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Streit um enge FristenKliniken im Wettlauf gegen KHZG-Strafzahlungen

Ende Juni soll die KHZG-Sanktionsvereinbarung vorliegen. Diese soll Strafzahlungen regeln, wenn Krankenhäuser ihre Digitalprojekte nicht fristgemäß umsetzen. Wegen der strikten Vorgaben des BMG ist der Zeitplan aber kaum zu halten – und zu allem Überfluss droht noch mehr Ungemach. 

Sanduhr
Kirsten Oborny/Thieme
Symbolfoto

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) startet einen neuen Versuch, die engen Umsetzungsvorgaben des Krankenhauszukunftsgesetzes (KHZG) für Krankenhäuser abzumildern. „Wir wollen dazu bis Ende Mai mit dem Ministerium ins Gespräch gehen, um endlich eine Lösung zu finden, die uns hilft“, sagte Alexander Beyer, Vize-Leiter des Geschäftsbereiches Digitalisierung und eHealth bei der DKG, auf Anfrage von kma. 

Die DKG will damit drohenden Strafzahlungen für zahlreiche Krankenhäuser vorbeugen, weil diese aus unterschiedlichen Gründen wahrscheinlich nicht alle Projekte bis Ende 2024 final werden umsetzen können. Bislang droht den Häusern dann ab 2025 eine Pönale von bis zu zwei Prozent des Jahresumsatzes.

Um das zu verhindern, möchte der Krankenhaus-Lobbyverband die Kriterien für die Fristen ändern. „Mindestens für das Jahr 2025, eventuell auch noch für das Jahr 2026, sollte die Beauftragung der Leistung so gelten als wäre sie bereits umgesetzt“, hatte Ende April schon DKG-Digitalchef Markus Holzbrecher-Morys auf der DMEA gefordert. 

Herkulesaufgabe für die Health-IT-Industrie

Krankenhäuser und die Health-IT-Industrie stehen derzeit unter immensem Zeitdruck, um die Deadline 31. Dezember 2024 einzuhalten. Eine Herkulesaufgabe für eine Branche, die bislang jährlich eine Milliarde Euro umsetzte und nun plötzlich Projekte für mehr als vier Milliarden Euro (inklusive der Ländermittel) binnen weniger Monate stemmen soll. „Es fehlen an allen Ecken und Enden die Ressourcen. Daher muss auch die Industrie wegen der vielen Projekte priorisieren und kann nicht jedes Projekt zur gleichen Zeit machen“, sagt Alexander Beyer. 

Für Krankenhäuser, die jetzt erst einen Bewilligungsbescheid bekommen haben, ist das nicht zu schaffen.

Dabei hat nach Erkenntnissen der DKG bislang (Stand Mitte April) noch nicht einmal jedes Krankenhaus seinen Bewilligungsbescheid bekommen beziehungsweise die Fördermittel ausgezahlt erhalten. „Für Krankenhäuser, die jetzt erst einen Bewilligungsbescheid bekommen haben, ist das nicht zu schaffen“, urteilte Markus Holzbrecher-Morys auf der DMEA.

Hinzu kommen weitere Fallstricke. Die Inhalte der Förderbescheide und die Auszahlung sind Ländersache – mit der Folge, dass die Startbedingungen für Krankenhäuser in jedem Bundesland ganz unterschiedlich sind. Das hat Auswirkungen darauf, welcher effektive Zeitraum den Kliniken für die Umsetzung bleibt. Der Bonner Rechtsanwalt Martin Schumm, Spezialist für Vergaberecht, hielt dies auf derselben DMEA-Veranstaltung aus „wettbewerbsrechtlicher Sicht für nicht ganz einfach“. Hinzu komme, dass jedes Bundesland seine eigenen Regelungen habe, wie die Mittel konkret auszugeben seien.

Nur zwei Monate für die Umsetzung

Welche zum Teil kuriosen Kapriolen Krankenhäuser derzeit im KHZG-Verfahren erleben, schilderte Holzbrecher-Morys am Beispiel eines Brandenburger Krankenhauses. Dieses habe im Oktober 2022 seinen Förderbescheid erhalten. Im Kleingedruckten des Bescheides fand sich dann aber der Hinweis, dass die geförderten Projekte bis Ende 2022 umzusetzen seien. Falls das nicht geschehe, müssten die Fördermittel zurückgezahlt werden. Da sei es nicht verwunderlich, wenn ihm der Klinikmanager sage, dann verzichte er doch lieber gleich auf die Fördermittel.

Dann sollten sich Häuser dagegen wehren. Das kann nicht richtig sein.

Anwalt Martin Schumm empfiehlt dennoch allen Kliniken, sich genau an die Vorgaben des Bescheides zu halten. „Das ist das einzig bindende Dokument für die Vergabe“, sagt er. Was für viele Kliniken weitere Fragen aufwirft: Was passiert etwa, wenn in einem Bewilligungsbescheid eines Bundeslandes für die Umsetzung eine dreijährige Frist eingeräumt wird, der Bescheid aber erst 2023 zugegangen ist?

