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Deep Dive Digital„App-solut“ nötig – warum nun Patienten gefragt sind

Die elektronische Patientenakte (ePA) ist in vielen Einrichtungen angekommen und muss ab Oktober 2025 von allen Leistungserbringern verpflichtend befüllt werden. Was bislang jedoch weitgehend fehlt, ist die aktive Einbindung der Patienten selbst.

Daniela Aufermann
Daniela Aufermann
Daniela Aufermann ist Chief Digital Officer (CDO) der Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln.

Zwar ist die ePA gesetzlich als „patientengeführte Akte“ definiert, doch in der Praxis bleibt diese Führungsrolle bislang weitgehend unbesetzt. Für den Zugriff benötigen Versicherte das sogenannte FdV-Frontend des Versicherten – in Form einer App ihrer Krankenkasse. Der Zugang zur App erscheint auf den ersten Blick niederschwellig, erfordert jedoch ein aufwendiges Identifikationsverfahren, das über eine einfache Kombination aus E-Mail-Adresse und Passwort deutlich hinausgeht – aus gutem Grund: Es geht um hochsensible Gesundheitsdaten.

Bisher ist die Nachfrage auf die ePA eher gering.

Doch bereits vor der technischen Umsetzung steht eine noch grundlegendere Frage im Raum: Wollen Patienten und Patientinnen überhaupt auf ihre ePA zugreifen? Bisher ist die Nachfrage wohl eher gering – laut KBV wurden bisher rund 2,2 Millionen digitale Identitäten eingerichtet, die für den Zugriff Voraussetzung sind. Gründe dafür könnten ein fehlendes Interesse an der eigenen Gesundheit, fehlende Gesundheitskompetenz, mangelnde Aufklärung oder schlicht Überforderung mit dem Antragsprozess sein.

Systemische Relevanz: Die ePA-App als mögliche Ausfalllösung?

Die Notwendigkeit eines aktiven Patientenzugriffs ergibt sich nicht nur aus dem Wunsch nach Teilhabe. Auch systemisch könnte dies in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Aktuell können Leistungserbringer nur über an die Telematikinfrastruktur (TI) angebundene Systeme auf ePA-Inhalte zugreifen. Fällt dieses System – etwa durch Wartung oder technische Störung – temporär aus, ist ein Zugriff nicht möglich. Eine funktionierende ePA-App auf Seiten der Patienten könnte in solchen Fällen eine mögliche Ausfalllösung sein, sodass zumindest auf relevante Medikation oder Vorbefunde zugegriffen werden könnte. Allerdings: Nur wenn die App eingerichtet und verstanden ist, kann sie im Bedarfsfall zum Tragen kommen. Ebenso ist hierfür notwendig, an der Ausfallsicherheit der TI an sich zu arbeiten – ohne TI kein Zugriff auf die ePA-Akten.

Die Informationspflicht wird erfüllt – die Chance, Versicherte wirklich zu erreichen, wird jedoch häufig vertan.

Die Gesetzgebung verpflichtet die Krankenkassen zur Aufklärung über die ePA und über den Zugang zum FdV. Während einige Kassen dies inzwischen vorbildlich und benutzerfreundlich auf ihren Websites umsetzen, setzen andere auf wenig zugängliche Informationskanäle: Beispielsweise enthalten Anschreiben lediglich einen Link zu einem über 40-seitigen PDF, das kaum für mobile Nutzung geeignet ist. Ergebnis: Die Informationspflicht wird erfüllt – die Chance, Versicherte wirklich zu erreichen, jedoch häufig vertan.

Ein genauer Blick auf die Perspektive der Krankenkassen zeigt mögliche Gründe für die (bis Ende 2024) zurückhaltende Informationspolitik und den so fehlenden flächendeckenden App-Rollout:

• Kosten: Die sichere Identifikation der Versicherten verursacht Kosten von etwa fünf Euro pro Verfahren – bei Verlust von z.B. PIN-Briefen kann das schnell ein Vielfaches betragen.

• Ressourcen: Der Support rund um die App erfordert geschultes Personal. Dieses vorzuhalten, obwohl die Nutzung noch gering ist, bedeutet ein wirtschaftliches Risiko.

