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Maßregelvollzug BerlinÄrztlicher Leiter des KMV in Berlin wirft das Handtuch

Das Krankenhaus des Maßregelvollzugs (KMV) in Berlin ist überfüllt. Nun zieht der Chefarzt Konsequenzen. Wie der Berliner Senat reagiert. Und warum in Schleswig-Holstein gebaut wird.

Gesetzbuch liegt aufgeschlagen auf einem Tisch.
Ingo Bartussek/stock.adobe.com
Symbolfoto

Psychisch auffällige oder suchtkranke Straftäter werden in speziellen Kliniken behandelt. Die Einrichtung in Berlin ist überfüllt und überlastet. Nun hat Sven Reiners, der Ärztliche Leiter, gekündigt. 

Die Berliner Gesundheitsverwaltung hat die überraschende Kündigung des Ärztlichen Leiters im Krankenhaus des Maßregelvollzugs als „außerordentlich bedauerlich“ bezeichnet. Die von dem Arzt als Begründung für seinen Schritt genannten personellen Probleme und fehlenden räumlichen Kapazitäten seien der Senatsgesundheitsverwaltung sehr wohl bewusst, hieß es in einer Erklärung vom 20. April. 

„Die Probleme und Herausforderungen sind erkannt, benannt und werden konsequent in Angriff genommen“, erklärte eine Sprecherin der Gesundheitsverwaltung. „Die herrschenden Zustände führen unbenommen dessen bis auf Weiteres für alle Beteiligten immer wieder zu belastenden Situationen, für das Personal wie auch für die Patientinnen und Patienten.“ Die geäußerten Sorgen würden sehr ernst genommen.

In den Maßregelvollzug kommen Straftäter, wenn ein Gericht sie als psychisch auffällig oder suchtkrank einstuft. Sie verbringen dort teils mehrere Jahre. In Berlin ist der Maßregelvollzug seit Jahren überlastet und überbelegt. Beschäftigte und Verbände hatten zuletzt wiederholt Alarm geschlagen.

Ich kündige aus Gewissensgründen. Unter den Bedingungen, wie sie im Maßregelvollzug seit Jahren herrschen, ist fachlich angemessene Arbeit nicht möglich.

Am 19. April war bekannt geworden, dass Chefarzt Sven Reiners deshalb nun gekündigt hat. „Ich kündige aus Gewissensgründen. Unter den Bedingungen, wie sie im Maßregelvollzug seit Jahren herrschen, ist fachlich angemessene Arbeit nicht möglich“, sagte er dem „Tagesspiegel“. „Patienten werden nicht ausreichend therapiert, die Beschäftigten durch den ständigen Mangel zermürbt. Mit großem Bedauern verlasse ich den Maßregelvollzug aus ethischen Gründen.“ Ähnlich äußerte sich Reiners am 19. April im RBB.

Überbelegung im Februar: 77 Patienten

Nach früheren Angaben der Gesundheitsverwaltung waren Anfang Februar 626 Patientinnen und Patienten stationär in dem Krankenhaus untergebracht, obwohl planmäßig nur 549 Betten zur Verfügung stehen. Wegen des Platzmangels kamen laut Berliner Staatsanwaltschaft im vergangenen Jahr 20 Straftäter zunächst auf freien Fuß, in diesem Jahr kamen weitere Fälle dazu. 

„Die Senatsgesundheitsverwaltung arbeitet intensiv daran, die angespannte Situation aufzulösen und Versäumnisse vergangener Jahre nachzuholen“, hieß es in der Erklärung vom 20. April weiter. Das sei im Interesse der Beschäftigten, Patienten und nicht zuletzt auch im Interesse der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger von Berlin.

158 offene Stellen im Berliner Maßregelvollzug

Erste dringend erforderliche räumliche und personelle Maßnahmen seien in Angriff genommen und zum Teil auch bereits umgesetzt worden. Mit „höchster Priorität“ werde derzeit an der Sanierung von Gebäuden am Standort in Reinickendorf auf dem Gelände der ehemaligen Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik gearbeitet. Das gelte auch für die Inbetriebnahme eines neuen Standortes im Kirchhainer Damm im Bezirk Tempelhof-Schöneberg und für die Besetzung offener Personalstellen. 

Nach früheren Angaben der Gesundheitsverwaltung waren Stand Ende Januar von rund 670 Stellen im Maßregelvollzug 158 nicht besetzt.

Schleswig-Holstein erweitert Klinik für Forensische Psychiatrie 

Ebenfalls Nachrichten in Sachen Maßregelvollzug kamen am 19. April aus Schleswig-Holstein: Hier entsteht in der Klinik für Forensische Psychiatrie des Helios Klinikum Schleswig zurzeit ein neuer Erweiterungsbau. Darin untergebracht sind 14 Plätze für Patientinnen und Patienten, die kurz vor der Entlassung stehen, sowie eine forensische Institutsambulanz. Das Projekt wird mit 5,75 Millionen Euro vom Land Schleswig-Holstein gefördert.

Gesundheitsministerin Kerstin von der Decken betonte anlässlich des Richtfests am 19. April: „Für das Land Schleswig-Holstein steht im Vordergrund, den Maßregelvollzug bestmöglich aufzustellen. Hierfür brauchen wir neben gut ausgebildetem Personal vor allem gute bauliche Strukturen in der Forensik." Zu diesen leiste der neue Erweiterungsbau einen Beitrag.

Das neue Gebäude wird mit einer Photovoltaikanlage und einer Luft-Wasser-Wärmepumpe ausgestattet. Es wird damit weitgehend energieautark sein und ohne fossile Energieträger auskommen. Die Fertigstellung ist für Ende 2024 geplant.

Schleswig-Holstein: Kliniken in Neustadt und Schleswig

Für Personen, deren Unterbringung in einer Entziehungsanstalt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus gerichtlich angeordnet wurde, gibt es in Schleswig-Holstein die Kliniken in Neustadt und Schleswig. Diese Kliniken führen die hoheitliche Aufgabe des Maßregelvollzugs für das Land Schleswig-Holstein aus. 

Die Klinik für Forensische Psychiatrie in Schleswig verfügt über 89 Behandlungsplätze. Dort sind die nach Paragraf 64 StGB verurteilten Männer sowie die nach Paragraf 64 und Paragraf 63 StGB verurteilten Frauen untergebracht. Vor Ort werden Menschen behandelt, die aufgrund einer bestehenden psychischen Störung oder einer Suchterkrankung straffällig geworden sind. Der Maßregelvollzug dient dabei der fachgerechten psychiatrischen Behandlung und zugleich der sicheren Unterbringung der Straftäterinnen und Straftäter. 

Seit 2005 hat das Land eigenen Angaben zufolge fast 13 Millionen Euro in die Forensische Klinik in Schleswig investiert und damit für die entsprechende Ausstattung der baulichen Therapiebedingungen gesorgt. Nun kommen noch einmal 5,75 Millionen Euro hinzu.

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