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ErkenntnisseZeit für eine Kurskorrektur bei den DiGa

Mit den Erstattungswegen für digitale Gesundheitsanwendungen hat Deutschland Neuland betreten. Von Anfang an gab es Kritik an der vorläufigen Zulassung und an der Preisgestaltung. Jetzt liegen Studien zur Marktentwicklung und zur Qualität vor.

Smartphone
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Symbolfoto

Diskussionen um die digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) gibt es seit ihrer Einführung. DiGA sind erstattungsfähige digitale Therapeutika, die von einem Arzt verordnet oder direkt von einer gesetzlichen Krankenkasse an ihre Versicherten ausgegeben werden. Sie werden zur Erkennung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von medizinischen Beschwerden eingesetzt. 

Deutschland war das erste Land weltweit, das die „App auf Rezept“ eingeführt hat. DiGA sind als Medizinprodukte einer niedrigen Risikoklasse (I oder IIa) zertifiziert und in einer DiGA-Liste des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, kurz BfArM, gelistet. Nur dann sind sie erstattungsfähig. Damit die digitalen Innovationen möglichst schnell in die Versorgung kommen, wurde zusätzlich zur üblichen Zulassung das Fast-Track-Verfahren ermöglicht – eine beschleunigte Aufnahme ins DiGA-Verzeichnis unter bestimmten Voraussetzungen – etwa, dass erste Studienergebnisse vorliegen. 

Innerhalb eines Jahres muss der Hersteller den Nutzennachweis mit einer Studie belegen, die App darüber hinaus zahlreiche Anforderungen, etwa im Bereich der Datenschutz-Grundverordnung, erfüllen. Erst danach wird eine DiGA dauerhaft vom BfArM in das Verzeichnis aufgenommen.

Entwicklung 

Das Interesse an den DiGA wuchs erst langsam, dann stärker. Der zweite DiGA-Report des Spitzenverbands Digitale Gesundheitsversorgung (SVDGV) stellte zwischen Oktober 2023 und September 2024 eine Zunahme der Freischaltcodes für DiGA um 80 Prozent fest. Zwischen Oktober 2020 und Dezember 2024 wurden insgesamt 870.000 Freischaltcodes eingelöst. 

Kritik kommt immer wieder von den Krankenkassen. In seinem vierten DiGA-Bericht kritisierte der GKV-Spitzenverband, dass von den bis Ende 2024 aufgenommenen 68 DiGA nur 12 den Nutzennachweis von Anfang an erbringen konnten. Die Mehrzahl der Anwendungen wurde nur vorläufig in das DiGA-Verzeichnis aufgenommen. Das wiederum ärgert die Krankenkassen gewaltig. Denn die mit den DiGA-Herstellern verhandelten Preise gelten erst, nachdem die DiGA dauerhaft im Verzeichnis gelistet ist. In den ersten zwölf Monaten können die Hersteller die Preise frei festlegen. Das hat zur Folge, dass die Therapie mit einer vorläufig ins Verzeichnis aufgenommen DiGA bei durchschnittlich 576 Euro liegt. 

Für dauerhaft aufgenommene DiGA liegen die mit den Kassen ausgehandelten Preise rund 52 Prozent unter dem Herstellerpreis. Während die Kassen darin eine Anschubfinanzierung kritisieren, verweisen die Hersteller auf die hohen Studienkosten, die sie gegenfinanzieren müssten.

Mehr Masse, weniger Klasse

Jetzt hat erstmals eine Studie systematisch untersucht, wie sich das DiGA-Erstattungssystem auf die Marktentwicklung aller digitalen Gesundheitsanwendungen (auch der nicht-erstattungsfähigen) ausgewirkt hat. Hierzu hat das ZEW – Leibnitz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim die Daten des App-Stores von Apple vor und nach Einführung der DiGA-Regulierung untersucht. Um den deutschen Markt zu erfassen, wurde die Entwicklung der deutschsprachigen Gesundheits-Apps mit denen in anderen Sprachen verglichen. Ergebnis: Im ersten Jahr nach Einführung der DiGA stieg die Zahl der digitalen Gesundheitsanwendungen um über 900 an. 

