Georg Thieme Verlag KGGeorg Thieme Verlag KG
Georg Thieme Verlag KGGeorg Thieme Verlag KG

Im Gespräch mit Sylvia KuzniaChange Management im Gesundheitswesen - Empfehlungen aus der Praxis

Der demografische Wandel, Personalmangel und ein nachhaltiges Wirtschaften sind bestehende und zukünftige Herausforderungen für Krankenhäuser. Sylvia Kuznia gibt konkrete Empfehlungen zur Bewältigung der kommenden Aufgaben.

Sylvia Kuznia
polavis
Sylvia Kuznia

1. Ist es für die Zukunft realistisch zu erwarten, dass es ausreichend Pflegepersonal für eine wachsende Anzahl von Patienten geben wird? Oder muss man den Fokus ebenso eindringlich auf Prozessoptimierung legen und das Pflegepersonal mithilfe von digitalen Lösungen entlasten?

Eine für die wachsende Zahl der Patienten und die alternde Gesellschaft ausreichend zur Verfügung stehende Anzahl an Pflegepersonal halte ich für unwahrscheinlich. Selbst die zunehmende Zahl der Absolventen einer Pflegeausbildung können den Bedarf noch nicht abdecken. Daher appelliere ich, Aufgaben zu identifizieren, die von anderen Berufsgruppen – und nicht vom knapp vorhandenen Pflegepersonal – übernommen werden müssen! Wir brauchen innovative Ideen und den Mut, auch querzudenken und die üblichen Pfade zu verlassen.

Die verschiedenen Arbeitsschritte im Pflegealltag benötigen dringend eine Optimierung durch digitale Lösungen. Ich sehe da großes Potenzial in der Pflegedokumentation oder Schnittstellenoptimierung. Es ist tatsächlich noch immer alltäglich, die Daten sehr old school via Fax oder postalisch zu versenden. Das gehört meiner Meinung nach endlich abgeschafft. Wo sind die innovativen Ideen, die uns in der Praxis zur Verfügung stehen? Natürlich gibt es Anbieter auf dem Markt, jedoch sind es in der Regel individuelle Lösungen für einzelne Kliniken oder Klinikverbünde – die flächenübergreifende Lösung fehlt.

2. Eine Aufgabe des Pflegepersonals sind bürokratische Tätigkeiten. Wieviel Zeit verbringt eine Krankenschwester im Schnitt täglich mit der Dokumentation?

30 % der Arbeitszeit ist Dokumentation. Tendenz steigend!

3. Es muss also beinahe ein Drittel der Arbeitszeit für die Dokumentation verwendet werden. Inwieweit können digitale Dokumentationslösungen hier Zeit einsparen und das Personal entlasten?

Wünschenswert ist eine Entlastung der Dokumentation auf 10 bis 15 %. Dies würde eine hinreichende Arbeitszeit am und mit dem Patienten ermöglichen. Wir brauchen digitale Lösungen mit einer hohen Nutzerfreundlichkeit für die Dokumentation, die leicht verständlich sind. Die Usability des PKMS (Pflegekomplexmaßnahmenscore) zum Beispiel, ließ sehr zu wünschen übrig.

4. Aus Sicht einer Gesundheits- und Krankenpflegekraft: Welche Funktionalitäten wünschen Sie sich in einem digitalisierten Dokumentationssystem?

Ein digitales Dokumentationssystem sollte Sprachsteuerung und die Echtzeit-Einsicht für alle Beteiligten zulassen. Sie sollte Erinnerungsfunktionen für fehlende oder vergessene Handzeichen beinhalten sowie die Übertragung der dokumentierten Daten in eine Pflegeübergabematrix.

5. Ein nicht zu vernachlässigender Administrationsaufwand entsteht auch bei der Aufnahme sowie Entlassung der Patienten. Welche Veränderungen würden Sie sich hier wünschen?

Das ist ein interessantes und zunehmend bedeutsames Thema. Das Aufnahme-Personal hat oft fehlende Pflegekenntnisse, Ganzheitlichkeit ist schwierig und Berechtigungsfragen spielen immer eine Rolle. Dabei müssten Personen, die im Aufnahme- und Entlassmanagement arbeiten, nicht zwangsläufig eine ausgebildete Pflegekraft sein. Sie benötigt lediglich Hinweise oder Anweisungen, am besten durch digitale Lösungen, um die Patienten optimal auf den Krankenhausaufenthalt vorzubereiten. Noch wichtiger ist bei der immer kürzer werdenden Liegezeit ein effizientes System, das es ermöglicht, den Patienten gut versorgt in die Häuslichkeit zu entlassen.

Die Übergabe von Daten, Bildern und Befunden an weiterbehandelnde Ärzte ist momentan nicht optimal gelöst. Hier liegt viel Potenzial. Das Aufnahme- und Entlassmanagement ist ein Schlüsselthema für die Kliniken, da hiermit eine Patienten- und Fallsteuerung möglich ist und zufriedene Patienten und Kunden sowie Zuweiser gebunden werden können. Die nächste Generation der Patienten ist bereits da: sie erwarten zügige und professionelle Informationen rund um ihren Krankenhausaufenthalt, ebenso wie es die Personen rund um die Nachsorge tun.

