
Herr Ludewig, zu den bestimmenden Themen der diesjährigen DMEA zählten offene Plattformlösungen und generative künstliche Intelligenz (KI). Offenbar sehen große Teile der Branche darin den Königsweg hin zu einer modernen Medizin. Ist er das tatsächlich?
Der Trend ist da, keine Frage. Ich glaube aber, dass diese Entwicklung gerade erst beginnt und diese in der Zukunft viel weitgehender sein wird als all das, was wir aktuell diskutieren. Derzeit sind wir in einem Veränderungsprozess – weg von sehr monolithischen Krankenhausinformationssystemen (KIS), die alles mitbringen, Daten abschirmen und damit auch unter Kontrolle halten. Das Problem für die Kliniken: Zu häufig besteht das Geschäftsmodell darin, sich Schnittstellen teuer bezahlen zu lassen statt Daten sinnvoll nutzbar zu machen. Aus meiner Sicht kann die ‚Schnittstellen-Finanzierung‘ aber nicht die Antwort auf die Frage sein, wie wir zukünftig medizinische Daten und damit im Kern auch die Behandlung im Krankenhaus organisieren. Wir haben unser Krankenhausinformationssystem iMedOne von Beginn an mit offenen Schnittstellen konzipiert. Das ermöglicht den Kunden die problemlose Integration von Drittlösungen. Das spart Zeit und Geld.
Zur Person:

Dr. Gottfried Ludewig (Jahrgang 1982) ist seit Anfang März 2022 Senior Vice President Health Industry bei T-Systems und übernimmt in dieser Rolle die Leitung und Gesamtverantwortung der Gesundheitssparte der Telekom-Tochter.
Zu T-Systems gehört auch die Telekom Healthcare Solutions GmbH. Die globale Gesundheitssparte zählt mehr als 700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ludewig bündelt alle Initiativen für die Gesundheitsindustrie und ist insbesondere für die strategische Entwicklung und den Ausbau des Geschäfts verantwortlich.
Ludewig leitete bis März 2022 die von Jens Spahn neu eingerichtete Abteilung „Digitalisierung und Innovation“ im Bundesministerium für Gesundheit (BMG). In dieser Funktion war er verantwortlich für Gesetzesvorhaben wie das Digitale-Versorgung-Gesetz und das Patientendaten-Schutz-Gesetz. Vor seiner Zeit im BMG war er sechs Jahre lang Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses und fungierte dort als gesundheitspolitischer Sprecher sowie als stellvertretender Vorsitzender der CDU-Fraktion. Parallel zu seinem Abgeordnetenmandat arbeitete er in Teilzeit für die Unternehmensberatung PwC.
Ist die Plattform das Modell für die Zukunft?
Im Moment wird das Thema Plattform noch als eine Art Bypass benutzt. Ich habe mein Klinikinformationssystem, parallel dazu ziehe ich die Daten auch noch auf eine offene Plattform, um darüber eine moderne Medizin oder eine größere Flexibilität in der Datennutzung zu ermöglichen. Aber es wird nicht dauerhaft bei parallelen Strukturen bleiben. In Zukunft wird etwas eigenständig Neues entstehen, ohne Bypass.
Wenn wir zehn Jahre weiter schauen, werden zukünftige Krankenhausinformationssysteme deutlich modularer aussehen und viel flexibler sein.
Meinen Sie damit modulare Ansätze?
Ja. Wenn wir zehn Jahre weiter schauen, werden zukünftige Krankenhausinformationssysteme deutlich modularer aussehen und viel flexibler sein. KIS – die vermutlich kaum noch KIS heißen – werden künftig eher eine Plattform sein, wo wahrscheinlich nur Kernfunktionalitäten wie Identity Management, der Master Patient Index oder die Abrechnung gebündelt werden. Alles andere wird – wie bereits heute beim Mobiltelefon – über unterschiedliche Anbieter geliefert, die dann an die Plattform über standardisierte Schnittstellen andocken.
