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StudieForschende untersuchen Arbeitsplatzergonomie bei Roboter-Eingriffen

Am Uniklinikum Köln untersuchen Forscherinnen und Forscher aus Design und Medizin in einer gemeinsamen Studie, wie sich die Arbeitsbedingungen für Chirurginnen und Chirurgen durch den Einsatz von OP-Robotern verändern.

Juliane Ahn und Dr Dolores Mueller
Mit einer Kamera sollen Aufnahmen des Chirurgen während einer Operation mit dem da Vinci-System gemacht werden.
Juliane Ahn und Dr. Dolores Müller
Im Unterschied zum offenen Eingriff sitzt der Chirurg während der Operation am da Vinci- Roboter.

Robotergestützte Assistenzsysteme sind aktuell in 128 deutschen Kliniken im Einsatz. Die moderne Operationsmethode führt zu einer völlig neuen Arbeitsplatzergonomie, die bislang noch nicht ausreichend erforscht ist. Im Projekt „Robotic Operations – Mensch und Maschine im chirurgischen Verbund“ analysieren deshalb Designforscherinnen der Köln International School of Design (KISD) der TH Köln zusammen mit Chirurginnen und Chirurgen der Klinik für Allgemein-, Viszeral-, Tumor- und Transplantationschirurgie der Uniklinik Köln die Arbeitsabläufe während der Operation mit einem Roboter. Das Team erhofft sich dadurch Hinweise, um den Roboterarbeitsplatz im OP-Saal ergonomischer zu gestalten.

Rückenschmerzen weit verbreitet

Viele Chirurginnen und Chirurgen leiden unter Rückenschmerzen. Vor allem bei offenen Eingriffen fordern stundenlanges Operieren in gebeugter Haltung und die Drehbewegungen vom Patienten weg und wieder hin ihren Tribut. Eine Auswertung der englischsprachigen Fachliteratur aus dem Jahr 2018 ergab, dass Chirurginnen und Chirurgen bei offenen Eingriffen zu 66 bis 94 Prozent unter arbeitsbedingten Muskelskeletterkrankungen leiden. Für die robotergestützte Chirurgie lag dieser Wert bei 23 bis 80 Prozent, und damit deutlich unter dem offenen Eingriff. Aber auch hier stellte die Untersuchung Belastungen des Rumpfes, der Handgelenke und der Finger fest.

Die Kölner Studie erfolgt an einem OP-Roboter der Marke da Vinci des Unternehmens Intuitive Surgical aus den USA. Das System wurde ursprünglich für das Militär entwickelt. Ärzte sollten damit verletzte Soldaten aus sicherer Entfernung außerhalb des Kampfgebiets telemedizinisch operieren können. Das System besteht aus mehreren Teilen: Eine Robotikeinheit am Patienten dient als „verlängerter Arm“ des Arztes, um die Instrumente zu führen und millimetergenaue Schnitte durchzuführen. Der Arzt oder die Ärztin bedient die Robotikeinheit an einer Steuerkonsole, die aus zwei Kontrollarmen und einem 3D-HD-Display besteht. Mit den Kontrollarmen steuert der Arzt oder die Ärztin die Bewegungen des Roboters und damit die Handlungen am Patienten. Beim Display handelt es sich nicht um ein mobiles Headset, das der Arzt sich aufsetzt, sondern um eine schüsselähnliche stationäre Vorrichtung, in die der Chirurg oder die Chirurgin den Kopf hineinstecken und ihn dort von einer Seite zur anderen drehen kann. Das Display besteht auch zwei Okularen, die wie bei einem Stereomikroskop eine räumliche Sicht auf das Operationsfeld ermöglichen sollen. Im Unterschied zum offenen Eingriff ist die Arbeit mit einem OP-Roboter eine überwiegend sitzende Tätigkeit.

