
Was wurde nicht schon alles über und im Zusammenhang mit Corona gesagt oder geschrieben? Fast alles, möchte man meinen. Übrigens auch, dass man über Corona am liebsten nichts mehr hören oder lesen möchte.
Das hat nicht nur etwas mit Selbstschutz zu tun, sondern ist auch eine Gegenreaktion auf das vermeintlich Allbeherrschende an dieser Krise. Vieles muss dahinter zurücktreten, kaum einen kann man noch an alten Versprechungen und Vorhaben festhalten – jetzt ist doch Krise, da muss man doch für vieles mehr als sonst Verständnis haben. Auch in der Politik abseits von Corona, oder?
Im Prinzip ja. Die Corona-Krise kann in Deutschland zur größten Wirtschaftskrise nach dem Zweiten Weltkrieg werden. Das ist eine riesige Herausforderung für die Menschen, Strukturen und Organisationen in unserer Gesellschaft. Übrigens auch für die DGIV, die sich – wie so viele andere – bereits von vielen Veranstaltungsvorhaben in ihrer Jahresplanung verabschieden musste.
Aber dennoch, und vielleicht gerade weil das so ist: In einer Krise müssen Kräfte zu deren Überwindung freigemacht werden. Dazu braucht es Hoffnung, Zuversicht und Tatendrang, aber vor allem anderen auch Zielstellungen und Konzeptionen.
Verbesserungspotenziale ausschöpfen
Deshalb gibt es auch auf unser Gesundheitswesen unterschiedliche Sichtweisen. Auf der einen Seite ist der Blick auf die gesundheitliche Auseinandersetzung mit der viralen Gefahr Covid-19 gerichtet – von der Prävention über Diagnose und Therapie bis zur Altenpflege. Auf der anderen Seite wird der Gesundheitsbereich als größter Teil unserer Volkswirtschaft und mit seiner bekanntermaßen großen Abhängigkeit von öffentlichen Mitteln jetzt so stark und intensiv wie noch nie auf die Verbesserung der Effizienz und Effektivität der Versorgung hin überprüft werden müssen. Das, was man sich bisher noch leisten konnte und wollte, als Steuern und Abgaben noch reichlich sprudelten, muss jetzt und in Zukunft wirtschaftlicher bei gesicherter Qualität erbracht werden.
Versorgungssystem mit Optimierungspotenzial
Von Sachverständigenseite ist längst aufgezeigt worden, wo in unserem Versorgungssystem die größten Verbesserungspotenziale bestehen. Manch „heißes Eisen“ wurde jedoch von Regierungsseite auf die lange Bank geschoben und hat sich dabei dennoch nicht abgekühlt. Der Schmelztiegel dafür ist der Schnittstellenbereich von ambulant und stationär. Im Brennpunkt steht dabei die integrierende – weil kooperierende – sektorenübergreifende Versorgung ehemals angestammter ambulanter und stationärer Leistungserbringer.
Hier muss in Zukunft auch abseits von Corona und unabhängig von Partikularinteressen dieser Bereich systematisch wissenschaftlich begründet aufgearbeitet werden. Jeder weiß, dass es keine Lösung ist, den wachsenden finanziellen Forderungen dieses Systems zu entsprechen, ohne dessen wirtschaftliche Potenziale und Möglichkeiten konsequent zu ermitteln und auszuschöpfen.
Die DGIV hat bereits wiederholt die enttäuschenden Arbeitsergebnisse der Bund-Länder-Arbeitsgruppe sektorenübergreifende Versorgung kommentiert. Nach unserer Einschätzung hat die AG die Aufgabenstellungen des Koalitionsvertrages noch nicht erfüllt. Diese Arbeit ist keine Nebensache, auch nicht unter den vielfältigen Einflüssen der Corona-Krise.
Der Gesundheitsbereich als größter Teil unserer Volkswirtschaft und mit seiner bekanntermaßen großen Abhängigkeit von öffentlichen Mitteln, wird jetzt so stark und intensiv wie noch nie auf die Verbesserung der Effizienz und Effektivität der Versorgung hin überprüft werden müssen.
Die Corona-Krise kann in Deutschland zur größten Wirtschaftskrise nach dem Zweiten Weltkrieg werden. Das ist eine riesige Herausforderung für die Menschen, Strukturen und Organisationen.
Die Koalitionspartner der Bundesregierung formulierten unter anderem in ihrem Koalitionsvertrag: „Das Patientenwohl ist für uns entscheidender Maßstab für gesundheitspolitische Entscheidungen, die Patientenorientierung ist unser Leitbild für das Gesundheitswesen.“ Diese Selbstverpflichtung lässt sich ohne ein klar formuliertes Zielbild im Rahmen einer längerfristigen, nachhaltigen Konzeption nicht erfüllen. Das gilt besonders für die Entwicklung der Versorgungsstrukturen in Medizin und Pflege.
Was kommt nach Corona?
Die derzeitige Krise wird auch zunehmend stark durch die Frage nach den richtigen gesellschaftlichen Entwicklungen in den postpandemischen Zeiten geprägt. Um hier die richtigen, notwendigen Antworten geben zu können, braucht es Fachkompetenz, Objektivität und Durchsetzungsvermögen. Dazu gehören auch Visionen, sonst verharrt man zu schnell im Klein-Klein der verlustreichen Konsentierung ursprünglich innovativer Ansätze.
Die DGIV steht für die Vision der Überwindung der sektoralen Trennung durch integrierende Versorgungslösungen. Gerade in der jetzigen Situation können Visionen – als Zielbilder beschrieben – für die richtige Wegbeschreibung aus einer Krise etwas sehr Produktives sein.
Was man also früher glaubte aussitzen zu können, muss heute entschlossen angepackt werden – auch eine schöne Vision.