Welche Rolle wird generative KI in Krankenhausinformationssystemen spielen, egal in welcher KIS-Ausprägung?
KI wird bei grundlegenden Themen künftig eine riesige Rolle spielen. Wir sehen schon jetzt, dass die Kombination von generativer KI mit Hyperautomation (durchgehende Automatisierung von Prozessen, die Red.) alle nicht digitalisierten Prozesse sehr schnell erleichtern wird. Es gibt viele weitere Ansatzpunkte, etwa bei der Anamnese oder im diagnostischen Bereich. Dort ist die KI längst schon ein wesentlicher Bestandteil und wird zukünftig immer stärker genutzt werden. Wir stellen unseren Kunden zum Beispiel mit unserem KIS bereits eine KI-basierte Fotoanalyse zur Wundvermessung zur Verfügung. Zudem arbeiten wir an der Integration sprachgesteuerter Verordnung von Medikamenten. Ziel ist es, durch die Vereinfachung und Beschleunigung der Eingabe noch mehr wertvolle Daten zu sammeln und so den Behandlungsprozess zu verbessern. Aber: Der Einsatz von KI geschieht immer nur unterstützend. Die Entscheidung über den Umgang mit den Daten liegt bei den verantwortlichen Menschen.
Mit der geplanten Klinikreform will Gesundheitsminister Karl Lauterbach die Versorgung viel stärker ambulant aufstellen und regional vernetzen. Sehen Sie durch diese Reform mehr Druck für einen zügigeren digitalen Umbau oder anders gefragt: Sind die aktuelle TI-Infrastruktur und der Digitalisierungsstand in den Kliniken überhaupt schon in der Lage, das politische Wunschdenken umzusetzen?
Ich hätte mir gewünscht, dass die Reform sich deutlich stärker mit der digitalen vernetzten Medizin beschäftigt. Es wird mir zu viel Wert auf analoge Themen wie zum Beispiel Betten oder Vorhaltepauschalen gelegt. Ich hoffe, dass man mit dem Transformationsfonds jetzt die Chance nutzt, um wirklich über neue Datenmodelle sowie erweiterte Möglichkeiten des Datenaustauschs zu einer besseren Datenanalytik zu kommen. Es als Grundlage für die Veränderung der Strukturen von stationär zu ambulant zu sehen, greift mir zu kurz. Es ist einfach notwendig, um in Zukunft eine moderne Medizin umsetzen zu können.
Was meinen Sie genau?
Es gibt sehr viele offene Fragen, wie wir digitale Anwendungen nutzen und vergüten. Beispiele gibt es viele. Wie finanzieren wir zum Beispiel heutzutage ein Remote Patient Monitoring, also wenn ein Patient zur Überwachung von Vitalwerten nicht zwingend im Krankenzimmer liegen muss? Wie kann Diagnostik – zum Beispiel von einer Uniklinik für eine andere Klinik – erfüllt und dann finanziert werden? Müsste nicht in den DRGs das Thema digitale Erbringung von Dienstleistungen abgebildet werden – entweder in Form einer eigenen DRG oder als Bestandteil von DRGs? Wo sind diese Gedanken und wo sind die Schritte nach vorne? Wenn ich nur darüber nachdenke, wie ich die Betten finanziere, die leer in den Zimmern stehen, aber nicht darüber, wie ich das Monitoring von Patientinnen und Patienten auch bei sich zu Hause oder den Datenfluss finanziere, dann werde ich diesen notwendigen Wandel, den wir brauchen, nur schwer umsetzen.
Die Krankenhäuser werden nur dann in Digitalisierung investieren, wenn die gesetzlich vorgegebene Finanzierung diesen Umstand auch einfordert und fördert.
Ist das als Kritik des ehemaligen Digitalchefs von Jens Spahn an den Nachfolgern im Bundesgesundheitsministerium zu verstehen?

Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es immer einfacher ist, von der Seitenlinie aus zu kommentieren als politische Prozesse umzusetzen. Insofern habe ich Respekt davor, dass die Krankenhausreform angegangen wurde und viele wichtige Punkte in die Umsetzung kommen. Dennoch bin ich fest davon überzeugt, dass wir diese umfassendere Debatte nach vorne brauchen. Die Krankenhäuser werden nur dann in Digitalisierung investieren, wenn die gesetzlich vorgegebene Finanzierung diesen Umstand auch einfordert und fördert.
Fehlt es auch aktuell nicht generell an einer Debatte darüber, wie es mit der Digitalisierung nach dem KHZG weitergehen soll?
Zumindest fehlt es an Entscheidungen: Kliniken brauchen Planungssicherheit, für den laufenden Betrieb wie auch für neue Vorhaben. IT-Projekte kommen jedoch nicht über Nacht, sondern brauchen zeitlichen Vorlauf. Mich würde deshalb interessieren, wie es nun weitergeht. Wie wollen wir jetzt, nachdem wir in gewissen Bereichen Portale aufgebaut haben, andere Themen umsetzen? Soll jetzt jeder anfangen, eine Telemedizin aufzubauen? Brauchen wir dafür gewisse Zentrenbildung, wie wir sie auch beispielsweise in der Zertifizierung im onkologischen Bereich haben? Oder brauchen wir andere? Alle wesentlichen Fragen werden in unserem System über die Finanzierung gesteuert. Deshalb würde ich mich freuen, wenn wir über diese Themen genauso leidenschaftlich diskutieren würden, wie wir das gerade über den Erhalt analoger Strukturen tun.
Viele Krankenhäuser schreiben derzeit tiefrote Zahlen – und die dauerhafte Nachfolgefinanzierung des KHZG ist weiterhin unklar. Könnte das die weitere Digitalisierung gefährden?
Das KHZG war ein guter erster Schritt, um überhaupt das Thema Digitalisierung und Finanzierung nach vorne zu bringen. Aber jetzt brauchen wir den zweiten Schritt. Welche Kliniken werden welche Rolle in einer digital vernetzten Medizin haben? Wer soll was anbieten? Wer soll was finanziert bekommen? Bis heute gibt es darauf keine umfassende Antwort. Das KHZG aber ist zeitlich begrenzt. Die Vorgabe, wie der digitale Wandel auch nach 2025 und 2026 im stationären Bereich umgesetzt werden soll, muss daher zeitnah erfolgen.
Auch beim Thema Datennutzung und Datenanalyse hinkt das deutsche Gesundheitssystem vielen Ländern immer noch hinterher, trotz neuer Datengesetze der Regierung, die vieles vereinfachen sollen. Woran hapert es?
Wir brauchen einen durchgängigen Datenfluss zwischen stationär und ambulant, zwischen stationär und Reha und vielen mehr – kurz unter allen Beteiligten im Behandlungsprozess. Und wir brauchen gleichzeitig die Möglichkeit, in diesen Daten Muster zu erkennen. Daten müssen leicht analysierbar sein, damit ich am Ende auch eine moderne Medizin anbieten kann. Dazu brauchen wir eine moderne Medizin und Analytik europäischer Prägung – und dürfen nicht immer nur auf andere Kontinente schauen.
Ich frage mich manchmal, ob wir am Ende der Kontinent sein wollen, der für den Fortschritt die Regeln macht. Und die anderen treiben den Fortschritt.
Haben Sie da die USA im Blick?
Der Blick geht weltweit. Die USA sind aktuell bei Fragen der Datenanalytik und Datenhaltung führend. Auch andere große Länder wie China oder Indien beschäftigen sich stark damit. Länder wie Israel sind sehr innovativ unterwegs. Um es zuzuspitzen: In Europa diskutieren wir jetzt – nicht zum ersten Mal – nicht, wie Innovationen gelingen können, sondern lieber welche Regeln sie brauchen ….
