
Eine konsequente und bedarfsgerechte Digitalisierung von pflegerischer Dokumentation und pflegerischen Prozessen kann den Pflegenotstand nicht beseitigen, aber sie kann das Pflegepersonal entlasten und so letztlich dazu beitragen, dass mehr Zeit für die eigentliche pflegerische Tätigkeit am Patienten bleibt. Bei der DMEA 2019 ist die Digitalisierung der Pflege ein zentrales Thema.Der Mangel an Pflegekräften ist eines der „Megathemen“ in der Medizin. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat sich die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege zur Aufgabe gemacht.
Das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG) war eines der ersten großen Gesetze, die der Minister erfolgreich durch den Deutschen Bundestag gebracht hat. Unterschiedliche Ansätze werden derzeit diskutiert und vorangetrieben, um die drängendsten Probleme im Pflegesektor und in der Krankenhauspflege zu lösen. Ein wichtiges Stichwort sind die im PpSG angelegten Personaluntergrenzen. Auch die Anwerbung von Pflegekräften aus anderen Ländern wird diskutiert.
Pflegenotstand: Entlastungspotentiale durch IT-Lösungen nutzen
Noch zu wenig im Blick steht dagegen die Unterstützung und Entlastung der Pflegekräfte durch eine konsequente Digitalisierung, sowohl in Krankenhäusern als auch in stationären Pflegeeinrichtungen und ambulanten Pflegediensten. „Eine Ablösung papiergebundener Prozesse durch eine konsequente digitale Abbildung von Pflegeleistungen können Pflegekräfte in allen Arbeitskontexten stark entlastet werden“, betont Sebastian Zilch, Geschäftsführer Bundesverband Gesundheits-IT – bvitg e. V.
„Der Aufwand der Umstellung ist deutlich geringer als für die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland oder für die Umschulung von Personal aus anderen Bereichen.“Die Digitalisierung pflegerischer Prozesse ist dabei kein Selbstläufer. Sie muss gut geplant, sorgfältig umgesetzt und nachhaltig finanziert werden. So sollten die gesetzlichen Rahmenbedingungen so beschaffen sein, dass es möglich wird, auf pflegeassoziierte, papiergebundene Prozesse vollständig zu verzichten. Und die Finanzierungsregelungen für pflegerische Leistungen sollten es für Einrichtungen attraktiv machen, digitale Prozesse zu etablieren.
Auch müssen Pflegekräfte bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens als eigenständige Akteure mehr Berücksichtigung finden. So konzentriert sich der Anwenderkreis der deutschen Telematikinfrastruktur bisher ausschließlich auf Ärzte und Apotheker. Pflegekräfte (und andere Gesundheitsberufe) kommen nicht vor.
Stolpersteine vermeiden, Digitalisierungskompetenz ausbauen
Diese und andere Forderungen hat der bvitg im Sommer 2018 in einem Positionspapier zur Digitalisierung der Pflege niedergelegt.
Es geht bei diesem Thema aber nicht nur um die politischen Rahmenbedingungen, sondern auch um die Umsetzung digitaler Prozesse auf Ebene der einzelnen Einrichtungen: „Der wichtigste Punkt für den Erfolg von Digitalisierungsprojekten mit Pflegebezug ist die Einbindung der Pflegekräfte bei allen Projektschritten; von der Auswahl des Produkts bis zur Implementierung“, betont Heiko Mania, der beim bvitg die vor einem Jahr neu gegründete Arbeitsgruppe „Digitalisierung in der Pflege“ leitet. Wie das konkret aussehen sollte, wird unter anderem bei dem Seminar „Digitalisierung in der Pflege – Best-Practice-Wissen für erfolgreiche Projekte“ thematisiert, das Mania bei der DMEA leitet.
Als vielleicht wichtigsten Stolperstein bei Digitalisierungsprojekten in der Pflege betrachtet Mania neben der mangelhaften Einbindung des Pflegepersonals eine suboptimale digitale Umsetzung der Pflegeprozesse: „Hier gibt es häufig ganz unterschiedliche Erwartungen zu Projektbeginn. Wenn es nicht gelingt, im Vorfeld einen gemeinsamen Erwartungshorizont zu schaffen, wird es fast zwangsläufig zu Enttäuschungen kommen.“ Zu berücksichtigen ist auch, dass die IT-Kompetenz in der Ausbildung zu Pflegeberufen unzureichend vermittelt wird.
Wichtiger Bestandteil eines jeden Pflege-IT-Projekts sei es deswegen, den Pflegekräften Kompetenzen zu vermitteln und Ängste zu nehmen, betont Mania. Eine Pflegedokumentation direkt am Point-of-Care werde von der Pflege in jedem Fall wesentlich besser angenommen als die Arbeit mit stationären IT-Systemen weit weg vom Patienten.
PpSG und die Folgen: Ohne digitale Pflegedokumentation geht es nicht mehr
Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Bereitschaft zu einer Digitalisierung der Pflegeprozesse in den medizinischen und pflegerischen Einrichtungen des Gesundheitswesens stark zunimmt.
Im Moment dokumentieren Pflegekräfte in Deutschland zwar noch in mehr als sieben von zehn Einrichtungen mit Stift und Papier. Das wird sich aber nicht mehr lange durchhalten lassen, weil die Anforderungen an die Pflegedokumentation in den nächsten Jahren weiter steigen werden.Ein wichtiger Grund dafür sind die politischen Initiativen zur Stärkung der Pflege, allen voran das PpSG. In dessen Rahmen soll unter anderem die Pflegefinanzierung im Krankenhaus auf völlig neue Beine gestellt werden.
„Die genaue Umsetzung dieser Neuerung ist im Moment noch unklar, aber es ist sicher, dass Pflegeleistungen künftig anders dargestellt und erfasst werden müssen“, so Mania. Auch die Personaluntergrenzenregelung, die seit Anfang 2019 gilt, zwingt insbesondere Krankenhäuser dazu, Leistungen transparenter zu machen und sie damit besser zu dokumentieren, um den Pflegequotienten berechnen und das knappe Personal an den richtigen Stellen einsetzen zu können. Mit Papier und Stift ist das nicht mehr zu schaffen.
Anreize für die Digitalisierung der ambulanten und der Langzeitpflege
Im Bereich der ambulanten Pflege und der Langzeitpflege könnte eine andere Regelung des PpSG für einen Digitalisierungsschub sorgen: Pflegedienste und Pflegeheime, die in Digitalisierung investieren, können eine Anschubfinanzierung von bis zu 12.000 Euro in Anspruch nehmen, wenn sie bereit sind, selbst auch zu investieren. „Um wichtige Digitalisierungsprojekte anzuschieben, ist das eine gute Basis. Wir gehen davon aus, dass diese Förderungen von den Pflegeeinrichtungen und Pflegediensten rege in Anspruch genommen wird“, so Mania.
Aus Sicht des bvitg ist eine Anschubfinanzierung allerdings nur ein erster Schritt. „Wir fordern eine erhöhte, langfristige und vollumfängliche Finanzierung von Digitalisierungsmaßnahmen in der Altenpflege. Eine einmalige Teilfinanzierung wird nicht zu einer nachhaltigen Entlastung führen“, betont bvitg-Geschäftsführer Sebastian Zilch.
Auch für eine Verpflichtung zur Umstellung auf elektronische Prozesse in der Altenpflege plädiert der Verband, außerdem für Regelungen, die – ähnlich wie bei den elektronischen Patientenakten – gewährleisten, dass Industrie und Standardisierungsgremien bei der Definition von Schnittstellen und Terminologien für die digitale Pflege einbezogen werden.







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