

Den 14. Juli 2021 werden die Beschäftigten des Klinikums Leverkusen wahrscheinlich nie vergessen. Wegen der Hochwasserkatastrophe in Nordrhein-Westfalen musste das kommunale 740-Betten-Haus, das rund 2500 Mitarbeiter beschäftigt, vollständig evakuiert werden. Das Wasser der Dhünn, die direkt am Klinikum fließt, war in die Technikräume geschwappt und hatte dort zwei Trafos explodieren lassen. Nach dem Allgemeinstrom fiel in einigen Gebäudeteilen auch der Notstrom aus, die Telekommunikation war lahmgelegt, wichtige Geräte funktionierten nur durch Akkus. An einen Klinikbetrieb war nicht zu denken.
Zum Zeitpunkt der Katastrophe waren 486 Patienten im Haus. Wer nicht entlassen werden konnte, wurde teilweise noch in der Nacht in umliegende Krankenhäuser verlegt – unter anderem nach Bonn, Düren, Düsseldorf, Solingen, Köln, Bergisch Gladbach und auch ins nicht weit entfernte katholische St. Remigius Krankenhaus im Leverkusener Stadtteil Opladen.
Bereits nach sechstägiger Schließung hat das Klinikum seinen Betrieb wieder aufgenommen – und gleich am ersten Tag 115 Menschen stationär betreut. Im Telefonat mit kma berichtet Geschäftsführer Hans-Peter Zimmermann, wie er die Situation erlebt hat.
Herr Zimmermann, wie viel haben Sie in den vergangenen Tagen geschlafen?
Insgesamt viel zu wenig, aber jetzt wird es zunehmend wieder etwas mehr.
Wie lief der Neustart nach der Evakuierung?
Aus unserer Sicht reibungslos. Wir sind am Mittwoch bewusst sukzessive gestartet, um sicherzugehen, dass unsere Infrastruktur wieder ausreichend belastbar ist. Am ersten Tag wurden 52 Patienten zu uns zurückverlegt. Der erste war ein onkologischer Patient, den wir jetzt wieder wohnortnah versorgen können. Das war ein tolles Gefühl. Im Laufe des Tages haben wir 63 weitere Patienten aufgenommen, darunter fünf in der Kardiologie, die inzwischen wieder voll einsatzfähig ist. Und wir hatten auch schon wieder eine Geburt: Es sind Zwillinge, denen unser Kreißsaal-Team per Kaiserschnitt auf die Welt geholfen hat
Herrscht bereits wieder Normalität auf den Stationen?
Es normalisiert sich jeden Tag etwas mehr, und es entspannt sich zunehmend. Doch 160 Betten können wir noch nicht wieder nutzen. Deshalb sind wir enger zusammengerückt. Wir haben Fachabteilungen und Teams zusammengelegt, die sich jetzt neu finden müssen. Der Hintergrund ist, dass einige Bereiche des Klinikums weiter ohne Strom sind – und es wird sicher zwölf bis 16 Wochen dauern, bis die Allgemeine- und die Sicherheitsstromversorgung wieder funktionieren. Da ist noch einige Zeit viel Improvisationsfähigkeit gefragt.
Wie haben Sie den Tag der Evakuierung erlebt?
Ich habe die ganze Zeit den Fluss beobachtet und gedacht, wenn jetzt noch jemand eine Talsperre aufmacht, schaffen wir das nicht. Als dann die Dhünn wirklich über die Ufer trat, haben wir umgehend den Krisenstab zusammengestellt, uns draußen vor dem Chaos getroffen und beraten. Gegen Mitternacht fiel die Entscheidung zur Evakuierung. Insgesamt haben wir 180 Patienten in 18 verschiedene Krankenhäuser verlegt. Für jeden handverlesen die passende Klinik zu finden, ist wirklich eine Aufgabe, und ich danke allen Kollegen in den anderen Häusern für die Unterstützung.
Wie waren Ihre Mitarbeiter auf ein solches Extremereignis vorbereitet?
Es ist vor allem ihrem Improvisationsvermögen zu verdanken, dass alles so gut funktionieren konnte. Jeder Einzelne hat funktioniert, alle haben mitgedacht und geholfen. Viele sind in der Nacht noch ins Klinikum gekommen, um bei der Evakuierung zu unterstützen oder mit Schippen und Eimern gegen das Wasser zu kämpfen. Diese Solidarität ist eine meiner positivsten Erfahrungen dieser Tage. Ich finde es immer noch fast unglaublich, dass uns die Wiedereröffnung so kurz nach der Katastrophe gelungen ist. Insgesamt 150 unserer Pflegekräfte und Ärzte sind auch mit den Patienten mitgereist, um sie in den anderen Krankenhäusern weiter zu betreuen. In Solingen etwa konnten wir eine leerstehende Station nutzen und haben sie dann mit unserem Personal bestückt. In anderen Kliniken haben wir dort die Schichten verstärkt.
Können Sie die Kosten bereits einschätzen? Und wer trägt die?
Wir haben diverse Versicherungen, die jetzt greifen. Das wird derzeit geprüft und aufgenommen. Trotzdem wird am Ende ein hoher zweistelliger Millionen-Euro-Betrag offenbleiben, den wir als kommunales Haus nicht stemmen können. Da setze ich auf Hilfe aus Bundes- und Landesmitteln.
Gibt es bereits Lehren, die Sie ziehen?
Wir waren baulich auf die 100-jährige Hochwassermarke vorbereitet, doch die wurde jetzt um mehr als einen Meter gerissen. Damit hat niemand gerechnet. Künftig werden wir die Technik konsequenter aufs Dach oder in Zwischengeschosse verlegen müssen. Das heißt, statt im Keller sollten wir zum Beispiel für die Verteilerräume der EDV wertvollen Platz auf anderen Ebenen suchen und nutzen. Und dafür müssen wir auch mehr Geld in die Hand nehmen.
Was ist Ihnen aus der Katastrophennacht am stärksten in Erinnerung geblieben?
Als gegen 22 Uhr der Strom ausfiel und später auch kein Notstrom mehr verfügbar war, haben wir mit als erstes elf Frühgeborene von der Kinderintensivstation in der ersten Etage evakuiert. Die Feuerwehr musste die Frühchen in ihren Inkubatoren durch das stockdüstere Treppenhaus tragen – vorsichtig wie ein rohes Ei. Diese Situation hat uns alle sehr mitgenommen, und wir sind heilfroh, dass es insgesamt keine Verletzten gab und wir alle Patienten ohne Schaden verlegen konnten. Das war eine große, anstrengende Nacht. Am Ende hatten wir viel Glück im Unglück.





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