
Ausgerichtet wird die Veranstaltung vom UKSH, den Kieler Nachrichten sowie IBM Deutschland und der Merck Gruppe. Für uns standen Prof. Dr. Jens Scholz (UKSH), Dr. Barbara Böttcher (IBM) und Dr. Christian Elsner (UKSH) für ein Gespräch zur Verfügung.
Der Healthcare Hackathon findet nun zum zweiten Mal statt und soll wieder eine Menge Fach- und Breitenpublikum anziehen. Was machen Sie da genau?
Scholz: Wir bieten eine Plattform für Talente an, die sich mit technischen Ressourcen und IBM- sowie UKSH-Experten 30 Stunden lang mit selbst gewählten Projekten der digitalen Gesundheit beschäftigen können. Bewerben können sich Einzelteilnehmer oder Teams, man tritt mit einer eigenen Idee an, schließt sich einem Team an oder bekommt eine ‚Challenge‘ von uns.
Am Ende steht bei jedem Team immer ein prototypisch vorführbares Produkt. Die besten Ideen fördern wir dann mit Preisen im Wert von über 50 000 Euro inklusive einer Networking-Reise ins Silicon Valley. Da wir die Zielgruppe Patienten integrieren wollen, öffnen wir am letzten Tag, dem 15. September, die Tore der 13 500-Mann-Arena und begrüßen das Breitenpublikum. Akzeptierte Innovation entsteht im Dialog – den wollen wir anstoßen mit konkreten und praktischen Ergebnissen und Erlebnissen.
Und das klappt? Es hört sich doch sehr experimentiell an. War 2017 erfolgreich?
Böttcher: Es war und ist ein Experiment – das ist Teil des Konzepts! Aber aus 2017 können wir sagen: Es war ein sehr erfolgreiches Experiment. So erfolgreich, dass wir daraus einen gemeinsamen Innovation Hub gegründet haben.
Es ist genau wie Prof. Scholz ausgeführt hat: Die Technik ist nicht mehr das Problem – was im Fokus steht, sind praktische und ‚erlebbare‘ Anwendungen, die eine medizinische Fachkraft ohne Umstand bedienen kann und die dem Patienten und dem Arzt das Leben einfacher bzw. sogar Spaß machen. Ich bin fest davon überzeugt, dass man genau diese Lösungen in derartig agilen Ansätzen findet. Hackathon und Innovation Hub sind genau solche Formate.
Können Sie uns ein erfolgreiches Projektbeispiel aus dem letzten Jahr nennen?
Elsner: Klar, nehmen Sie das Thema ‚kognitives bzw. sprachgesteuertes Krankenhaus‘. Wir hatten in 2017 mehrere Teams, die sich dem Thema gewidmet haben. Zwei Gewinnerteams haben wir weiter gefördert und ein Patchworkteam aus hochmotivierten Entwicklern sowie UKSH- und IBM-Experten zusammengeschlossen.
Im Mai – also knapp 6 Monate nach unserem Event – stand ein funktionsfähiger natürlich sprachiger Avatar in unserem Aufnahmebereich. Und das nicht als Gimmick, sondern mit kompletter Integration in unser KIS unter Beachtung aller Sicherheits- und Datenschutzregeln. Hätte ich selbst nicht geglaubt, man kann jetzt aber vorbeikommen und es anschauen.
Das hört sich jetzt fast zu einfach an. Nur weil man ein paar ‚Nerds‘ zusammenwirft, klappt auf einmal alles viel schneller und man reduziert Projektzeiten so deutlich?
Böttcher: Ich denke schon, dass wir vor allen Dingen eine ganz erfolgreiche Team- und Werkzeug-Zusammenstellung haben. Da haben sich die Zeiten geändert: Firmen sehen externe kleine hochmotivierte und agile Teams nicht mehr als Konkurrenz an, sondern verbünden sich für einen Ansatz des ‚Besten aus beiden Welten‘.
IBM kann dazu dann ein flexibles Werkzeugset an Methoden, Daten, Algorithmen und Services beisteuern – das kann man sich in der Tat wie Lego-Bausteine vorstellen. Man muss nicht alles neu erfinden. Und wir können auf ein Experten-Netzwerk zurückgreifen, die solche Modelle schon in vielen anderen Projekten erfolgreich etabliert haben.
