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Weniger Papier, mehr Zeit für PatientenKlinikum Hann. Münden nutzt neue App zur Pflegedokumentation

Noch am Patientenbett zückt Schwester Sandra das Handy. Sie dokumentiert einen Verbandswechsel und spricht ein paar Sätze zum Befinden des Patienten, die die Spracherkennung der Pflege-App in Text umwandelt, und verlässt zufrieden das Zimmer – wohlwissend, dass sie nun etwas Luft hat, um sich jetzt die Sorgen einer schwer kranken Patientin anzuhören.

Matthias Drechsler und Arne Greiner
KDD Digital Healthcare GmbH
Matthias Drechsler (l.) und Arne Greiner (r.) arbeiten von Beginn an gemeinsam im Start-up KDD Digital. Als sie noch zusammen bei den Malteser Rhein-Ruhr Kliniken beschäftigt waren, entdeckten sie zufällig, dass sie das Interesse am Programmieren verband.

Schöne neue Krankenhauswelt? Im Klinikum Hann. Münden ist das, zumindest auf einer Pilotstation, auf der man die neue Technologie der Düsseldorfer Firma KDD Digital Health Care GmbH eingeführt und gemeinsam weiterentwickelt hat, bereits Realität. Aktuell ist man dort dabei, die Pflege-App „IDA.Care“ auch auf den anderen Stationen einzuführen. Und auch in einem Krankenhaus in Köln und im Josef-Hospital Delmenhorst wird das Pflegepersonal in Kürze davon profitieren. „Wir wollten mit unserer Anwendung möglichst vielen Menschen möglichst viel Dokumentations-Schmerz nehmen“, sagt KDD-Geschäftsführer Arne Greiner.

„Und wer jemals gesehen hat, wie sich in den Stationszimmern die Papierberge stapeln, die zur Pflegedokumentation verwendet werden, weiß, dass der Schmerz in diesem Bereich besonders groß ist.“ Eine Pflegekraft verwendet im Schnitt bis zu 30 Prozent ihrer Arbeitszeit für die Dokumentation – das haben die Experten vor der Einführung der App mithilfe detaillierter Zeiterfassung validiert. Mit der App lässt sich dieser Anteil deutlich reduzieren. Zeit, in der dann wieder der Patient im Mittelpunkt steht.

Der Beginn von IDA.Care

Arne Greiner war zuletzt Geschäftsführer bei den Malteser Rhein-Ruhr Kliniken – sein Hobby und seine Leidenschaft waren immer Softwareentwicklung und Programmierung. Sein Ziel: digitale Lösungen für Herausforderungen des Klinikalltags zu schaffen. Umso mehr staunte er, als er bei einem abendlichen Rundgang zufällig einen Stationsleiter auf der Intensivstation ebenfalls noch am Rechner beim Programmieren „erwischte“.

Greiner erkannte das Potenzial von Matthias Drechsler und richtete kurzerhand eine maßgeschneiderte Stelle für ihn ein: an der Schnittstelle zwischen Pflege und IT. Gemeinsam tüftelten die beiden Überzeugungstäter dann an Anwendungen, um z. B. den Urlaubszettel durch eine digitale Variante zu ersetzen oder Fortbildungen digital zu organisieren. Das Großprojekt Digitalisierung der Pflegedokumentation rückte schnell in den Fokus und es war nach kurzer Zeit klar, dass man aus dieser Idee etwas Großes machen könnte, dafür aber professionelle Strukturen und mehr Ressourcen notwendig wären. „Damit das gelingen kann, braucht man flexible kleine Einheiten, in denen man die Köpfe zusammenstecken und einfach machen kann,“ schaut Greiner zurück. „Ein großer Klinikverbund dagegen ist ein ­Tanker, viel zu behäbig für so einen Prozess.“

Es gibt auf dem Markt keine vergleichbaren Programme

Im April 2018 machte Greiner daher Nägel mit Köpfen, gab den Geschäftsführerjob auf und startete dann mit Drechsler als Entwicklungsleiter die Firma KDD Digital in Düsseldorf. Jetzt, nur sechs Monate später, zählt das Start-up bereits elf Mitarbeiter. Programmierer und Entwickler aus Indien, Brasilien und der Ukraine sind Teil des Teams. Das nötige Fachwissen aus der Pflege kommt von ehemaligen Krankenschwestern und -pflegern, die nun bei KDD angestellt sind.