6. Wenn wir an die elektronische Patientenakte denken, ist es technisch realisierbar, dass Patienten sich schon vor dem Eintreffen in der Klinik per App anmelden und relevante Gesundheitsdaten zu Verfügung stellen. Könnte dies nicht zu einer substantiellen Administrationsentlastung bei der Aufnahme führen?

Die Patienten müssen noch immer Informationen in Papierform mitbringen, zum Beispiel die Kopien von Entlassungsbriefen oder der Patientenverfügung. Ein digitaler Datentransfer könnte hier so vieles erleichtern.

7. Wie können die Prozesse im Aufnahme- und Entlassmanagement zugunsten der Zeitersparnis optimiert werden?

Im besten Fall sind alle notwendigen Daten vor der Aufnahme des Patienten im Krankenhaus verfügbar. Vor allem auch die Aufklärungen für Eingriffe, sodass der Krankenhausaufenthalt so kurz wie möglich gestaltet werden kann. Ideal ist: Dem Patienten ist vor der Aufnahme der genaue Ablaufplan seiner Behandlung bekannt; natürlich geht das nur bei elektiven Aufnahmen. Zur Entlassung werden alle Daten aus dem Aufenthalt an die Weiterbehandelnden digital und sicher übermittelt und der Patient wird im Idealfall von professionell Pflegenden noch 4 Wochen lang digital weiter informiert oder beraten. Damit erfolgt eine optimale Steuerung, Zeit- und Ressourcenplanung und dies führt zu einer hohen Zufriedenheit aller am Prozess Beteiligten.

8. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht hinsichtlich der Kommunikation und dem Austausch von Informationen einrichtungsintern und sektorenübergreifend?

Aus meiner Sicht hat sich die interne Kommunikation durch Zeit- und Kostendruck zum Schlechten gewendet. Der Patient und Kunde ist nicht vollumfänglich informiert und aufgeklärt. Auch gerade bei den Bedürfnissen der älteren Patienten gibt es erhebliche Mängel in der Kommunikation. Dieses Phänomen ist auch sektorenübergreifend erkennbar: Die Informationen gelangen meist nur lückenhaft bis gar nicht bis zu den Hausärzten und viele Arztbriefe werden viel zu spät übermittelt. Trotz einzelner digitaler Lösungen haben sich bisher nur wenig spürbare Verbesserungen bemerkbar gemacht.

9. Wie steht es mit der Kommunikation mit den Patienten und der Informationsübermittlung?

Der Informationsaustausch zwischen Pflegepersonal, Arzt und Patient war vor 20 Jahren weitaus besser. Es gibt viel Unsicherheit bei den Patienten und sie erhalten immer weniger Informationen. Patienten werden beispielsweise erst kurz vor einem Eingriff detailliert und schriftlich aufgeklärt.

Gesetzlich geregelt ist allerdings, dass bei elektiv geplanten Eingriffen oder Operationen, die Patienten mindestens 24 Stunden vorher über den Vorgang genau informiert werden müssen. Viele Nachfragen via Telefon darf man zum Beispiel aus Datenschutzgründen nicht mehr beantworten.

Vor 20 Jahren war die Kommunikation durch mehr Zeitressourcen auf Augenhöhe zwischen den verschiedenen Berufsgruppen. Das lässt sich vermissen in den heutigen Rahmenbedingungen und durch den wirtschaftlichen Druck. Früher gab es gemeinsame Team- und Fallbesprechungen. Dort konnten Therapien und Veränderungen des Patienten angepasst werden. Selbst Visiten wurden immer durch eine Fachkraft begleitet, das ist heute nicht mehr selbstverständlich. Die Verantwortlichkeiten waren klar. Jeder kannte seinen Arbeits- und Tätigkeitsbereich. Durch die Personalverknappung erfolgt jedoch zunehmend eine Vermischung von Arbeitsbereichen.

10. Was fordern Sie von der Chefetage in Krankenhäusern?

Der Fokus der Chefetage liegt zumeist auf der Reduzierung von Kosten. Diesen Druck geben sie von oben nach unten weiter. Krankenhäuser schreiben entweder rote Zahlen oder stecken im Innovationsstau. Da wird natürlich nicht als erstes an kostenintensive digitale Lösungen gedacht. Doch auch die Geschäftsführer wünschen sich für ihre Einrichtung mehr digitale Lösungen. Ich wünsche mir mutigere Vordenker in der obersten Etage!

11. Was fordern Sie von der Politik?

Eine echte Beschäftigung mit dem Thema. Ich schau neidisch und mit Erstaunen auf andere Branchen, die digital erheblich weiter sind: die Automobilbranche, Landwirtschaft etc. Ich weiß nicht, ob es an einer falschen oder fehlenden Lobbyarbeit in Berlin liegt. Ich wünsche mir Macher und Anpacker. Wo sind die flächendeckenden digitalen Lösungen, die durch eine gute Informationspolitik etabliert sind.

Das Interview führte polavis.

Sortierung
  • Derzeit sind noch keine Kommentare vorhanden. Schreiben Sie den ersten Kommentar!

    Jetzt einloggen