Messungen mit Sensoren und Kameras

Die Idee zur Ergonomiestudie entstand an der Köln International School of Design (KISD) der TH Köln. Dort hatte die Forscherin Juliane Ahn in ihrer Bachelorarbeit das Bild-Raum-Gefüge in den komplexen Mensch-Maschine- Interaktionen im OP-Saal untersucht. Schon damals interessierte sie sich dafür, wie der da Vinci-Roboter die Arbeit der Chirurginnen und Chirurgen sowie des OP-Teams verändert. Parallel dazu loteten Prof. Dr. Carolin Höfler, Professorin für Designtheorie und -forschung an der KISD, und Prof. Dr. Hans Fuchs, Leitender Oberarzt für roboterassistierte Chirurgie an der Klinik für Allgemein-, Viszeral-, Tumor- und Transplantationschirurgie, in einer Machbarkeitsstudie aus, wie sich zwei so unterschiedliche Fächer wie Design und Medizin im operativen Alltag kombinieren lassen. „Damals begannen wir uns dafür zu interessieren, wie sich die Körperhaltung des Chirurgen an der Konsole im Vergleich zur offenen Operation verändert“, sagt Ahn. Nach ihrer Masterarbeit hat sie das Thema zusammen mit Dr. Dolores Müller von der Uniklinik Köln erneut aufgegriffen. Bis August 2023 untersuchen sie gemeinsam mit Doktorandinnen und Doktoranden der Uniklinik Köln im Projekt „Robotic Operations – Mensch und Maschine im chirurgischen Verbund“ die Arbeitsplatzergonomie am da Vinci-Roboter. Das Forschungsprojekt wird von der Rhein- Energie Stiftung gefördert.

Obwohl es mehrere Untersuchungen zu berufsbedingten Erkrankungen an OP-Robotern gibt, sind Studien zur Arbeitsplatzergonomie bislang unterrepräsentiert. Ein wesentlicher Punkt zur Beurteilung der Ergonomie, gerade in der Chirurgie, ist die Konzentrationsfähigkeit. Aus ersten Untersuchungen wissen die Forscherinnen und Forscher, dass der Herzschlag eines Chirurgen abnimmt, sobald er zu operieren beginnt. Nach dem Eingriff ist er in der Regel weder unruhiger noch gestresster, sondern vor allem erschöpft. Da die Forscherinnen den Chirurgen nicht ständig während einer Operation unterbrechen und nach seiner Konzentrationsfähigkeit befragen können, haben sie sich auf indirekte Messungen verlegt. Mit einem speziell für die Studie entwickelten Sensor messen sie die Herzfrequenz des Chirurgen, um über die Herzfrequenzvariabilität das subjektive Stresslevel zu erfassen. Die Messung erfolgt automatisch an den Kontrollarmen der Steuerkonsole.

Parallel dazu erfassen die Forscherinnen die Körperhaltung des Chirurgen oder der Chirurgin während der gesamten Operation mit einer Kamera, die ihn oder sie von der Seite aufnimmt. Serienbilder zeigen die Mediziner beim Blick durch die Okulare und bei der Bedienung an der Steuerkonsole. Filmaufnahmen kommen für die Untersuchung nicht infrage. „Bei einer sechsstündigen Operation würden so riesige Bildmengen anfallen, dass die Bildanalyse am Großrechner drei bis vier Tage in Anspruch nehmen würde“, so Ahn. „Fotos können wir effizienter auswerten.“ Darüber hinaus messen die Forscherinnen und Forscher die Lautstärke im OP-Saal. „Wir wollen alle Messdaten miteinander verweben, um dadurch bestimmte Stressoren im OP-Saal ermitteln zu können“, so Ahn. Einen erhöhten Herzschlag des Chirurgen oder der Chirurgin während einer komplexen Operationsphase könnten die Forscherinnen und Forscher zum Beispiel mit der Lautstärke im Raum oder mit der Körperhaltung an der Steuerkonsole in Verbindung bringen.

Beobachtungen während der OP

Die Viszeralchirurgie der Uniklinik Köln ist auf die Tumorchirurgie von Magen und Speiseröhre spezialisiert. Das da Vinci-System setzen die Chirurginnen und Chirurgen zum Beispiel bei der Ösophagektomie ein, der operativen Behandlung eines bösartigen Tumors in der Speiseröhre. Diese Operation dauert vier bis sechs Stunden und gliedert sich in zwei Phasen. In der ersten Phase, die ein bis zwei Stunden dauert, wird der Magen präpariert und als Ersatzorgan für die Speiseröhre vorbereitet. In der zweiten Phase kann das volle Potenzial des Roboters genutzt werden. Hier werden im Brustkorb die tumorbefallenen Lymphknoten entfernt, die Speiseröhre wird reseziert und der Magen wird als Ersatzorgan mit der Restspeiseröhre verbunden.

Zwischen beiden Phasen erfolgt ein rund habstündiger Umbau, in dem der Chirurg oder die Chirurgin eine Pause hat. Danach arbeitet er oder sie zwei bis drei Stunden mit dem Roboter. Ein Bildschirm zeigt dem Arzt oder der Ärztin stereoskopische Bilder des Operationsfelds an – hochaufgelöst, in Echtzeit und in 3D. Über die Kontrollarme der Steuerkonsole werden die Handbewegungen der Chirurginnen und Chirurgen an die robotergeführten Instrumente übertragen, die einen Schnitt präziser als ein Mensch – und ohne zu zittern – ausführen. Die Operation mit einem Roboter gilt daher für den Patienten als besser und schonender im Vergleich zum offenen chirurgischen Eingriff.

