Siemens Healthcare hat seine drei Divisionen neu geordnet? was war der Grund für diese Umschichtung?
Die größte Neuerung bei Siemens Healthcare ist sicher die Gründung der Division Clinical Products, die das Geschäft mit Röntgen- und Ultraschallgeräten umfasst. Ausschlaggebend war, dass sich die Anforderungen der Kunden im Gesundheitsmarkt geändert haben. Denn während sich große Kliniken mit High-End-Lösungen voneinander differenzieren wollen, verlangen kleinere Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte, besonders in den überdurchschnittlich wachsenden Schwellenländern, vor allem kostengünstige und weniger komplexe Geräte. Da wollen wir im Wettbewerb mit anderen Herstellern gewappnet sein und haben deshalb unser Gesundheitsgeschäft neu geordnet.
2009 verzeichnete Siemens Healthcare in Deutschland mehr als eine Milliarde Euro Umsatz. Welche Auswirkungen hat die aktuelle wirtschaftliche und politische Situation im Gesundheitswesen auf das Geschäft mit der Medizintechnik?
kma August 2010
Dieser Artikel ist in der August-Ausgabe der kma erschienen. Alle weiteren Themen der Ausgabe finden Sie im Inhaltsverzeichnis der kma.
In den letzten zwei Jahren wurde der Markt für Medizintechnik durch das Konjunkturprogramm II der Bundesregierung sehr unterstützt. Zudem gibt die jetzige Gesundheitsreform positive Impulse, weil sie den Wettbewerb der Leistungserbringer fördert. Krankenhäuser und Ärzte müssen sich in Zukunft langfristig aufstellen, und dafür müssen sie in innovative Technik investieren. Ich sehe die Entwicklung sehr positiv.
Das Sparpaket der Regierungskoalition zieht aber erst einmal Geld aus dem System. Der Trend zum Wettbewerb mildert aber diesen Effekt. Der Markt wird nicht zweistellig wachsen, aber er wird auch nicht einbrechen. Ich glaube, er wird auf dem Niveau wie bisher weiterwachsen.
Wo sehen Sie in den nächsten Jahren die größten Wachstumsmärkte in der Gesundheitswirtschaft?
Wenn wir von den Krankheitsbildern ausgehen, dann ist es sicher die Onkologie. Bezüglich Technik ist es die Informationstechnologie. Zwar sehen die Marktzahlen der IT bisher noch sehr verhalten aus, aber in Zukunft wird sie eine sehr große Rolle spielen. Siemens ist gerade dabei, das Krankenhausinformationssystem (Kis) Clinicom vom Markt zu nehmen. Drei weitere hat Ihr Unternehmen noch im Portfolio. Wird es in absehbarer Zeit nur noch ein Kis von Siemens geben, oder halten Sie an den drei übrigen Kis unter dem Siemens-Dach fest?
Es macht keinen Sinn, in Deutschland nur ein Kis anzubieten. Es gibt Kunden, die wollen SAP, und es gibt Kunden, für die SAP nicht infrage kommt. Und deswegen werden wir mit den drei Kis weiterfahren: Soarian für die Kunden, die stark am Workflow orientiert arbeiten, Medico für mittlere bis kleinere Krankenhäuser, die flexibel arbeiten wollen, und Ish-Med für die, die mit SAP arbeiten. Prinzipiell denke ich, dass Kis im Allgemeinen und auf längere Sicht stärker durch die klinische IT getrieben sein werden und nicht wie bislang durch Abrechnung oder Patientendatenmanagement.
Wie sieht ein klinisch getriebenes Kis konkret aus?
Wenn man ein klinisches Kis hat und es überall einsetzen will, braucht man eine elektronische Patientenakte, und zwar eine Akte, die nicht nur im eigenen Haus, sondern auch in anderen Kliniken, beim niedergelassenen Arzt und auch beim Patienten zur Verfügung steht. Dafür sind gemeinsame Standards wichtig. Das heißt, wir müssen andersherum denken: Der Fokus liegt nicht auf dem System, sondern darauf, welche Akte sich am Markt durchsetzt und wie ich die in meinem System abbilden kann.
Welche Rolle spielt das Beratungsgeschäft in Ihrer Sparte?