Um bei Ihrem Beispiel zu bleiben: Warum gerade Spracheingabe im Aufnahmebereich als Startpunkt?
Scholz: Man braucht immer einen Einstiegspunkt, einen Piloten. Der Bereich der Aufnahme schien uns – und übrigens auch dem betreffenden Hackathon-Team – logisch. Man ist hier noch nicht zu komplex im medizinischen Prozess, man hat einen sehr gleichförmigen Ablauf und man ist gleichzeitig nah bei Mitarbeitern und Patienten.
Am Anfang ist – neben der Hinterlegung des Aufnahmeprozesses – erst mal viel Basistechnologie zu entwickeln: Wie verbinde ich mich mit dem KIS? Wie baue ich eine datenschutzrechtlich und forensisch einwandfreie Spracheingabe? Wie setze ich die Technologie so ein, dass sie ‚assistiert‘ und das Aufnahmepersonal sich auf den Patienten konzentrieren kann? All das ist hier gut möglich.
Der Patient geht also trotzdem noch an der Aufnahme mit ‚echten‘ Menschen vorbei?
Scholz: Ja, das wollen wir auch nicht abstellen. Am Anfang gehen wir sogar von einem höheren Aufwand aus, da wir ja Leute – unsere „Welcome Manager“ – abstellen müssen, die die Schwellenangst vor der Benutzung nehmen. Am Ende geht man immer nochmals kurz am Tresen vorbei, wo ein Mitarbeiter dann die Daten endgültig ins System absendet und offene Fragen beantwortet.
Aber der Mitarbeiter schaut eben nicht mehr 14 Minuten beim Eingeben in seinen Bildschirm beim Eintippen, sondern hat 4 Minuten Zeit, mit dem Patienten wirklich zu sprechen. Und auch nach der Pilotphase sollen nur Patienten, die sich davon einen Vorteil versprechen, das System nutzen – wir gehen von gut 30 bis 40 Prozent aus.
Böttcher: Und natürlich startet das Innovation-Hub-Team parallel mit den Überlegungen, wo kann es mit der Technik als nächstes hingehen; z. B. der Self-Checkin ist völlig naheliegend: Die entwickelten Abläufe sind – relativ schnell – mit erweitertem Datenschutzkonzept auch als Chat auf ein Smartphone gebracht. Und auch die ganze Basistechnologie werden wir in einem ersten Versuch näher an die UKSH-Mediziner bringen. Zum Beispiel auf das Feld der medizinischen Dokumentationen …
Elsner: … was wir gerade mit einem ehemaligen Team des Hackathons 2017 in einem Workshop gemeinsam mit einem gemischten Technik- und Pflegeteam am UKSH erarbeitet haben. Und soll ich Ihnen was erzählen: Sowohl bei unseren Teams im Aufnahmebereich mit dem Sprachavatar als auch bei den Pflegeteams war die Begeisterung hoch: Wenn es ganz konkret ‚anfassbar‘ wird, versteht man es und es ist ein kombinierter Change-und-Technologie-Workshop für unsere Mitarbeiter.
Keine – ggf. berechtigte – Kritik im Klinikum, dass die schöne neue Technik alles auch ein wenig unmenschlicher macht und Arbeitsplätze vernichtet?
Scholz: Klar gibt es die Kritik. Technik birgt immer Chancen, aber auch Herausforderungen – am Ende sind wir alle gemeinsam gefragt, um eben nicht Betroffene, sondern aktiv Beteiligte bei der Technikeinführung zu sein. Dabei muss man eben auch zulassen, dass mal was ausprobiert wird. Und natürlich: Berufsbilder werden sich dadurch ändern. Worum es doch geht, ist, wie uns die Technik am besten assistieren kann.