Aber ist die Operation mit einem Roboter auch für den Chirurgen angenehmer und besser? Um diese Frage zu klären, beobachtet das Forschungsteam ein und denselben Chirurgen sowohl bei offenen als auch bei robotergestützten Operationen. „Bereits in meiner Bachelorarbeit ist mir aufgefallen, dass der Chirurg, an der Steuerkonsole sitzend, nur etwa 20 Prozent der Zeit die Arme auf den Armlehnen abstützt“, sagt Ahn. „Das bedeutet, dass er in 80 Prozent der Zeit die Arme frei in die Luft hält.“ Bei einer mehrere Stunden dauernden Operation wäre es nicht überraschend, so Ahn, wenn der Chirurg unter Rückenschmerzen leiden würde.

Zur Arbeitsbelastung trägt auch die permanente Bildinterpretation bei. Das System überträgt fortlaufend in Echtzeit Bilder aus dem Operationsfeld, die der Chirurg oder die Chirurgin interpretieren muss. „Bei einem minimalinvasiven Eingriff ohne OP-Roboter orientiert sich der Arzt zwar auch an Bildern“, erklärt Ahn, „aber er fühlt beim Benutzen der chirurgischen Instrumente einen haptischen Widerstand.“ Das Drei-Finger-System des Roboters spürt keinen haptischen Widerstand, weshalb der Chirurg die inneren Organe ständig über die Interpretation der gelieferten Bilder haptisch deuten muss. „Der Widerstand des Materials muss in das Bild hineininterpretiert werden“, stellt Höfler fest. „Das gelingt einem Arzt nur, wenn er zuvor in der offenen Chirurgie gearbeitet hat“, ergänzt sie. „Erst dann kann er das im Bild umsetzen.“ Der Chirurg oder die Chirurgin muss aber nicht nur das Bild haptisch interpretieren, sondern auch den Maßstabseffekt berücksichtigen. Hintergrund: Die Bewegungen des Chirurgen an der Steuerkonsole werden im Patienteninnern verkleinert ausgeführt. Ein im Okular angezeigter ein Zentimeter langer Bereich entspricht im Operationsfeld nur wenige Millimeter. Dadurch ist es für den Chirurgen oder die Chirurgin einfacher, präzise zu operieren. Auch das Zittern der Hände wird vom System herausgerechnet. Die Forscherinnen und Forscher wollen anhand der Herzfrequenzmessungen herausfinden, ob sich der Maßstabeffekt positiv auf die Arbeitsbelastung auswirkt.

Ein weiterer Punkt: Obwohl das da Vinci- System für die Telemedizin entwickelt wurde und der Chirurg oder die Chirurgin im Nebenraum die Steuerkonsole bedienen könnte, bestehen die Mediziner darauf, mit ihrem Patienten im selben Raum zu sein. Die Steuerkonsole befindet sich zwei Meter entfernt vom OP-Tisch, auf dem der Patient liegt. Ahn hat beobachtet, dass die Chirurginnen und Chirurgen mehrmals während der Operation ihren Platz verlassen, zum Patienten gehen und Rücksprache mit den Assistenzchirurgen halten, die sich beim Patienten aufhalten. Das wäre nicht nötig, weil in der Konsole sowohl Mikrofone als auch Lautsprecher angebracht sind und der Chirurg von seinem Arbeitsplatz aus Anweisungen geben könnte, die über einen Raumlautsprecher wiedergegeben werden. „Solche scheinbar unwichtigen Details sind ganz besonders wichtig für die Beurteilung der Arbeitsplatzergonomie“, erklärt Ahn. Die Forscherinnen und Forscher vermuten, dass nicht nur die Bildgebung und die Bedienung der Steuerkonsole wichtig sind für die Operation. „Die raumgreifenden technologischen Apparaturen im OP-Saal verändern die gesamte Operationsdynamik im OP-Saal. Und zwar nicht nur für den Chirurgen und den Patienten, sondern auch für die Interaktion des Chirurgen mit seinem OP-Team“, sagt Höfler.

Veränderungen

Ein Ziel des Forschungsprojektes besteht darin, die Benutzerschnittstelle zu verbessern. Da die Studie gerade angelaufen ist, gibt es noch keine Ergebnisse. Die Forscherinnen gehen aber davon aus, dass das stundenlange Heben der Arme eine hohe Rückenbelastung verursacht. Eine Verbesserung könnte zum Beispiel darin bestehen, die Armauflage so zu verändern, dass die Chirurginnen und Chirurgen länger ihre Arme auflegen.

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