… Sie meinen damit das gerade von der EU verabschiedete KI-Gesetz?
Ich frage mich manchmal, ob wir am Ende der Kontinent sein wollen, der für den Fortschritt die Regeln macht. Und die anderen treiben den Fortschritt. Auf Dauer wird das nicht funktionieren. Irgendwann brauchen wir Erfolg und Wertschöpfung. Nur so können wir eine gute medizinische Versorgung auch in 10, 20, 30 Jahren noch finanzieren und zugleich glaubwürdig bleiben, wenn es um Regelsetzung geht.
Die Telekom arbeitet inzwischen mit amerikanischen Tech-Riesen wie Google zusammen. Haben Sie nicht Angst, dass irgendwann der Schwanz mit dem Hund wedelt?
Nein, ganz im Gegenteil. Wir sehen das Bedürfnis von unseren Kundinnen und Kunden, die modernste Technologie zum Einsatz bringen zu können. Und das gleichzeitig in einer souveränen, eigenständigen Umgebung. Deshalb bieten wir mit Google diese Lösung an. Wir T-Systems übernehmen die Datentreuhänderschaft und stellen somit sicher, dass Kunden jederzeit Kontrolle und Transparenz über ihre Daten haben.
Was genau meinen Sie damit?
Kunden wollen heute von den Vorteilen der Public Cloud profitieren, aber einige Daten erfordern einen besonderen Schutz. Dazu bietet sich eine souveräne Cloud-Lösung an. T-Systems gewährleistet, dass die Datenhaltung rechtssicher ist und allen regulatorischen Ansprüchen entspricht.
Google ist im Gesundheitsbereich überwiegend Cloudanbieter, die Telekom bietet ebenfalls Cloudlösungen an. Besteht da nicht Konkurrenzpotenzial?
Nein, da das Thema Souveränität von entscheidender Bedeutung ist. Wir bieten ein Multi-Cloud-Management an, mit maßgeschneiderten Lösungen für verschiedene Kunden. Für bestimmte Anforderungen – etwa im Bereich Genomsequenzierung – brauche ich ein hoch performantes System, das solche Daten speichern und verarbeiten kann. Dafür ist die modernste am Markt verfügbare Technologie notwendig und zugleich muss gerade bei diesem sensiblen Datenbereich die Datensouveränität gewahrt sein.
Angesichts der Debatte um das KI-Gesetz stellt sich die Frage, ob Deutschland tatsächlich schon dafür bereit ist, Patientendaten von einem amerikanischen Hyperscaler verarbeiten zu lassen?
Um es deutlich zu sagen: Es ist ein Angebot von uns in Kooperation mit Google in einer souveränen Instanz. Die Klinken nutzen allerdings nicht nur die klassische Google Cloud, sondern die erweiterte Version mit den souveränen Kontrollmöglichkeiten von T-Systems. Wir brauchen auch im Gesundheitswesen diese Performance der Lösungen, um große Datenmengen schnell verarbeiten zu können. Nur so können wir eine bessere Medizin anbieten, die am Ende den Patientinnen und Patienten hilft.
In Deutschland wird heftig über Datenschutz und Datensicherheit in der Cloud diskutiert. Viele Cyberattacken und das Microsoft-Debakel im vergangenen Jahr lassen viele Menschen weiterhin zweifeln, ob sie ihre Gesundheitsdaten in einer Cloud sehen wollen …
Zunächst habe ich heute viele Fragezeichen im Kopf, wenn ich sehe, wo und wie wir heute häufig Daten speichern oder ausgedruckt rumliegen lassen. Aber ja: Eine komplett unregulierte Cloud-Infrastruktur erscheint mir in sensiblen Bereichen wie Gesundheit auch herausfordernd. Genau deshalb freue ich mich, dass es heute souveräne Angebote gibt, die den Patienten und Patientinnen wirklich etwas bringen und für die der Markt bereit ist.










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