• TI-Erfahrungen: Die vergangenen Jahrzehnte haben gezeigt, dass sich Projekte in der Telematikinfrastruktur regelmäßig verzögern. Dieses Muster könnte also die Investitionsbereitschaft dämpfen.

Praxisbeispiel: Die ePA im pädiatrischen Kontext

Einen praxisnahen Einblick in die Einführung und Nutzung der ePA bietet das Innovationsfonds-Projekt KoCoN, welches an sechs Krankenhäusern – unter anderem an der Vestischen Kinder- und Jugendklinik Datteln – durchgeführt wird. Seit über drei Jahren begleitet das Projekt Familien mit komplex-chronisch neurologisch erkrankten Kindern im Rahmen einer neuen Versorgungsform. Ein zentraler Bestandteil ist die Information und Schulung zur ePA und ihrer App.

Das Interesse der Familien war bislang verhalten. Hauptgründe: Der Aufwand für die Beantragung des Zugangs zur App ist hoch und der Zeitraum zwischen Interesse und stationärem Aufenthalt oft zu kurz, um einen vollwertigen Zugang zu ermöglichen. Mit der Umstellung Anfang 2025, wonach die Nutzung der ePA seitens der Leistungserbringer auch ohne App der Patientinnen technisch möglich ist, ergeben sich neue Chancen – allerdings nur, wenn dieser Paradigmenwechsel auf allen Seiten verstanden und aktiv kommuniziert wird.

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Ein weiterer Meilenstein wurde Anfang Juni 2025 für die Kinderklinik als Pilothaus der Region NRW erreicht: Nach zahlreichen Herausforderungen ist das Krankenhausinformationssystem (KIS) der Kinderklinik nun ePA-3.0-fähig. Bestehende elektronische Patientenakten können seitdem eingesehen werden – und seit Ende Juni nun auch befüllt werden. Das Befüllen funktionierte nicht von Beginn an, es gab technische Probleme bei der Erzeugung des für den ePA-Upload notwendigen PDF/A Dokuments. Sowohl Hersteller als auch interne IT haben in den letzten Wochen intensiv an der Lösung des Problems gearbeitet. Dieses Beispiel zeigt deutlich, dass die technische Komplexität nach wie vor ein entscheidender Stolperstein auf dem Weg zu einer reibungslos funktionierenden ePA ist. Die Folge ist eine hohe zeitliche Mehrarbeit auf allen Seiten – bei KIS-Hersteller wie bei der internen IT.

Die Zeitinvestition lohnt sich, wie jüngste Erfahrungen aus der Pilotregion NRW zeigen. Erste Rückmeldungen gerade hinsichtlich der Einsicht in die Medikationsliste fallen enorm positiv aus. In Datteln setzen wir weiterhin auf gezielte Aufklärung der Familien, denn wir sehen Eltern als gleichwertige Partner und Partnerinnen in der Versorgung – neben Ärzten und Pflegekräften. Für die zukünftige Partnerschaft ist da die ePA-App ein unumgänglicher Bestandteil der künftigen Versorgung.

Fazit: Digitale Gesundheitskompetenz früh stärken

Im Kern der Debatte geht es um einen grundlegenden Kulturwandel. Patientinnen müssen die Bereitschaft entwickeln, Verantwortung für ihre Gesundheit und ihrer medizinischen Daten zu übernehmen. Dieser Wandel lässt sich nicht ausschließlich durch Leistungserbringer oder Krankenkassen anstoßen. Es braucht ein gesellschaftliches Umdenken: Digitale Gesundheitskompetenz muss frühzeitig gefördert und als Bildungsziel etabliert werden. Gerade Kinder und Jugendliche, die selbstverständlich mit Smartphones aufwachsen, sollten darin bestärkt werden, ihre Datenhoheit als Bestandteil einer selbstbestimmten Gesundheitsversorgung zu verstehen. Wenn Krankenkassen, Leistungserbringer und Bildungseinrichtungen gemeinsam agieren, kann die Vision einer patientenzentrierten ePA Wirklichkeit werden.

Die ePA ist damit nicht nur ein technisches, sondern vor allem ein kulturelles Innovationsprojekt – und eröffnet allen Akteuren im Gesundheitswesen neue Perspektiven für eine partnerschaftliche Versorgung auf Augenhöhe mit den Patienten.

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