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Gesundheitsdienstleistungen in EuropaWas Deutschland in Sachen eHealth von seinen Nachbarn lernen kann

Aufgrund von negativen Entwicklungen bezüglich der Altersstrukturen, dem Trend zum Leben in Städten sowie finanziell eingeschränkten Ressourcen stehen die Versorgungssysteme in Europa vor großen Herausforderungen. Im Gesundheitssektor wird deshalb die Digitalisierung der Prävention, Diagnose, Therapie und dem Monitoring von Krankheiten vorangetrieben.

E-Health Europa
polavis
E-Health im europäischen Vergleich

Unter dem Stichwort „eHealth“ werden immer mehr Gesundheitsdienstleistungen und -informationen über das Internet und verwandte Technologien erbracht bzw. bereitgestellt oder unterstützt. Beispiele hierfür stellen die Elektronische Patientenakte (Electronic Health Record – EHR), das Telemonitoring und das Elektronische Rezept dar. Vorreiter in der Übernahme solcher eHealth-Angebote sind im europäischen Raum die skandinavischen Länder (Finnland, Schweden und Dänemark) sowie Estland.

Die dortige Verfügbarkeits- und Nutzungsrate solcher Anwendungen liegt zwischen rund 20 bis über 75 Prozent. In Dänemark besteht die Möglichkeit zur Interaktion verschiedener Akteure des Gesundheitswesens bereits seit den 1990er Jahren: Das Gesundheitsportal www.sundhed.dk steht seither auch immer mehr der breiten Bevölkerung zur Nutzung offen. Das Projekt Patient@home ist im Bereich des Telemonitoring angesiedelt und soll eine kostengünstigere Alternative gegenüber Krankenhausaufenthalten bieten.

Es ist ein Ergebnis der dänischen Strategie digitaler Sozialleistungen (strategy for digital welfare). Sie zielt auf die landesweite Verbreitung telemedizinischer Anwendungen, die effektive Zusammenarbeit im Versorgungs- und Sozialwesen bspw. für die individuelle Fallbearbeitung sowie das eLearning im Kontext von Gesundheit und Pflege. Hierfür relevant ist die Institutionen übergreifende Informationsweitergabe.

Telekonsultation auch in Notfällen

Estland hat seit 2008 eine flächendeckende TI zur Umsetzung von digitalen Gesundheitsangeboten – so auch für das eRezept. Mit dem Ziel Zeit zu sparen, Kosten zu reduzieren und die Versorgungsqualität zu verbessern, wurde ein Datenaustausch zwischen Patienten, Leistungserbringern, Apotheken und dem estnischen Krankenversicherungsfonds über unterschiedliche dezentrale Informationssysteme ermöglicht. Um auf die Plattform zugreifen zu können, werden eindeutige Personenkennzeichen vergeben. Rund 98 Prozent der estnischen Bevölkerung haben eine EHR, ebenso viel wird die Verschreibung von Medikamenten online genutzt.

Weitere Dienstleitungen sind die Telekonsultation – auch in Notfällen (eAmbulance), das Verwalten des Imfpasses und allgemeine Gesundheitskontrollen. Unterstützt wurde diese Entwicklung aus rechtlicher Perspektive durch den Health Informations Systems Act (2007) und den Government Regulatory Act of Health Information Exchange (2008), welche den Weg für ein nationales Gesundheitsinformationssystem (Health Information System – HIS) bereitet haben. Per Gesetz sind alle Gesundheitsanbieter dazu verpflichtet, Patientendaten ins EHR zu übertragen, dagegen Einspruch erheben können Patienten mittels Opt-Out-Verfahren.

Herausforderung der Interoperabilität  

Deutlich wird, dass für effiziente eHealth-Lösungen Interoperabilität – d.h. die Kommunikationsfähigkeit verschiedener Informationssysteme untereinander – unabdingbar ist. Nur so kann sichergestellt werden, dass die verschiedenen Stakeholder in der Gesundheitsversorgung ohne erheblichen Mehraufwand von der Digitalisierung profitieren können. Aktuell operieren HIS aber nicht nur europaweit unterschiedlich, sondern selbst in der Bundesrepublik nutzen verschiedene Institutionen mehrere Systeme zur Verwaltung von Gesundheitsdaten.