Dann räumt das Bundesland eine längere Frist ein, obwohl der Bundesgesetzgeber ab 1. Januar 2025 Strafen wegen Fristverletzung vorsieht. Sollten Krankenhäuser in einem solchen Fall Strafen kassieren, hat Schumm einen klaren Rat: „Dann sollten sich Häuser dagegen wehren. Das kann nicht richtig sein“, so der Jurist.

Kliniken reichen Druck an Unternehmen weiter  

Der immense Zeitdruck führt inzwischen auch dazu, dass alle Beteiligten versuchen, den Sanktionsdruck weiterzugeben. „Krankenhäuser müssen wegen der Sanktionsdrohung ab dem 1. Januar 2025 eigentlich in ihre Verträge reinschreiben, dass die Unternehmen die Projekte komplett bis zum 31. Dezember 2024 umsetzen müssen“, erläutert Alexander Beyer.

Und genau das passiert längst. Winfried Post, Geschäftsführer von Dedalus Deutschland, schilderte kma Beispiele, wie Krankenhäuser versucht hätten, das KHZG-Risiko auf sein Unternehmen abzuwälzen. Die Reaktion darauf ist offenbar bei vielen IT-Firmen ähnlich – sie lehnen ab. In der Folge ist es Krankenhäusern schon passiert, in der Ausschreibung plötzlich ohne Bewerber dazustehen. 

Für zusätzlichen Zeitdruck sorgen weitere Tücken des Vergabeverfahrens. Viele Krankenhäuser haben einen ganzen Reigen von Projekten beantragt, um die sogenannten Muss-Kriterien in den jeweiligen Fördertatbeständen zu erfüllen. Das Problem: Zur Erfüllung müssen Projekte in zahlreiche Einzellose zerlegt werden – und für jedes Los ist eine Ausschreibung vorgesehen.

Aus Sicht des Ministeriums war also genug Zeit.

Zudem passiert es häufig, dass es in Ausschreibungsverfahren zu Einsprüchen unterlegener Bewerber kommt. Wegen akuter Überlastung der Vergabekammern vergehen aber für die Klärung der Einsprüche unter Umständen Monate. Zeit, die die Krankenhäuser nicht haben. In dieses Verfahrensprocedere noch zusätzlichen Zeitdruck reinzudrücken, hält Vergaberechtsexperte Schumm daher „vor dem Hintergrund einer gewissen Rechtsstaatlichkeit“ für schwierig.

Der Bonner Jurist warnt Krankenhäuser schon einmal vor. Aus Sicht des BMG gebe es nämlich keinen Zeitdruck. Gemeint ist damit eine Eigenheit des Vergaberechtes, wonach Kliniken im Rahmen einer sogenannten vorzeitigen Maßnahme mit der Umsetzung bereits hätten beginnen können, obwohl noch kein Bescheid vorgelegen habe. „Aus Sicht des Ministeriums war also genug Zeit“, so Schumm. Formal ist das richtig, allerdings müssten Krankenhäuser dann voll ins finanzielle Eigenrisiko gehen, weil sie alles vorfinanzieren – und bei Ablehnung des Antrages auf den Kosten sitzenbleiben würden. Daher gibt es kaum Häuser, die einen solchen Weg gewählt haben.     

Das KHZG-Geld kommt von der EU 

Ungemach könnte allen Beteiligten noch aus einer anderen Richtung drohen. Für das KHZG hat Karl Lauterbachs Vorgänger Jens Spahn tief in die politische Trickkiste gegriffen. Die drei Milliarden Euro des Bundes sind eigentlich Fördermittel der EU-Kommission. Sie werden komplett aus dem Programm „Aufbau- und Resilienzfazilität“ (ARF) refinanziert, das ein Kernstück des Aufbauplans „NextGenerationEU“ ist. Mit diesem will die Kommission die Staatengemeinschaft bis 2026 technologisch und sozial für das 21. Jahrhundert rüsten.   

Ein cleverer Schachzug Spahns, wie Martin Schumm meint. Das BMG schone mit diesem Vorgehen den eigenen Haushalt, dränge aber die Länder zur Zahlung von zusätzlich 1,3 Milliarden Euro aus eigenen Mitteln und drücke letztendlich auch die gesamte Verwaltung an die Länder ab. Oder, um es in eigenen Worten auszudrücken: Kosten und Ärger beim KHZG haben Länder und Krankenhäuser, während Jens Spahn sich als oberster Digitalisierer inszenieren konnte.

EU könnte Mittel zurückfordern

Nur könnte die elegante Volte mit den Fördermitteln einen Pferdefuß haben. Alle EU-Programme sehen bei nicht rechtzeitiger Umsetzung eine teilweise oder sogar gänzliche Rückzahlung der Fördermittel vor. Vielleicht ist das auch der Grund, warum das BMG beim KHZG so strikt auf die engen Fristen beharrt. Einige Unternehmen äußerten gegenüber kma schon ihr Unbehagen über die Aussicht, dass Projekte möglichweise mitten in der laufenden Umsetzung platzen könnten, weil Mittel wegen Fristverzug von der EU zurückgefordert werden könnten. Gern hätte kma dazu auch das BMG befragt. Auf unsere Fragen bekamen wir allerdings keine Antwort.

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