

Natürlich kann man flunkern und etwa in einer Ausschreibung den Stellenschlüssel für eine Chefarztposition mit 1-3-7 angeben, wenn er de facto nur 1-2-4 beträgt und obendrein nur zwei Fachärzte dabei sind. Doch es ist besser, gleich am Anfang auf die wahren Verhältnisse hinzuweisen und dem Kandidaten zu erklären, dass er Kollegen mitbringen kann und Teambuilding möglich ist. Anderenfalls büßt in einem Fall wie diesem das Haus Glaubwürdigkeit ein, und die vorerst geköderten Kandidaten springen schnell wieder ab.
Es lohnt sich also, die Rekrutierung von Experten in einem strukturierten Prozess abzubilden. Am Ende des Auswahlverfahrens steht dann nicht immer der beste, sicherlich aber der passendste Kandidat. Das Vorgehen widerspricht oft dem Selbstbild des Trägers, der sich per se für attraktiv hält. Es kann aber auch ein Impuls sein, endlich ein realistisches Marken-Image aufzubauen. Die wichtigsten zu klärenden Fragen sind: Wen wollen Sie? Wissen Sie, wen Sie brauchen? Und wofür? Wenn Sie alle drei Fragen differenziert beantworten können, steht einer erfolgreichen Besetzung (fast) nichts mehr im Wege.
Es gilt also, den Markt für den betreffenden medizinischen Leistungsbereich zu analysieren, sich zu informieren, welche Entscheidungen zu dem Bereich künftig im GBA anstehen.
Doch leider läuft es oft ganz anders. Die Krankenhausleitung lädt nach der Ausschreibung fast alle Bewerber ein, welche die K.-o.-Kriterien passieren: Hauptsache, die Mischung stimmt. Aber eine Auswahl sollte nicht bedeuten, möglichst viele Kandidaten einzuladen. Vielmehr sollte sie das Resultat einer strategischen Entscheidung sein. Es gilt also, den Markt für den betreffenden medizinischen Leistungsbereich zu analysieren (Inzidenzen, Marktanteil, Zuweiserströme), sich zu informieren, welche Entscheidungen zu dem Bereich künftig im GBA anstehen, sich die Diskussionen in den Fachgesellschaften anzuschauen und zu recherchieren, ob die jeweiligen Stationen auf dem neuesten Kenntnisstand sind oder die Mitarbeiter dort nachqualifiziert werden müssen.
Auf Worthülsen wie „flache Hierarchien“ verzichten
Auch heißt es, bisherige Selbstbeschreibungen kritisch zu durchleuchten: Nicht überall, wo „Zentrum“ draufsteht, ist auch eines drin, „Kollegialsysteme“ sind nicht selten Mobbingplattformen oder Quellen von Rivalitäten, die selbst Integrierte abstoßen. Auch „flache Hierarchien“ sind eine Selbstbeschreibung, die nur selten wirklich gelebt wird. Skeptisch werden Kandidaten auch, wenn sie schon im Vorstellungsgespräch merken, dass Beschreibungen wie Stroke Unit, CPUs, Bauch-/Kopfzentren nur Hülle sind. Von einem Zentrum erwarten sie nicht nur interdisziplinäre Zusammenarbeit, sondern auch Rotationspläne, gemeinsame Dienste, vereinbarte Pathways et cetera; Dinge also, die tief in die Ablauforganisation hineinreichen.
Für Auswahlgremien ist es wichtig, die Bewerberperspektive (candidate experience) einzunehmen, um hier ein zielgruppenadäquates Angebot zu machen und sich als Unternehmen optimal zu präsentieren. Ganz konkret bedeutet dies, dass eine schwierige Gemengelage, unerheblich ob medizinische, pflegerische oder kaufmännische Positionen zu besetzen sind, auch konkret kommuniziert werden sollte. Dazu zwei Beispiele.
Das erste Beispiel: Ein neuer Chefarzt übernimmt ein zerstrittenes Oberarztteam, die Fallzahlen sind rückläufig, und die Zuweiser haben sich zwischenzeitig umorientiert; als Kulmination wäre noch vorstellbar, dass der ehemalige Chefarzt sich vor den Toren der Klinik niederlässt und einen Teil der Privatpatienten mitnimmt. Das zweite Beispiel: Die Leitung der Notaufnahme wird erstmalig mit einem Chefarzt, dem vom Transportdienst über die Pflege bis hin zum ärztlichen Personal alle unterstellt sind, besetzt. Bisher sind die Oberärzte der Unfallchirurgie in die Notaufnahme hineinrotiert und haben dies als Möglichkeit der abteilungsorientierten Belegungssteuerung genutzt.
