt eine gute Möglichkeit dar, ambulante Patienten aus dem Kreis Pinneberg in Hamburg zu versorgen und sie bei Bedarf als stationäre Patienten der Regio-Kliniken zu gewinnen."
Umstrittenes Sale-and-Lease-Back
Viele der 22 Töchter, auf Pump finanziert, machen Verluste; der Betrieb rutscht in die roten Zahlen. Der Schuldenberg steigt Mitte 2008 auf 75,3 Millionen Euro, davon sind 49,5 Millionen kurzfristige Kontokorrentkredite. Nach dem Prüfbericht zweifeln die Banken an der Bonität, kündigen den Kontokorrentkredit zum 31. Juli 2008. Schlick schließt mit der HSH-Nordbank und der Sparkasse Ostholstein einen Sale-and-Lease-Back-Vertrag, ist wieder flüssig. Die Banken erwerben Immobilien für 102 Millionen Euro, die Klinik kauft sie für jährliche Raten von 8,6 Millionen Euro über 25 Jahre zurück. Angebliche Ersparnis: jährlich 444.000 Euro.
An dem Deal scheiden sich die Geister. Der Kredit habe dem Unternehmen "das Genick gebrochen", sagen Kritiker. Sie können sich auf einen kürzlich veröffentlichten Prüfbericht des Landesrechnungshofes Schleswig-Holstein berufen. Danach war der Kredit mit 4,85 Millionen Euro Mehrkosten die "ungünstigste Lösung" und aus dem laufenden Betrieb "nie zu erwirtschaften". Aufsichtsrat und Kreistag "erhielten unvollständige und zum Teil auch falsche Zahlen." Geschäftsführer Schlick und Landrat Grimme, so die Prüfer, haben die Situation "völlig falsch" beurteilt. "Absurd", nennt Landrat Grimme die Vorwürfe. Der Vertrag war "2008 die günstigste Finanzierungsform". Ein zinsgünstiger Kommunalkredit, wie vom Landesrechnungshof ins Gespräch gebracht, sei nicht zulässig. "Das verstößt bei Unternehmen wie den Regio-Kliniken, die im Wettbewerb stehen, gegen EU-Beihilferecht." Sana habe den Vertrag nach der Übernahme sofort abgelöst. Heute müsse die Sana-Tochter 102 Millionen Euro abstottern, mit 4 Prozent Tilgung und 3,7 Prozent Zinsen. Hinzu komme zu gleichen Konditionen ein Darlehen des Kreises Pinneberg von 14 Millionen Euro zur Finanzierung der Vorfälligkeitsentschädigung der Banken.
Chaos im MVZ an der Binnenalster
Drei Fehlentwicklungen sind verantwortlich für die Schieflage ab 2008 gewesen, meint Grimme. Beim Ausbau der MVZ versenkte das Unternehmen 2 Millionen Euro, davon allein 1,2 Millionen im MVZ an der Hamburger Binnenalster. Dort herrschte laut Landesrechnungshof das "reinste Chaos". Ärzte wurden bezahlt, ohne praktizieren zu müssen. Die Pflegeheime Haus Kummersfeld und Haus Elbmarsch entwickelten sich anders als geplant, der Geschäftsführung seien die Personalkosten mit einer Steigerung von 10 Millionen Euro in den Jahren 2007 und 2008 aus dem Ruder gelaufen. Zur Steuerung habe ein funktionierendes Controlling gefehlt.
Anfang 2009 wird die wirtschaftliche Schieflage publik. Das Eigenkapital, 2007 noch 16,9 Millionen Euro, ist aufgebraucht. Der Aufsichtsrat diskutiert im März 2009 verschiedene Optionen: Sanierungstarifvertrag, Eigenkapitalspritze durch den Kreis, Privatisierung. Und er spricht der Geschäftsführung in nicht öffentlicher Runde das Vertrauen aus. Wenig später werden schwere Verstöße von Schlick bekannt: Die Vergabe von Aufträgen in Millionenhöhe ohne Ausschreibung, vorzugsweise an ausgewählte Firmen aus seinem Wohnort bei Bremen. Schlick muss gehen.
Baudezernentin vergibt teuren Auftrag an Lebenspartner
Der Landesrechnungshof wird später herausfinden: Der Umgang mit Geld war fragwürdig. Die Verwaltung residierte kurzzeitig in der Villa Mühlendamm. Diese hatte die Stadt Elmshorn Ende 2006 für 50.000 Euro an das Alten- und Pflegeheim Elbmarsch verkauft. Ein Jahr später übernehmen die Regio-Kliniken die Immobilie von ihrer Tochter für 550.000 Euro ? ein Deal zur Quersubventionierung des Pflegebetriebs. Die anschließende 700.000 Euro teure Sanierung soll kaum 300.000 Euro wert gewesen sein: Die Regio-Baudezernentin vergab ohne Ausschreibung Elektroarbeiten im sechsstelligen Bereich an den Handwerksbetrieb ihres Lebenspartners.