Die meisten dieser Apps konnten ihren Nutzen jedoch nicht durch Studien belegen. Die Forschenden durchsuchten dazu die medizinische Datenbank PubMed nach peer-reviewten Publikationen. Diese gelten als wissenschaftlicher Qualitätsnachweis. Was die Studie noch feststellte: Die meisten der neu hinzugekommenen Apps fiel in die ICD-Kategorie Z. Diese Apps bieten keine Diagnosen, sondern hauptsächlich Beratung und Präventionsmaßnahmen.

Schaut man sich die Marktentwicklung und die DiGA-Zulassungen an, fällt auf, dass ein großer Teil der DiGA scheitert. Von den bis Mai 2025 gestellten 231 Anträgen zur Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis wurden nur 58 dauerhaft aufgenommen. 61 Prozent der Anträge wurden entweder abgelehnt oder von den Antragstellern zurückgezogen.

Methodische Mängel der Studien

Offenbar ermuntert der finanzielle Anreiz viele Anbieter zum Markteintritt. Die regulatorischen Hürden mit den klinischen Studien überfordern jedoch viele. Nach Ansicht der Studienautoren führt das aktuelle System mit hohen Erstattungssätzen und hohen regulatorischen Anforderungen zu mehr Masse statt Klasse. Diese Erkenntnis dürfte auch für andere Länder wie Frankreich oder Belgien von Interesse sein, die ein ähnliches Erstattungsmodell für ihre DiGA gewählt haben.

Kritik gibt es auch am Studiendesign. Forscher der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg weisen in einer aktuellen Untersuchung darauf hin, dass die dauerhaft zugelassenen DiGA den Wirksamkeitsnachweis mittels randomisierter kontrollierter Studien zwar erfüllen. Allerdings würden viele der Studien methodische Mängel aufweisen. So kritisieren die Forschenden zum Beispiel eine fehlende Verblindung. Die Kontrollgruppe erhält entweder keine oder eine herkömmliche Versorgung, weshalb die Gruppenzugehörigkeit nicht geheim gehalten werden kann. 

Nach Ansicht der Forscher besteht die Gefahr, dass der Behandlungseffekt überschätzt wird oder es zu einem Placeboeffekt kommt, falls es keine objektiven Messungen, sondern nur Selbsteinschätzungen der Patienten gibt. Bemängelt werden auch eine hohe Drop-out-Rate bei den DiGA-Studien: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer brechen die Studie vorzeitig ab oder nehmen nicht bis zum Ende teil. Auch das sagt viel über die Anwendung aus. Weitere Kritikpunkte sind zum Beispiel fehlende Transparenz durch unveröffentlichte Studienprotokolle sowie nicht repräsentative Studienpopulationen.

Neue gesetzliche Regelungen

Eine Verbesserung soll die Zweite Verordnung zur Änderung der Digitale-Gesundheitsanwendungen-Verordnung bringen, die auf die Qualität und die Preise der DiGA abzielt. Geplant ist eine anwendungsbegleitende Erfolgsmessung (AbEM) der dauerhaft in das DiGA-Verzeichnis aufgenommenen Anwendungen. Hierzu sollen die Hersteller schrittweise Daten für die Erfolgsmessung an das BfArm übermitteln. 

Ab dem 15. Oktober 2026 sollen erstmals Informationen zur DiGA-Nutzung wie etwa Nutzungsumfang, Nutzungshäufigkeit oder die vorzeitige Beendigung der Nutzung durch den Patienten übermittelt werden. In einem nächsten Schritt ist geplant, Daten zum „patientenberichteten Gesundheitszustand“ während einer DiGA-Anwendung und zur Patientenzufriedenheit zu erheben. 

Für die Patienten sind diese Angaben freiwillig. Auf Basis der übermittelten Daten soll es eine nutzenorientierte Komponente geben, die in die Preisverhandlung zwischen den Herstellern und den Krankenkassen einfließt. Die Einführung einer anwendungsbegleitenden Erfolgsmessung ist auch deshalb sinnvoll, weil mit der Zweiten Verordnung zur Änderung der Digitale-Gesundheitsanwendungen-Verordnung die Erstattungsfähigkeit der DiGA auf höhere Risikoklassen (bis IIb) ausgeweitet wird. Das soll eine Versorgung mit komplexen Anwendungen, etwa im Bereich des Telemonitorings oder der KI-gestützten Diagnostik, ermöglichen.

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