Diejenigen, denen potemkinsche Dörfer „verkauft“ wurden, sitzen später bei den diversen Personalberatern und machen ihrem Frust über falsche Versprechungen oder Darstellung der Ist-Situation Luft.
Im ersten Fall ist es sogar vertrauensfördernd, wenn der künftige Arbeitgeber Tacheles redet, den Kandidaten mit internen Informationen etwa zu Casemix-Index (CMI), Fallzahlentwicklung, Marktauslastung und Zuweiser-Befragung versorgt und Unterstützungsangebote Richtung Coaching macht. Sollte der Ex-Chefarzt weiter einer ärztlichen Tätigkeit nachgehen wollen und das Haus dies auch unterstützen, so empfiehlt es sich, schon während des Auswahlverfahrens ein Gespräch mit ihm zu führen (unter Beobachtung eines Dritten!) und die Leistungsverteilung abzustimmen. Es ist nämlich zu bedenken: Diejenigen, denen potemkinsche Dörfer „verkauft“ wurden, sitzen später bei den diversen Personalberatern und machen ihrem Frust über falsche Versprechungen oder Darstellung der Ist-Situation Luft – etwas, das übrigens oft auch passiert, wenn versprochene Investitionszusagen oder Personalschlüssel nicht umgesetzt werden.
Vorsicht bei neu geschaffenen Positionen
Das zweite Beispiel ist etwas komplexer: Grundsätzlich sollte die Geschäftsführung Mitarbeitern bei neu geschaffenen Positionen den Rücken stärken und sie klar im Organigramm positionieren. Anderenfalls muss der Kandidat seine eigene Position rechtfertigen und sich Akzeptanz erst mühselig erkämpfen. So wird die Position schnell zum Schleudersitz par excellence. Dies gilt auch für die hauptamtlichen medizinischen beziehungsweise ärztlichen Direktoren, die es meist schwer haben neben einem etablierten Kaufmännischen Geschäftsführer; auch hier gibt es zahlreiche Beispiele des Scheiterns. OP-Manager sind eine ebensolche Spezies, die vielfach in diese Position geschickt werden, ohne dass es zuvor vorbereitende, akzeptanzfördernde Gespräche mit den beteiligten Chefärzten gab. Wenn sie dann außerdem nicht direkt dem Geschäftsführer unterstellt sind, sondern wie so oft dem Chefarzt der Anästhesie, und keine disziplinarische Verantwortung für die Ärzte, Pfleger und Transportkräfte im OP besitzen (das OP-Statut ist hier zu schwach), enden sie als zahnlose Tiger. Um Missverständnissen vorzubeugen: Diese strategischen Positionen sind wichtig, bedürfen aber einer exzellenten Vorbereitung und Rückendeckung durch die Geschäftsführung. Vielleicht eskalieren die widerstreitenden Interessen und Machtansprüche nicht gleich während des Auswahlverfahrens, spätestens aber in der unmittelbaren Folgezeit, die eigentlich zur Integration ins Unternehmen genutzt werden sollte.
Positiv formuliert: Ein Haus kann nur dann passende Kandidaten finden, wenn das Anforderungsprofil und die Kompetenzkriterien direkt aus dem Aufgabenspektrum und der aktuellen Situation im Haus entwickelt werden. Im ersten Beispiel wäre dies – sehr verkürzt dargestellt – vor allem eine Aufbaumentalität, strategische Kompetenz und Erfahrung im Teambuilding sowie eine valide Führungserfahrung; im zweiten Beispiel eine ausgeprägte Konflikt- und Durchsetzungsfähigkeit gepaart mit einem langen Atem, Organisationstalent, Prozessverbesserungserfahrung sowie eine initiative Kommunikation mit allen Beteiligten. In dieser Systematik sollten die eingeladenen Kandidaten dann auch befragt werden, idealerweise durch eine Personalleitung, die sich als HR Business Partner versteht und eine Bewertungsmatrix zur Verfügung stellt, die eine zumindest teilstrukturierte Befragung der Kandidaten – aus Gründen der Vergleichbarkeit – ermöglicht.
Dieser Artikel erschien in der kma Ausgabe 10/16.
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