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Modellprojekt „SaN“Das Potenzial ist gewaltig, die Aufgabe allerdings auch

Den Krankenhäusern beschert das Modellprojekt im Idealfall deutlich weniger Fälle in ihren chronisch überlasteten und unterfinanzierten Notaufnahmen. Werden Patienten an der 116 117 oder von Rettungskräften als ambulanter Fall eingeschätzt, tauchen sie erst gar nicht in den Kliniken auf. Prof. Dr. Steffen Gramminger verdeutlicht das mit zwei typischen Fällen: „Eine kleine Schnittverletzung am Finger kann auch in einer chirurgischen Praxis versorgt werden. Für die drei Stiche muss niemand in die Notaufnahme“, sagt der Geschäftsführende Direktor der Hessischen Krankenhausgesellschaft (HKG) in Eschborn. Oder er denkt an Pflegeheimbewohner, deren dauerhafte Blasenkatheter regelmäßig verstopfen und gewechselt werden müssen. „Diese Patienten wurden bislang immer in ein Krankenhaus gefahren. Doch mit dieser Bagatelle wurden dort Ressourcen blockiert. Dabei kann das auch ein niedergelassener Urologe übernehmen.“ Vom SaN-Projekt erhofft sich Gramminger unter anderem, dass Ressourcen geschont werden – sowohl mit Blick auf das Personal als auch auf die Finanzen.

Kliniken noch zurückhaltend

Patienten, die selbst direkt in die Not-aufnahmen kommen, müssen künftig ebenfalls nicht unbedingt im Krankenhaus behandelt werden. Ergibt die Ersteinschätzung, dass die Versorgung in der ambulanten Struktur ausreicht, kann sie das Team der Notaufnahme mit Ivena an eine Partnerpraxis übergeben. Diese Funktion ist neu für die Kliniken. Bislang haben sie nur ihre eigenen Ressourcen in das System eingespeist, künftig können sie auch Patienten in den Praxen anmelden.

Diesen Mehraufwand betreibt ein Krankenhaus nur, wenn es von dem konkreten Nutzen wirklich überzeugt ist.

Das flächendeckend auszurollen, sei eine echte Hürde, erklärt Gramminger. Die nötige IT-Anbindung sei „ein Riesenaufwand“. Zwar werden die Kosten für die Umstellung im Rahmen des Projektes übernommen, doch jedes Haus müsse seine Prozesse anpassen und Beschäftigte schulen. „Das darf man nicht unter-schätzen. Diesen Mehraufwand betreibt ein Krankenhaus nur, wenn es von dem konkreten Nutzen wirklich überzeugt ist“, betont Gramminger. Zudem bedeute der Einstieg in ein neues System auch meist, dass sich Abläufe verlangsamen. Viele Verantwortliche hätten daher noch Vorbehalte, seien eher zurückhaltend und beobachteten zunächst die Entwicklung. Relativ weit ist bislang nur das Agaplesion Evangelisches Krankenhaus Mittelhessen in Gießen. Doch weitere Häuser sollen sukzessive folgen, versichert Gramminger. Ohnehin würden die Kliniken diese neue Möglichkeit „am Anfang äußerst vorsichtig nutzen und im Sinne der Patientinnen und Patienten sehr auf Nummer sicher gehen“. Im Projekt liege der Fokus zunächst auf der 116 117, die bereits flächendeckend an Praxen übergeben könne.

Wie reagieren die Patienten?

„Ehrlich gespannt“, so Gramminger, sei man auf Seite der Krankenhäuser, wie die Neuerung dort ankomme. Würden die Abläufe zu stark behindert, könnten sich Praxen schnell wieder vom System abmelden, fürchtet der HKG-Mann: „Notfall-Patienten können den Praxis-betrieb erheblich stören.“ Das hat auch Jörg Blau seinen Rettungskräften mit auf den Weg gegeben. „Beim Auftreten in den Arztpraxen ist ein partnerschaftliches Miteinander gefragt“, betont er. Auf ein volles Wartezimmer zu treffen, ist etwas Anderes als eine Notaufnahme anzufahren.

Zudem haben alle Projektpartner ein besonderes Augenmerk auf den „Faktor Patient“. Wie viele werden weitergeleitet? Wie nehmen sie überhaupt die 116 117 an? Kommt es wirklich zu einem Umdenken? Und vor allem: Gelingt die Kommunikation? „Das ist sehr wichtig und brisant“, betont Steffen Gramminger. Schon jetzt würden einige Kliniken Patienten an den ÄBD übergeben, wenn der direkt im Haus oder auf dem Gelände angesiedelt sei. Gleiches gelte für niedergelassene Praxen in unmittelbarer Umgebung. „Das wird bereits gemacht – einfach per Telefon.“ Doch wie werden Patienten reagieren, wenn sie an eine Praxis vermittelt werden, die nicht maximal wenige Meter entfernt liegt? „Es kann ein gutes Argument sein, dort behandelt werden zu können, statt stundenlang in der Notaufnahme zu warten – allerdings muss das in der Praxis dann auch alles funktionieren.“ In einer solchen Pionier-Situation brauche ein Krankenhaus schon „eine hohe intrinsische Motivation, um von der ersten Stunde an dabei zu sein“, sagt Gramminger: „Da kann man nicht einfach einen Schalter umlegen – das ist ein steiniger, aber ein sich lohnender Weg für alle Beteiligten.“

Vergütungsfragen gelöst

Das Hessische Ministerium für Soziales und Integration beziffert die Gesamtkosten des „SaN“-Projekts auf 560 000 bis 600 000 Euro. Sowohl für die Kosten der KV Hessen als auch für die IT-Anbindung und die Transportdurchführung durch die Rettungsdienste seien mit den Verbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen in Hessen Vergütungslösungen gefunden worden, heißt es in Wiesbaden. Mit Blick auf die Patientensicherheit werde das Projekt eng durch das Zi begleitet – auch um herauszufinden, wie viele als ambulant eingestufte Fälle sich am Ende möglicher-weise doch als Fall für die Notaufnahme erweisen.

An dem Punkt ist zumindest Eckhard Starke bislang relativ gelassen, auch wegen der Erfahrungen am Klinikum Frankfurt Höchst, das damit für das „SaN“-Projekt in gewisser Weise Pate stand. Seit einigen Jahren übergibt die Notaufnahme des Klinikums Patienten nach entsprechen-der Ersteinschätzung direkt an den ÄBD, der dort auf demselben Flur residiert. „Ab dem ersten Tag hatte die ZNA 30 Prozent weniger Patienten, und Fehler sind absolut zu vernachlässigen“, sagt der KVH-Vorstand. Er ist überzeugt, dass „SaN“ in Hessen noch während seiner Laufzeit weiter ausgerollt wird. Vielleicht werde noch da und dort nachgebessert, „doch die Leitplanken sind gesetzt, und wir sind alle in derselben Richtung unterwegs – wenn es einmal rollt, werden wir das nicht mehr missen wollen.“

Dieser Artikel erscheint in der kma Ausgabe 7-8/22 (ET: 15.07.) und ist hier vorab kostenlos verfügbar.

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