„Es gibt auf dem Markt keine vergleichbaren Programme, die aus der Pflege heraus entwickelt und für deren Bedürfnisse maßgeschneidert sind“, sagt Drechsler. „Meist handelt es sich um Anwendungen aus der Medizin, in die der Content Pflege lieblos hineingestopft wurde.“ Spannend sei ­IDA.Care auch für die Pflegeforschung. „Die gesammelten Daten lassen sich auswerten und nutzen, um z. B. Pflegestandards zu definieren. Und auch die tatsächliche Arbeitsbelastung einer Pflegekraft lässt sich so transparent darstellen.“ Man plane, auch die Anforderungen der Ärzte perspektivisch in der App abzubilden. Die gemeinsame Schnittstelle sei die so genannte Kurve, die wichtige Vitaldaten eines Patienten und bereits durchgeführte Behandlungsschritte dokumentiert und auf deren Basis weitere diagnostische Maßnahmen oder Therapien abgeleitet werden.

Schnelle und sichere Pflege­dokumentation

Mithilfe von IDA.Care lässt sich die gesamte Pflegedokumentation digital erstellen. Die in den Stationszimmern üblichen „Dokumentations-Inseln“, wo sich die verschiedenen Ordner mit den bisher dafür benötigten Formularen und Vordrucken stapeln, fallen weg. Vom Allgemeinzustand des Patienten, über Körperpflege und Ernährung bis hin zur Fotodokumentation der Wunden werden alle relevanten Pflegeprozesse sicher und schnell dokumentiert. Die App merkt sich wiederkehrende Eingaben und generiert daraus Textbausteine, die dann mit dem Namen des Patienten individualisiert werden.

Und wenn einmal längere Texteingaben notwendig sind, kann man die Diktierfunktion nutzen. „Dafür fallen, anders als bei den meisten anderen Programmen, keine zusätzlichen Lizenzgebühren an“, betont Greiner. Überhaupt hielten sich die Investitionskosten in Grenzen. Ein Kostenpunkt sei die Anschaffung handels­üblicher Smartphones. Dabei achte man auf glatte Oberflächen, damit sie sich leicht desinfizieren und reinigen lassen. „IDA.Care funktioniert auch offline“, erläutert Drechsler.

„Von so einer Anwendung habe ich geträumt“

Darauf habe man Wert gelegt, weil nicht jede Klinik bereits flächendeckend über Wlan verfügt. Ein Router pro Station sei absolut ausreichend, um die Daten regelmäßig zu synchronisieren und zu sichern. „Die Daten verlassen nicht das Patientennetzwerk“, macht Drechsler deutlich. Der Datenserver steht in der Klinik. Es gebe keine Internetanbindung nach Außen. Jede Pflegekraft, die mit der App arbeitet, habe ein eigenes Login, so dass jede Angabe und jede Änderung einfach zuzuordnen sei. „Wir arbeiten mit mehreren Verfahren u. a. aus dem Online-Banking, die die Daten in der App absolut sicher machen“, erklärt Drechsler.

Dass gerade in der Pflege Bedarf an Digitalisierung besteht, hat auch Gesundheitsminister Jens Spahn im Blick. Er hatte vor einigen Wochen angekündigt, dafür Fördergelder zur Verfügung zu stellen. „Wir gehen aktuell davon aus, dass diese Fördergelder weitestgehend ausreichend sind, um IDA.Care in einer Klinik einzuführen“, sagt Greiner. Aline Becker, Assistenz der Geschäftsführung am Josef-Hospital Delmenhorst und dort verantwortlich für die Einführung von IDA.Care ist von der Pflege-App auf jeden Fall begeistert: „Von so einer Anwendung habe ich geträumt, als ich selbst noch in der Pflege tätig war.“

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