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Deep Dive DigitalZweite KI-Welle – mehr Nutzen, weniger Nische

Hochspezialisierte KI-Anwendungen blieben bislang Nischenprodukte. Unser Kolumnist Gottfried Ludewig schildert, wie sich durch generative KI der Fokus verschiebt. Weg von der Präzisionsdiagnostik und hin zu Anwendungen, die KI produktiver und profitabler machen. 

Dr. Gottfried Ludewig
Tobias Koch/Telekom
Gottfried Ludewig ist Chef der Gesundheitssparte von T-Systems. Unter Jens Spahn war er im Bundesgesundheitsministerium Abteilungsleiter für Digitales.

Die erste Welle von Künstlicher Intelligenz im Gesundheitswesen faszinierte mit hochspezialisierten Algorithmen – etwa zur Analyse von CT-Bildern oder Mammografien. Doch viele dieser Lösungen blieben Nischenprodukte: Ihr Einsatz war oft auf wenige Krankheitsbilder beschränkt, die Skalierung scheiterte an begrenztem Volumen und hohen Kosten. Ein Beispiel: Nierenkrebs zählt zu den häufigeren Krebsarten, doch mit unter 15.000 Fällen jährlich in Deutschland bleibt das Marktpotenzial begrenzt. Selbst bei Nutzungskosten von 500 Euro pro Fall ist das Volumen mit rund 7,5 Millionen Euro jährlich überschaubar.

Generative KI verändert das Spielfeld grundlegend. Statt auf medizinische Spezialfälle zielt die zweite Welle auf die breite Entlastung im Klinikalltag – insbesondere bei administrativen Aufgaben wie Dokumentation, Kodierung und Kommunikation. Laut Münchner „Zeitfresser“-Studie entfallen rund 25 Prozent der Arbeitszeit von Fachkräften auf solche Routinetätigkeiten. Hier setzt die neue Generation KI-basierter Assistenzsysteme an.

Das macht die zweite KI-Welle nicht nur wirtschaftlich interessanter, sondern auch organisatorisch anschlussfähiger.

Der Fokus verschiebt sich von Präzisionsdiagnostik hin zu produktivitätssteigernden Anwendungen – ohne dabei die Qualität zu vernachlässigen. Jeder Klinikbesuch, jede Pflegeschicht, jede Dokumentation wird zum potenziellen Einsatzszenario. Die Zahl möglicher Anwendungen steigt von einigen Tausend auf Millionen jährlich – bei gleichbleibender Basistechnologie. Das macht die zweite KI-Welle nicht nur wirtschaftlich interessanter, sondern auch organisatorisch anschlussfähiger.

Ambient Listening: KI hört mit – und schreibt mit

Besonders dynamisch entwickelt sich derzeit der Bereich ‚Ambient Listening‘. KI-basierte Schreibassistenten können Gespräche zwischen Arzt und Patient in Echtzeit mitverfolgen, relevante Informationen aus der Patientenakte einbeziehen und automatisch strukturierte Notizen oder Berichtsentwürfe erstellen. In einer der bisher größten Feldstudie bei Kaiser Permanente in den USA wurden über zwei Millionen Visiten mit einem solchen System begleitet – mit einer durchschnittlichen Zeitersparnis von einer Minute pro Fall. Das klingt wenig, summiert sich aber auf über 15.000 Stunden – und laut der Studie berichten 84 Prozent der Ärztinnen und Ärzte, dass sie sich dadurch besser auf ihre Patienten konzentrieren können. 

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Auch in der Pflege halten solche Lösungen Einzug: Sprach-Apps auf Smartphones ermöglichen die schnelle und strukturierte Erfassung von Diktaten. Ergebnis: weniger Bildschirmzeit, mehr direkte Betreuung.

Plattformen als Turbo

Die zweite KI-Welle im Gesundheitswesen erfordert mehr als nur technischen Zugang zu Large Language Models (LLMs). Marktführende Anbieter etablieren Foundation-Model-Layer mit Healthcare-spezifischer Sicherheit, Mehrsprachigkeit und nahtloser Tool-Integration. Ein Beispiel dafür ist der AI Foundation Service. Damit lassen sich viele Anwendungsszenarien wie in Chatzugang zu Sprachmodellen aufbauen, wobei die Rohdaten im Kliniknetz bleiben. Ein so genannter SmartChat zapft interne Wissensbasen an, beantwortet Patienten- und Versicherungsfragen, hilft bei der Erstellung von Kostenvoranschlägen, übersetzt Befunde und füllt Formulare aus – 24 Stunden am Tag in korrekter Fachsprache. Der Plattformgedanke anstatt einer kleinen Speziallösung bietet den Turbo für Skalierung und Innovation.

Vertrauen und politischer Impuls sind Schlüssel zur Umsetzung

So vielversprechend die Technologie ist – ihr Erfolg hängt maßgeblich vom Vertrauen der Anwender ab. Datenschutz, Haftung und die Gefahr von KI-Halluzinationen sind reale Herausforderungen. Technische Maßnahmen wie die Verarbeitung in deutschen Rechenzentren, rollenbasierte Zugriffskontrollen oder die Validierung von KI-Ausgaben sind wichtige Bausteine.

Es bedarf aber auch politischer Impulse. Der geplante Krankenhaustransformationsfonds (KHTF), der rund 50 Milliarden Euro ins System spült, sollte mehr leisten als nur bauliche und strukturelle Modernisierung. Er ist die Chance, gezielt in zukunftsfähige digitale Infrastrukturen zu investieren. Statt fragmentierter Einzellösungen sollte der Fokus auf interoperablen, skalierbaren KI-Plattformen liegen, die europaweit Maßstäbe setzen. Gefragt ist ein klares Bekenntnis zu ‚AI Made in Germany‘ - strategisch gefördert, verbindlich eingefordert. Nur so gelingt echte digitale Transformation und europäische Technologieführerschaft im Gesundheitswesen. Die zweite KI-Welle kann so zum Booster werden. Zum Wohle der Patient*innen, Ärzteschaft und Pflegenden.

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