Wir zeigen Krankenhäusern mit Hilfe von Benchmarks, wie sie im Wettbewerb ? auch weltweit ? dastehen und unterstützen sie bei der Umsetzung von Leitlinien, beispielsweise in der Kardiologie, Neurologie oder Onkologie. Die nächste Stufe ist Versorgung und Versorgungsforschung, etwa wenn es um die Sicherstellung des Gesundheitswesens in einer Region geht. Wir machen Workflow-Analysen in Kliniken und beraten die Häuser, wie sie neue Strukturen aufbauen können.
Siemens bietet auch Finanzierungslösungen an. Welche Modelle fragen Kliniken besonders stark nach?
Heute verkaufen wir noch 80 Prozent unserer Produkte klassisch. Das Finanzierungsmodell, das Kliniken am ehesten nutzen, ist Leasing. In Zukunft wird es aber verstärkt sogenannte Bereitstellungsmodelle geben. Dabei bauen wir über eine Laufzeit von 10 bis 15 Jahren ein komplettes Imaging Center oder eine komplette Diagnostik auf. Oft ist auch der Wartungsservice inbegriffen. Wir haben so eine Partnerschaft seit mehreren Jahren mit dem Städtischen Klinikum St. Georg in Leipzig und verhandeln gerade gemeinsam mit der Medizinischen Hochschule Hannover ein Projekt zur strategischen Partnerschaft Imaging Center.
Wieso sind Betreibermodelle so selten?
Viele Kunden nutzen derzeit Fördermittel und investieren, wenn die Mittel vorhanden sind. Doch Betreibermodelle werden kommen, vor allem weil die Innovationszyklen für Medizintechnik kürzer geworden sind: Früher hat man alle sieben Jahre investiert. Heute kommt jedes zweite Jahr ein neues Gerät auf den Markt.
Sie kennen die Krankenhauslandschaft sehr genau. Wo investieren Kliniken momentan am stärksten?
Wenn Sie die Fachgebiete betrachten, investieren Kliniken und niedergelassene Ärzte sehr stark im Bereich Onkologie und dort vor allem in die Strahlentherapie. Denn die Zahl der Krebserkrankungen nimmt zu und der Bedarf nach Leistungen zur Behandlung dieser Krankheit wird steigen, das steht außer Frage.
Siemens will ,näher am Kunden sein? und ,funktionelle Lösungen? in den Vordergrund rücken. Was heißt das?
Wir befassen uns stärker mit den Funktionsbereichen der Kliniken und untersuchen, was wir etwa in der Kardiologie, Neurologie oder Onkologie bewegen können. Nehmen wir Brustkrebs als Beispiel. Da geht es nicht nur um Behandlungsabläufe, sondern auch um Vor- und Nachsorge beim niedergelassenen Arzt. Medizintechnik, Labortechnik und IT sind für eine reibungslose Behandlung gleichermaßen nötig ? da wollen wir unsere Kunden ganzheitlich unterstützen. Unser Know-how resultiert aus vielen Vergleichen und Benchmarks, denn wir haben den Vorteil, dass wir weltweit tätig sind. Wie wissen einfach, wie die Kardiologie in den USA funktioniert oder wie die Schlaganfallversorgung in Frankreich läuft. Wir verkaufen nicht nur Produkte an den Kunden, sondern unterstützen ihn auch, wenn es um Organisation und Workflow in seinem Haus geht. Das verstehen wir unter Kundennähe: Den Kunden zu verstehen und ihn dabei zu beraten, wie er seine Wettbewerbsfähigkeit verbessern kann.
Ist diese neue Verkaufsstrategie ein dramatischer Wandel?
Ja, absolut. Unsere Vertriebsmitarbeiter haben sich bisher vor allem als Ingenieure verstanden, die den Ärzten unsere Technik erklären. Doch sie müssen nicht nur die Technologie verstehen, sondern auch die Medizin. Außerdem müssen sie auch wissen, wie der Kunde seine Leistungen mit dem Gerät abrechnen kann. Das ist ein Wandel, und da haben wir in den letzten Jahren viel in die Ausbildung unserer Mitarbeiter investiert.


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