Um sich dieser Herausforderung anzunähern, wurde die Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte (gematik) im Rahmen der Erlassung des E-Health-Gesetzes (Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen) mit der Erstellung eines Interoperbilitätsverzeichnisses beauftragt. Es dient als Rahmenwerk für den Ausbau der TI in Deutschland und umfasst vor allem Funktionen der Verwaltung und Dokumentation von Patientendaten im ersten Gesundheitsmarkt.

Weitere Anwendungen, die unter Inanspruchnahme der TI gefördert werden, sind telemedizinische Konsultationen. Seit April 2017 gehören diese zu den Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherungen. 

Position Deutschlands: Start-ups in der Pipeline

In Deutschland stehen mit unter 30 Prozent deutlich weniger eHealth-Angebote zur Verfügung als im Norden Europas. Dementsprechend geringer fallen daher auch die Nutzungsraten aus. Im europäischen Vergleich liegt die Bundesrepublik damit sogar unter dem EU-weiten Durchschnitt. Insgesamt betrachtet sind bisher nur wenige eHealth-Innovationen in die Routineversorgung übergegangen. Statt eines EHR werden bspw. nur partiell elektronische Fallakten genutzt (< 20 %).

Auch das Telemonitoring findet nur vereinzelt statt, z.B. bei Patienten mit COPD, Herz- oder Diabeteserkrankung (< 20 %). Elektronische Rezepte werden bis heute nicht angeboten. Gleichzeitig stehen den Patienten neben dem klassischen Versorgungssystem immer mehr Angebote von Dienstleistern des sog. zweiten Gesundheitsmarktes zur Verfügung. Mobile Applikationen zur Vorsorge, Fürsorge und Nachsorge, welche an die Lebenswelt selbst älterer Menschen anknüpfen, fluten seit einigen Jahren die App-Stores (eine Auflistung findet sich z.B. unter www.healthcare-startups.de).

Eine mögliche Kategorisierung der bestehenden Apps stellt die Einordnung hinsichtlich der angesprochenen Zielgruppe sowie der Präventionsstufe dar. So zählen Anwendungen für Laien – seien sie selbst bereits erkrankt, lediglich eine Risikogruppe für bestimmte Krankheiten oder aber nur auf der Suche nach gesundheitsfördernden Maßnahmen – zu den Gesundheits-Apps. Sie zielen überwiegend auf die Gesundheitsförderung sowie die Primär- und Sekundärprävention ab.

Medizin-Apps dienen der Tertiärprävention

Medizin-Apps hingegen werden für Experten, also Ärzte, Apotheker und weitere im Gesundheits- und Pflegewesen Angestellte entwickelt. Sie dienen der Tertiärprävention. Unter Umständen können sie als Medizinprodukt eingestuft werden, deren Einsatz im Medizinproduktegesetz (MPG) geregelt ist (vgl. Scherenberg & Kramer, 2013, S. 46). Weitere gesetzliche Regelungen, die für eHealth-Angebote relevant sind, stellen u. a. das Heilmittelwerbegesetz und das Fernbehandlungsverbot dar.

Darüber hinaus dürfte sich die neue EU-Datenschutzgrundverordnung auch auf die Innovationskraft im eHealth-Bereich auswirken. Statt die Gesetze als Barrieren wahrzunehmen, können sie aber durchaus als Chance für eine weitreichendere Interoperabilität anerkannt werden, die eine länderübergreifende Gesundheitsversorgung bieten könnte, wenn sie europaweit verbindlich werden.  

Ausblick  

Der Norden Europas geht mit gutem Beispiel voran: Wer in Dänemark und Estland von der TI profitieren will, muss sich an gesetzliche Vorgaben der Staaten halten. Patienten können in diesen Ländern über ein Opt-Out-Verfahren in den Datentransfer eingreifen. Und ein europäischer Gesundheitsbinnenmarkt für das eRezept wurde 2014 bereits in einem Pilotprojekt zwischen Finnland und Schweden getestet.

Es stellt sich die Frage nach der Datensicherheit für Patienten, aber auch für Ärzte – nicht zuletzt deshalb, weil davon auch die Akzeptanz entsprechender eHealth-Anwendungen abhängt. Hierfür ebenso wie für die Therapietreue erscheint insbesondere das Wissen um den Umgang mit entsprechenden Systemen sowie das Verständnis für Informationsflüsse relevant. Entsprechende Kompetenzen werden als eHealth Literacy bezeichnet.

Quelle:www.polavis.de

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