Im Mai 2009 beschließt der Kreistag auf Initiative von Grimme den Verkauf von Klinikanteilen, kurz darauf beginnen Gespräche mit Sana, am 15. Juli wird der Verkauf besiegelt. "Der Zeitdruck war unbegründet", schreibt der Landesrechnungshof. Grimme verteidigt die Privatisierung im Schweinsgalopp: "Es musste gehandelt werden, dem Unternehmen hätte die Insolvenz drohen können." Sana habe das "mit Abstand beste Angebot gemacht". Frühere Mitarbeiter versichern: "Die Klinik hätte nicht verkauft werden müssen." Die Verluste waren verkraftbar. "Wir waren medizinisch gut aufgestellt, brauchten aber zur Konsolidierung mehr Zeit." Politiker, die heute die Privatisierung beklagen, hätten den Aufsichtsrat für ihre parteipolitischen Interessen und ihre Profilierung missbraucht. Die ständigen Indiskretionen hätten dem Unternehmen geschadet. Im April habe der Aufsichtsrat den Kauf eines erfolgreichen Pflegeheims diskutiert. "Am nächsten Tag standen alle Zahlen in der Zeitung." Der Landesrechnungshof äußert den Verdacht, die Privatisierung sei von langer Hand geplant gewesen. Grimme und Schlick sollen 2007 mit Banken darüber gesprochen haben, die Privatisierung sei Voraussetzung für den umstrittenen Sale-and-Lease-Back-Vertrag gewesen. Grimme bestreitet dies, er habe sich vielmehr für eine Mitarbeiterbeteilung am Unternehmen stark gemacht.
Rechnungshof kritisiert Kreistag
Der wirtschaftliche Schaden wird kontrovers diskutiert. Als Unternehmenswert setzt der Rechnungshof 102 Millionen Euro an, den Umfang des Kredits. Sana habe für 2,5 Millionen Euro 74,9 Prozent erworben, der Kreis einen "erheblichen Vermögensschaden" erlitten. Dass Sana ein "Schnäppchen" für 2,5 Millionen Euro gemacht habe, bestreitet Melchert. Der Wert habe 12,1 Millionen Euro betragen. Sana habe 25 Millionen Euro ins Eigenkapital gesteckt, 35 Millionen Euro an Investitionen zugesagt. Außerdem müsse der Betrieb 116 Millionen Euro abstottern.
Bleibt die Gretchenfrage: Warum wurde ein kommunales Unternehmen unter den Augen von Aufsichtsrat und Kreistag an den Rand der Insolvenz getrieben und verkauft? "Ich hätte Warnsignale früher richtig deuten müssen", räumt Grimme ein. Hans-Peter Stahl, SPD-Mitglied im Aufsichtsrat, vermutet: "Die Kliniken wurden bewusst an die Wand gefahren, um sie zu privatisieren." Der FDP-Politiker Klaus G. Bremer, ebenfalls Aufsichtsratsmitglied, sagt: "Beim MVZ in Hamburg waren alle Aussagen falsch. Wir sind durch manipulierte Unterlagen zur Zustimmung gedrängt worden." Und Michael Kissing (CDU) spricht von "kriminellen Machenschaften". Dass Aufsichtsrat und politische Gremien im Kreistag falsch oder unzureichend informiert wurden, lässt der Rechnungshof nicht gelten. Der Kreistag hätte Wirtschaftsprüfer oder das eigene Rechnungsprüfungsamt einschalten müssen.
Kommunales Vermögen vernichtet
Dem Kreis Pinneberg bleibt neben seinen 25,1 Prozent eine Altlast durch den kommunalen Schadensausgleich. Dieser deckt das Haftungsrisiko für Behandlungsfehler bis zum Einstieg von Sana ab. Spekulationen über jährliche Belastungen von 500.000 Euro bis insgesamt 20 Millionen Euro machen die Runde. Verantwortlich sei Grimme, der Zeitdruck erzeugt habe, und die CDU-FDP-Koalition, die "keinen Prüfbedarf" gesehen habe, so SPD-Fraktionschef Birke. Während der Verhandlungen soll Grimme versichert haben, es gehe allenfalls um ein "paar Tausend Euro". Grimme widerspricht. "Das Thema war mit Sana nicht verhandelbar." Bei wem die Schuld für die Vernichtung des kommunalen Vermögens liegt, ist nicht endgütig entschieden. Die Staatsanwaltschaft Kiel ermittelt noch wegen Verdachts auf Betrug, Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit gegen führende Manager. Anklage wurde bisher aber nicht erhoben.


Derzeit sind noch keine Kommentare vorhanden. Schreiben Sie den ersten Kommentar!
Jetzt einloggen