Im Gesundheitssystem ist z. B. der Pflegemangel deswegen zu spüren, weil die Kräfte, die noch da sind, mit Arbeiten abseits vom Patienten beschäftigt und teils frustriert sind, weil sie keine Wertschöpfung am Patienten bringen können. Unmenschlich finde ich es da eher, wenn Technik nicht eingeführt wird, die eben genau diese Entlastung bringen kann, um wieder mehr am Patienten zu arbeiten. Der Healthcare Hackathon ist eine Einladung genau dazu: Aktiv Beteiligter und nicht passiv Betroffener zu sein. Einer der Teilnehmer hat einmal so schön zu mir gesagt: ‚Das ist ja eher eine Bewegung als eine Veranstaltung‘.
Also kein Zufall, dass auch gerade Sie mit einem Universitätsklinikum eine solche ‚Bewegung‘ starten?
Scholz: Wir sehen uns da in einer Vordenkerrolle – die Universitätskliniken sollten aus meiner Sicht zusammen mit der Politik als Motor dienen, damit wir in Deutschland nicht den internationalen Anschluss an die digitale Medizin verlieren. Es entsteht gerade eine neue Realität der datengetriebenen Forschung und der digitalen Versorgung.
Beispielsweise China hat schnell zehnmal so viele Daten, um einen Algorithmus zur Detektion von Vorhofflimmern zu verbessern – da dürfen wir nicht aus falschen Motivationen nachstehen. Universitätskliniken der Zukunft sind perfekt geeignet, die digitale medizinische Innovation voranzutreiben, damit wir sicherstellen können, dass die Spitzenmedizin in Zukunft weiter jedem zur Verfügung steht. Ein wichtiger gesellschaftspolitischer Auftrag, den es umzusetzen gilt – auch ein Anliegen des Healthcare Hackathons, das deutlich zu machen.
Planen Sie spezielle Themen beim Healthcare Hackathon 2018?
Elsner: Thematisch wollen wir unsere Teams nicht einschränken – alle Ideen sind erlaubt. Unsere Aufgabe ist es vorab, uns mit den Teams auseinanderzusetzen, was ggf. an Technik und Expertise benötigt wird. Schon jetzt haben wir 12 lose Teams und haben auch eine Warmup-Veranstaltung eingeführt, die wir im Mai in Hamburg durchgeführt haben. Da ist von Genetik über Vorhofflimmern, Notfallmedizin, Big Data und eben auch Hardware wie Drohnen, IoT-Rollstühle und Robotik alles dabei.
Wir haben Preventicus dabei, die ausgewählten Teams Zugang zur Funktion geben werden, mit dem Blitzsensor des Smartphones Vorhofflimmern zu detektieren. Ein Team hat sich den Loomo – einen kleinen Segway-artigen Roboter besorgt und möchte ihn als intelligenten Assistenten einsetzen, der auch mobil weitläufig im Haus unterwegs sein kann. Ich glaube außerdem, dass das globale Thema Ergonomie und Assistenzsysteme sehr im Mittelpunkt stehen wird.
Scholz: Assistenzsysteme – gutes Stichwort und trifft auch das, was wir in vielen Gesprächen an der Basis immer wieder hören, zuletzt z. B. im Gespräch mit unseren Dermatologen: Warum soll ihm der Hausarzt per E-Mail ein Hautbefundbild senden, damit der Kliniker am stationären PC draufschaut, seiner Sekretärin dann sagt, sie soll einen Termin machen, damit er dann wieder den Arzt anruft, um ihm das mitzuteilen.
Ein Team hat das gleich aufgegriffen und möchte eine ‚Whats-App-artige‘ Kommunikation – dazwischen ein intelligenter KI-Service – aufbauen: Der Hausarzt sendet ein Bild mit einer Frage, Watson schlägt dem Kliniker KI-gestützt vor ‚das könnte ein kritischer Befund sein‘ und schlägt vor, einen Termin zu machen. Der Kliniker schaut drauf und schließt sich dem Watson-Vorschlag an – oder schlägt Alternativen vor. Watson kümmert sich dann um alles weitere und der Arzt nutzt seine Zeit lieber direkt am Patienten. Unsere Ärzte ertrinken in administrativer Arbeit – da müssen wir ran.
Dieser Artikel ist Teil der Ausgabe Juli/August von kma Klinik Management Aktuell.





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